Schwerpunkt "Hochschulen gestalten Zukunft"
Mit hohen Zielen den Druck erhöhen
In den Hochschulvertragsverhandlungen werden die Weichen für die künftigen Verhältnisse an Berliner Schulen gestellt. Die Universitäten sollten verpflichtet werden, 3.000 Lehramtsabsolvierende pro Jahr zum Abschluss zu bringen.
Die aktuelle Lehrkräftebedarfskrise ist nicht mehr zu übersehen. Wovor GEW und Wissenschaft seit Jahren warnen, lässt sich jetzt auch von den Kultusministerien nicht mehr leugnen oder kleinreden: In ihren eigenen Prognosen erwarten sie bis 2035 über 30.000 fehlende Lehrkräfte, in der Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK 2023 wird von 40.000 bis 150.000 fehlenden Lehrkräften ausgegangen.
Die Lage ist ernst, weil der Mangel in der Konsequenz auch erhebliche Belastungen der Bestandslehrkräfte mit sich bringt. Die weiter erhöhte Belastung führt als Konsequenz zu Teilzeit als Selbstschutz oder zum Ausstieg aus dem Beruf – ein Teufelskreis. Nicht zuletzt ist der Mangel an entsprechenden Lehrkräften in den für die Durchsetzung von Bildungsgleichheit zentralen Schulformen Grund-, nichtgymnasiale Sekundar- und beruflichen Schulen ein katastrophales Systemversagen, sodass dem Anrecht auf gute Bildung noch weniger entsprochen werden kann.
In Berlin werden in den Hochschulverträgen Zielzahlen für die lehrkräftebildenden Universitäten FU, HU, TU und UdK festgelegt. Insgesamt sollten von 2017 bis 2021 Kapazitäten aufgebaut werden, die jeweils zu 2.000 Master of Education-Absolvierenden führen. In keinem Jahr wurde auch nur die Hälfte erreicht, 2021 waren es – nach mitunter sogar fallenden Zahlen – 907.
Dabei ist selbst das Ziel von 2.000 Absolvierenden zu niedrig gewählt: Mit dieser Zahl würde nicht einmal der konkret absehbare Bedarf an Einstellungen, der sich aus altersbedingten Pensionierungen absehen lässt, gedeckt. Weit realistischer braucht es 3.000 Studierende pro Jahr, die erfolgreich abschließen, um die jetzige Lücke überhaupt zu schließen, Abwanderungen aus Berlin auszugleichen, höhere Teilzeitquoten abzufangen, durch Abordnungen Lehrkräftebildung und andere Institutionen Praxisexpertise zukommen zu lassen und um endlich auch dem Kinderrecht auf Inklusion gerecht werden zu können, beispielsweise durch reguläres Team-Teaching und kleinere Klassen.
Hohe Ziele setzen, damit sich was bewegt
Dass es nicht reicht, einfach die Zahl 3.000 ohne Unterfütterung in Verträgen vorzuschreiben, sollte dabei klar sein. Schlechtestenfalls führt die in Diskussionsveranstaltungen als unerreichbar kommentierte Zahl dazu, dass die Hochschulen von vornherein nicht mit voller Energie dabei sind. Sinkende Zahlen an Bewerbungen auf Lehramtsstudienplätze, kleinere Abiturjahrgangskohorten, jahrzehntealte strukturelle Probleme in MINT- und beruflichen Fächern scheinen ihnen zunächst Recht zu geben.
Dennoch bleibt es richtig, auf den 3.000 zu beharren: Selbst, wenn die Zahl kurzfristig nicht erreichbar ist, zeigt sich in ihrem Festschreiben in den Hochschulverträgen ein Eingeständnis der Krise des Schulsystems durch die Anerkennung des Bedarfs und insofern eine Abkehr von den vorherigen Beschönigungen und Leugnungen des Mangels. Sie ist mittelfristig wichtig, um den Universitäten Zeit zu geben, entsprechende Kapazitäten aufzubauen. Und, am wichtigsten: Die Zahl muss von zielgerichteten strukturellen Maßnahmen und Ressourcenaufwüchsen begleitet werden.
Die Hochschulverträge sind das zentrale Steuerungsinstrument der Politik, um die erste Phase der Lehrkräftebildung zu gestalten und den Universitäten Freiräume, aber auch Impulse zu geben, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die nötigen Veränderungsprozesse anzugehen.
In den sonderpädagogischen Fächern und dem Grundschullehramt gibt es hohe Erfolgsquoten – wer das Studium mit dem Bachelor beginnt, beendet es meist erfolgreich mit dem Master of Education, eine Folge der hohen Identifikation mit dem künftigen Beruf und der reformierten Grundschullehramts-Studiengänge. Dies bedeutet, dass höhere Absolvierendenzahlen hier – vergleichsweise einfach – über eine Erhöhung der Kapazität und Aufwüchse bei Professuren, wissenschaftlichem und Verwaltungs-Personal geschaffen werden können.
In MINT-Fächern und den beruflichen Fächern andererseits gibt es viele NC-freie Studienplätze, für die sich keine Interessierten finden. Hier weiter fiktive Plätze aufzubauen ist wenig erfolgsversprechend. Stattdessen müssen die Studiengänge attraktiver werden und besser an das Vorwissen der Studierenden anschließen, was zum Beispiel durch einen Ausbau von Begleitprogrammen und spezielle, professionsbezogene fachwissenschaftliche Veranstaltungen anstelle der allgemeinen Vorlesungen erreicht werden könnte.
Entwicklungen des Studienverlaufs im Auge behalten
Generell gilt jedoch, dass es momentan noch zu wenig Daten gibt, um die Wege der Studierenden vom Studienbeginn bis zum Abschluss oder Wechsel aus dem Studium zu verfolgen und Gründe zu erfassen. Abhilfe verschaffen könnte eine gemeinsame Datenbank der lehrkräftebildenden Universitäten mit regelmäßigen öffentlichen Reporten zur aktuellen Situation, auch mit Blick auf Diversitätsmerkmale, die einen Wechsel mehr oder weniger wahrscheinlich machen.
Der Mangellage an Dozierenden im Lehramt, die sich aus den weit unattraktiveren strukturellen Arbeitsbedingungen an Universitäten im Vergleich zu Schulen begründet, ist mit einer Ausweitung von Dauerstellen zu begegnen. Die jetzigen, beispielsweise im Sonderprogramm Beste Lehrkräftebildung geschaffenen Projektstellen bieten keine Perspektive für die Mitarbeitenden, sich in Prozesse einzuarbeiten und langfristig die Studienbedingungen zu verbessern. Die Gesetzgebenden verfehlen hier durch eigene Projektfinanzierung ihr politisches Ziel von Dauerstellen für Daueraufgaben.
Finanzielle Anreize als Druckmittel für die Universitäten zur verbindlichen Umsetzung der Vertragsvorgaben scheinen eher ungeeignet, da für das Land Berlin nicht von Interesse sein kann, nach Ablauf der Verträge Geld von den Universitäten zurückzufordern und weiter zu wenig Lehrkräfte zu haben. Die Universitätsleitungen würden diese Minder- oder ausbleibenden Mehreinnahmen im Zweifel einfach einplanen.
Partizipation und Transparenz sichern
Stattdessen gilt es, sie bei ihrem Statusbewusstsein zu packen: Falls sie sich den Zahlen und ihrem gesellschaftlichen Auftrag zur Lehrkräftebildung weiter verschließen und insbesondere in den Senaten gering priorisieren, sollte – durchaus auch als Druckmittel – die (Wieder-)Einführung einer Pädagogischen Universität oder einer gemeinsamen, zentralen (ähnlich der Charité organisierten) lehrkräftebildenden Fakultät mit möglichen Vor- und Nachteilen diskutiert werden. Hier wäre eine direktere Steuerung möglich und eine Identifikation von Leitung und Gesamtorganisation mit dem Ziel einer zukunftsfähigen und auskömmlichen Lehrkräftebildung.
Insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Koalitionsbildung müssen die Hochschulverträge transparent und partizipativ verhandelt werden, wie auch vor der Wahl von den (bisherigen) zuständigen Staatssekretär*innen versprochen. Davon ist momentan noch nichts zu merken – Lehrkräftebildung wird weiter nicht als öffentliches Gut verstanden. Mit dem (wahrscheinlichen) Einzug der CDU in die Landesregierung, die im Wahlkampf hinter die Gleichstellung von Grundschullehrkräften ein Fragezeichen gesetzt hat, gilt es nicht nur, für bessere Lehrkräftebildung zu streiten, sondern auch, gewerkschaftlich Errungenes wie die Akademisierung des Berufsstandes zu verteidigen.