Gewerkschaft
Nachruf auf Josef Grohé
Er hatte das Talent, auf eine im positiven Sinne diplomatische Art Konflikte zu schlichten (Langfassung)
Nachruf auf Josef Grohé
„Eine Unterrichtsstunde, ohne einmal gelacht zu haben, ist keine gute Stunde.“ So oder ähnlich hatte es Josef einmal formuliert und diese Worte sagen schon eine ganze Menge über sein Wesen aus: Wenn es um schulische Belange ging, hatte er immer auch die Schüler mit all ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten und mit mindestens einem positiven Auge fest im Blick, und immer hatte er gerne und viel gelacht. Er mischte sich gerne ein, hatte zu vielem etwas zu sagen - etwas Interessantes zu sagen - und er hatte das Talent, auf eine im positiven Sinne subtile diplomatische Art Konflikte zu schlichten oder zumindest zu entschärfen; seine Ideen schienen manchmal ungewöhnlich und aus einer anderen Welt zu stammen, regten aber stets zum neuen Nachdenken über einen Sachverhalt oder eine Situation an. Vor allem war er jedoch für mich ein lieber Kollege, stets freundlich im Umgang, der an unserer Schule den Fachbereich Musik souverän managte und dessen Rat ich immer zu schätzen wusste.
Bei aller Präzision seiner Gedankengänge war er auch ein Genussmensch: Nicht nur das häufige Lachen und Kichern, das vielen seiner Mitmenschen in Erinnerung bleiben wird, auch ausgiebiges Essen, die Vorliebe für guten Wein und das Vermögen, es sich gut gehen zu lassen, waren Wesenszüge von Josef. Auch das Rauchen. Vielleicht war dies dann auch die Ursache für den Beginn der Qualen der letzten schweren Jahren seines Lebens. Im Februar dieses Jahres ist er nach langer Krankheit gestorben.
Am 8. März 1955 wurde Josef in Herxheim bei Landau in der Pfalz geboren. Dort hatte er den Wald, die Natur, die er so sehr liebte, sozusagen vor der Haustür. Es war wohl eine glückliche Kindheit, seine guten Leistungen in der Schule und seine frühe Begeisterung für die Musik - er konnte herrlich Klavier spielen - trugen sicherlich auch dazu bei. Auf das Gymnasium folgte das Studium: zunächst Erziehungswissenschaften, dann das Schulmusikstudium sowie Latein, sein zweites Lehrfach. Sein Klavierspiel war so gut, dass er zusätzlich noch die Staatliche Musiklehrerprüfung ablegen konnte, was ihn als ausgebildeten Instrumentallehrer klassifizierte. Damit hatte er schon vor seinem Referendariat eine abgeschlossene Berufsausbildung. Er studierte weiter Klavier und widmete sich ausgiebig der Kammermusik, wofür er sich bis an sein Lebensende begeisterte.
Das Referendariat, wo er auch seine Frau Micaёla kennenlernte, absolvierte er in Berlin, bevor er nach zwei Anstellungen an Berliner Schulen endlich an die Menzelschule wechselte, die nach der Zusammenlegung mit dem Kleist-Gymnasium in „Gymnasium Tiergarten“ umbenannt wurde, welchem er bis zu seiner Berentung treu blieb.
Apropos Anstellung: Josef hatte sich damals bewusst, auch aus politischen Gründen, gegen die Verbeamtung entschieden und bis zum Schluss hatte er dies nie bereut. Schon in seiner Jugend war er ein politischer und politisch denkender Mensch: Er ließ sich als Schülersprecher wählen, später trat er in die GEW ein und war stets überzeugtes Mitglied. Als Lehrer engagierte er sich in verschiedenen schulischen Gremien und konnte dort in seiner geschickt-diplomatischen Art vieles durchsetzen, was nicht nur unserem gemeinsamen Fachbereich Musik zu Gute kam. Kam es zu einer kontroversen Diskussion während einer Gesamtkonferenz - und das ist an unserer Schule häufig der Fall - meldete sich mit Sicherheit Josef zu Wort und verblüffte alle mit einem unkonventionellen Vorschlag. Danke, lieber Josef, auch dafür!
Josef war nicht nur am Gymnasium Tiergarten mein lieber Kollege. Auch im Personalrat der Region Mitte, dem ich ebenfalls angehöre, war er seit 2016 reguläres Mitglied, nachdem er zunächst immer mal wieder als sogenannter „Nachrücker“ für verhinderte Kollegen eingesprungen war. Ich selbst kam im gleichen Jahr dazu. Die Arbeit im Personalrat war für Josef sehr wichtig. Er schaffte neue Ordnung in unseren Regalen, widmete sich zunehmend der persönlichen Beratung unserer Kollegen und übernahm gegen Ende seines beruflichen Lebens die Mammutaufgabe, die Personalratswahlen für die kommende Legislatur als Vorsitzender des Wahlvorstands zu organisieren und durchzuführen. Diese Arbeit nahm ihn sehr in Anspruch, aber es gelang ihm alles mit großem Erfolg. Außerdem sorgte er mit technischer Unterstützung für den reibungslosen Ablauf bei den jährlich durchgeführten Frauenversammlungen, die in der Aula unserer Schule stattfanden.
Es war unglaublich, was Josef alles zustande brachte und wie er alle seine Tätigkeiten scheinbar mühelos bewältigen konnte: Nicht nur, dass er unseren Fachbereich Musik kommissarisch leitete - leider nicht immer mit einer entsprechenden Vergütung - , nein, er setzte sich auch mit viel Engagement für die Einrichtung einer Musik-Kunst-Klasse an unserer Schule ein, leitete die Steelband-AG und in den letzten Jahren dann noch die Technik-AG, die für unsere Musikabende unverzichtbar war, bei denen er auch musikalisch immer wieder auch als brillanter Begleiter mitwirkte: „Was? - Du brauchst noch einen Pianisten? - Ich mach das schon. In welcher Tonart möchtest du denn singen?“ Daneben verbrachte er dann natürlich noch viel Zeit am Schreibtisch, um mit den zahlreichen guten Ideen, die er hatte, Unterrichtsmaterialien vorzubereiten. Musikalisch war er regelmäßig mit der Tin-Pan-Alley-Steelband unterwegs und frönte seiner Leidenschaft, der Kammermusik.
Wie hat er das alles nur geschafft? Denn immerhin hatte Josef ja auch noch drei Kinder. Von diesen wird er als liebevoller Vater beschrieben, der sich nicht nur gerne beim gemeinsamen Spielen oft und gerne zurück in die Kinderrolle versetzen konnte, sondern später auch ein guter Berater für persönliche drängende Fragen wurde.
Auch von seinen Kollegen wird er als sehr umgänglicher und überaus hilfsbereiter Mensch beschrieben, den man immer ansprechen konnte und der stets durchdachten und kompetenten Rat gab, wenn es mal irgendwo brannte. So war er nicht nur beliebt, sondern auch sehr geschätzt. Das kann ich aus vollem Herzen nur bestätigen. Gab es mal Probleme mit Schülern, so hat es mir sehr geholfen, eine andere Perspektive auf die Dinge von ihm aufgezeigt zu bekommen, die aus einem Konflikt vielleicht nur noch ein Konfliktchen werden ließ und die Luft aus einem Dampfkessel herausnahm. Auch organisatorisch hat er sich hervorgetan, zum Beispiel durch das Managen von Musikfahrten. Vor allem auch im Einladen der vielen Instrumente in den angemieteten Robben & Wientjes-Wagen (auch das Anmieten und Abholen des Wagens hat er übernommen) war Josef ein Meister: Drum-Set, Stabspiele, Keyboards, Notenständer, Steeldrums. Wir Musikkollegen dachten zunächst meist: „Unmöglich!“ Zum Schluss hat aber alles immer genau gepasst.
Dann, im Mai 2021, nur wenige Woche vor seinem Eintritt ins Rentenalter, der Schock. Wegen Herzbeschwerden ging er zum Arzt und bekam dann völlig unerwartet die Diagnose: Lungenkarzinom. Das haute nicht nur Josef um, sondern natürlich auch seine Familie, seine Freunde, uns alle. Seiner Verabschiedung von den Schülern und Kollegen kurz vor den Sommerferien konnte er nicht beiwohnen - es ging ihm zu schlecht. Wir drehten für ihn ein Video mit einer auf ihn gemünzten Performance, über die er sich sehr freute.
Dann in diesem, aber auch in den folgenden Jahren, die ihm noch blieben, ein ständiges Auf und Ab, Tendenz fallend: Anfang Januar 2022 ein Hirnschlag, anschließende OP, Depressionen. Klavierspielen war über längere Zeit unmöglich, irgendwann ging es dann wieder ein wenig. Ich möchte hier nicht alle Details nennen. Mein Kontakt zu ihm riss leider ziemlich ab, nur wenige Male sollte ich ihn noch sehen und sprechen können. Eine seiner beiden Töchter hielt mich das letzte halbe Jahr über auf dem Laufenden, über Hoffnungen und Krisen, die alle, die ihm nahestanden, mit durchmachen mussten. Am 14. Februar, keine vier Wochen vor seinem 69. Geburtstag, starb Josef, geschwächt durch einen Keim, der sein Herz angriff, im Krankenhaus. Seine Familie konnte sich von ihm verabschieden. Ich leider nicht mehr.
Ein Trost: Bei der Trauerfeier waren neben vielen Verwandten und Freunden auch viele Kollegen und ehemalige Kollegen anwesend, ein Zeichen dafür, wie beliebt und angesehen er war, aber auch, was für einen Verlust es bedeutet, diesen großartigen Menschen verloren zu haben.