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bbz 09 / 2016

Nenn mich nicht Lars, ich bin Lisa

Kinder und Jugendliche machen im Laufe ihres Lebens viele kleinere und auch größere Veränderungen durch. Genauso und doch ganz anders trans* Kinder und -Jugendliche.

Junge Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht dem entspricht, was sie an Zuschreibung erfahren, brauchen Unterstützung auf ihrem Weg und Möglichkeiten, sich mit anderen darüber auszutauschen. Das Projekt TRANS*-JA UND?! hilft, aber auch Pädagog_innen sind gefragt, einen Beitrag zu leisten.
Kindern und Jugendlichen gegenüber wird ihr Trans*-sein häufig angezweifelt, als Krankheit deklariert und mit psychiatrischen Diagnosen belegt. Ihre Identität bleibt oft unsichtbar, wird ignoriert oder abfällig kommentiert. Es fehlt an kompetenter, unterstützender Beratung und speziellen Angeboten für trans* Kinder, -Jugendliche und deren Angehörige. Die höheren Raten von trans* Schulabgänger_innen ohne Abschluss, die vielen Probleme in Familie, Schule und Ausbildung sind Ausdruck vielfacher Diskriminierungen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitssektor.
Diese halten Jugendliche und junge Erwachsene Trans* oft davon ab, ein selbstbewusstes Selbstbild zu entwickeln und eine gleichberechtigte demokratische Teilhabe zu realisieren. Auch die »Expertise zur Benachteiligung von Trans*-Personen insbesondere im Arbeitsleben« der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt dies auf.

Du bist ein Junge und damit basta

Junge Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht dem entspricht, was sie an Zuschreibung erfahren, brauchen Unterstützung auf ihrem Weg und Möglichkeiten, sich mit anderen darüber auszutauschen. Gerade PädagogInnen haben hier eine besondere Verantwortung, aber auch eine besondere Chance ihnen beizustehen.
Was kann ein_e Pädagog_in im Alltag für Trans* tun?

• Sprich trans* idente Menschen mit den Vornamen ihrer Wahl an und benutze beim Sprechen über sie deren bevorzugte Pronomen – auch falls das deiner eigenen Wahrnehmung nicht entspricht und es keine offizielle Namensänderung gibt.

• Schreibe trans* Kinder und Jugendliche – auch im Klassenbuch und in Zeugnissen – ihrer Identität entsprechend. Das ist äußerst sinnvoll und rechtlich auch zulässig.

• Biete vertrauliche Gespräche an. Stelle aber nur Fragen, die für die Nähe eurer Beziehung auch angemessen sind. Behandele vertrauliche Informationen unbedingt als solche. Oute keine_n gegen seinen_ihren Willen!

• Prüfe deine Einrichtung – beispielsweise auf geeignete Materialien und genderneutrale Toiletten und mach auf Bedarfe aufmerksam – beispielsweise für eine Schulung des Kollegiums.

• Mach dich vertraut mit der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen und benenne Trans* und Inter*geschlechtlichkeit als normale Varianten.

• Hole dir selbst Rat, sofern du es benötigst.

• Setz dich für die Wahrung von Grund- und Menschenrechten und gegen Homo-, Trans* und Inter*feindlichkeit ein.

Internet ist oft der erste Schritt

Unterstützung für junge Trans* gibt es auch durch das Projekt TRANS*-JA UND?!. Das ist ein Projekt mit dem vorrangigen Ziel, ihnen aus der Isolation heraus und zu einem stärkeren Selbstbewusstsein in Auseinandersetzung mit der eigenen Identität zu helfen.
Oftmals ist das Internet die einzige Möglichkeit oder der erste Schritt, um sich auszutauschen und zu informieren, ohne sich selbst zu outen. Der nächste Schritt kann die Teilnahme an einem Projekt, einer Gruppe oder einem Treffen in einem geschützten Rahmen speziell für junge Trans* sein. Für sie ist es wichtig, dass die richtigen Pronomen verwendet werden und sie mit dem für sie stimmigen Namen angesprochen werden. Einige Trans* benutzen für sich Begriffe wie transsexuell, transgender, trans* oder transident, hinterfragen Kategorien wie »männlich« und »weiblich«, »Frauen« und »Männer« und suchen für sich selbst nach einem stimmigen Weg innerhalb oder außerhalb gewöhnlicher Zuordnungen.
Sie wollen sich nicht erklären müssen, sondern angenommen werden, wie sie sind. Und das ist für sie im Alltag, in der Schule, in anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe leider nicht selbstverständlich gegeben. Sie brauchen Räume, in denen sie sich treffen können, sich informieren, austauschen oder einfach mal entspannen und gemeinsam Spaß haben.

Ich bin nicht alleine

Solche Angebote und Gruppen sind rar, aber im Rahmen von TRANS*-JA UND?! gibt es Angebote, um bestehende Trans*-Jugendgruppen und einzelne junge Trans* zu stärken. Unter anderem gibt es bundesweit in vier verschiedenen Städten Medien- und Empowerment-Workshops für junge Trans*. Viele Teilnehmer_innen tauen während eines TRANS*- JA UND?!-Workshops förmlich auf. Sie bekommen Mut zu erzählen, fühlen sich «das erste Mal normal«, begegnen anderen jungen Trans* und erleben, dass sie nicht allein sind. Sie haben von der Leitung ihrer Trans* Jugendgruppe vom Workshop erfahren, oder sind beim Surfen im Internet auf die Projektwebseite gestoßen, haben eine Postkarte zur Bewerbung des Projekts gefunden oder von Freund_innen davon gehört.
Die 14- bis 26-jährigen Teilnehmenden erzählen hier ihre eigenen Geschichten. Spielerische Übungen und gemeinsame Essenspausen sorgen für eine lockere, entspannte Atmosphäre und genügend Zeit zum Austauschen und Kennenlernen. Ein Warm Up mit kreativem Schreiben bringt auch ungeübte Schreiber_innen dazu, ihre Kreativität zu nutzen und Texte entstehen zu lassen. Mit professioneller Unterstützung entstehen aus den Texten je nach Workshop-Schwerpunkt Trickfilme oder Aufzeichnungen von Spoken Word Performances. Dabei entscheiden die Teilnehmenden immer selbst, ob und wie sie zu sehen sind.

Fragen, die ich nicht mehr hören will

Die entstandenen Videos sind sehr vielseitig. In »Fragen, die ich nicht mehr hören will« sind solche aufgezählt, die als nicht respektvoll, unangemessen oder verletzend empfunden werden. In einem anderen Film erzählt der Autor vom Gefühl, nicht Aufstehen zu wollen bei dem Gedanken an all das, was ihn an diesem Tag wieder erwarten wird. Das Video »Personal Space« besteht aus Collagen und Bildern, die mit Ton unterlegt sind. Es handelt vom Wunsch nach Freiheit und Raum, von fehlendem Freiraum und den Beklemmungen durch unpassende Zuschreibungen. Das absurde Glücksmoment im Film zeigt eine Person, die in der engen Bahn stürzt und trotz der schmerzlichen Erfahrung lächelt, weil sie in diesem Moment eine für sich stimmige Geschlechtszuschreibung bekommt.
Sofern sie es wollen, können die Teilnehmenden der Empowerment-Workshops ihre digitalen Produkte zur Veröffentlichung freigeben. Einige der Videos aus den Workshops sind nun auf der Projektwebseite zu sehen und stehen dadurch einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung. Sie können als Beispiele gezeigt werden, um einen Eindruck von Lebensrealitäten von jungen Trans* zu vermitteln.

Sichtbar werden für Veränderungen

Bislang gibt es kaum Forschung über die Lebenssituation von Trans*Jugendlichen. Im Projekt TRANS*- JA UND?! fanden deshalb 2015 im Anschluss an die Workshops auch Forschungsgespräche statt, an denen sich viele Workshop-Teilnehmer_innen engagiert beteiligten. Die Ergebnisse werden vermutlich im Sommer 2016 veröffentlicht. Mit den Forschungsergebnissen sollen Politik und andere Entscheidungsträger_innen über Lebenssituationen und mögliche Bedürfnisse von trans* Jugendlichen informiert werden. Die Beteiligten wollen dazu beitragen, dass sich für sie und andere etwas ändert. Hoffen wir, dass es klappt.