Gewerkschaft
Neue Chancen und alte Konflikte
Ostdeutsche Hochschulen erlebten nach der Wende dramatische Umstrukturierungen. Marianne Kriszio gibt einen Einblick in ihre Zeit als Frauenbeauftragte an der Humboldt-Universität.
Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde die Hochschullandschaft an die in Westdeutschland geltenden Strukturen angepasst. Für die Beschäftigten ostdeutscher Hochschulen war das mit unerwarteten Problemen und vielfältiger Arbeitslosigkeit verbunden. Dies galt in Ostberlin noch stärker als in den übrigen neuen Bundesländern. In Berlin führte der Zusammenschluss von Westberlin mit der früheren Hauptstadt der DDR dazu, dass die Westberliner Senatsverwaltung, ergänzt um relativ wenige Beschäftigte aus dem Osten, die Entscheidungsmacht über das Schicksal der Ostberliner Hochschulen hatte. Dazu kamen finanzielle Probleme in ganz anderem Ausmaß als in den anderen ostdeutschen Ländern, denn die Vielzahl der Hochschuleinrichtungen, die es 1990 in Westberlin und in Ostberlin gab, überschritt deutlich die finanziellen Möglichkeiten des neuen Bundeslandes Berlin, sodass drastische Reduzierungen des Personalbestands erforderlich waren.
Nach der Wende kamen die Kürzungen
Ich kam im August 1993 als neugewählte Zentrale Frauenbeauftragte an die Humboldt-Universität (HU) in Ostberlin. Vorher hatte ich diese Position an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg innegehabt. Dort hatte ich die gewerkschaftlichen Diskussionen zu den strikten Befristungsregelungen im Mittelbau seit dem Hochschulrahmengesetz von 1976 miterlebt. Von daher war ich gut vorbereitet auf die Probleme, die es im Zuge der personellen Überleitung an der HU geben sollte.
An den Westberliner Hochschulen gab es nach der Wende auch Schließungen von Fachbereichen, aber dort war dies nicht mit Entlassungen verbunden. An der HU wurde der Stellenplan um etwa die Hälfte der Stellen reduziert. Klar war, dass diejenigen gehen mussten, denen Stasi-Tätigkeit nachgewiesen wurde oder denen aufgrund zu hoher Parteipositionen eine zu große Systemnähe bescheinigt wurde. Außerdem wurde vielen nahegelegt, ab 55 oder 60 in den Vorruhestand zu gehen. 60 war in der DDR das Rentenalter für Frauen gewesen. Nach dem neuen Bundesrecht galt das aber nicht mehr, und nicht alle Frauen wollten mit 60 aufhören, zumal die Rente dann gekürzt wurde.
Für alle früheren Professor*innen galt in Berlin, anders als in den übrigen neuen Bundesländern: ihre bisherigen Stellen wurden ausgeschrieben und sie mussten sich darauf neu bewerben – in Konkurrenz zu externen Bewerber*innen und nach den in Westdeutschland üblichen Qualitätsstandards. Dazu gehörten insbesondere Publikationen in renommierten Fachzeitschriften, und Ostdeutsche hatten in der Regel keinen vergleichbaren Zugang zu diesen Publikationsorganen gehabt. Trotzdem schafften es in den Natur- und Sprachwissenschaften und in der Medizin nicht wenige frühere Professor*innen und Dozent*innen, (wieder) berufen zu werden. In den übrigen Geistes- und Sozialwissenschaften sowie den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften gelang dies jedoch nur wenigen.
Ringen um Weiterbeschäftigung
Für die Wissenschaftler*innen in Mittelbaustellen, die nicht aus politischen Gründen oder wegen fehlender Qualifikation sofort gekündigt wurden, gab es folgende Alternativen: Weiterbeschäftigung auf der bisherigen Stelle für maximal fünf Jahre, Beschäftigung auf einer Überhangstelle für maximal drei Jahre, eine neue befristete Mittelbaustelle, und nur für sehr wenige eine unbefristete Stelle, wie sie diese vorher gehabt hatten. Für die HU galt dabei die Vorgabe: maximal 20 Prozent der Mittelbaustellen im Stellenplan sollen unbefristet sein.
Als ich im Sommer 1993 nach Berlin kam, war die Überleitung in den Fächern Soziologie, Philosophie, Erziehungswissenschaften, Jura und Wirtschaftswissenschaften abgeschlossen. Die Entscheidungen über das nicht-professorale Personal in den Naturwissenschaften, Sprachwissenschaften und der Medizin standen aber noch aus. In den Sitzungen der Universitätsleitung mit der Senatsverwaltung, unter Beteiligung von Personalrat und Frauenbeauftragter, wurde über jede einzelne Person entschieden.
Gegen den Vorschlag der Universität gab es öfter Einwände aus der Innenverwaltung des Senats, beispielsweise wegen Stasi-Tätigkeit, aber auch wegen zu hoher Position in der SED. Hierzu gab es häufig Auseinandersetzungen darüber, was wirklich hohe Machtpositionen waren. So sollte zum Beispiel einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin gekündigt werden, die als Doktorandin Mitglied der Kreisleitung der SED an der HU gewesen war. Für die Innenverwaltung war dies Beweis einer deutlichen SED-Nähe, während der Vizepräsident uns erklärte, dass dies eher eine Quotenposition für die Doktorand-*innen war. Die Senatsverwaltung bestand auf sofortiger Kündigung, aber die Wissenschaftlerin klagte dagegen und konnte befristet weiterbeschäftigt bleiben.
Frauen kämpften für ihre Rechte
In der DDR war der Frauenanteil am wissenschaftlichen Personal 1990 mit 35 Prozent deutlich höher als in Westdeutschland, wo er damals nur 18 Prozent betrug. Einen sehr viel höheren Anteil gab es bei den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, und es gab viel mehr unbefristete Stellen. Bei den Professuren waren in der DDR auch nur knapp 5 Prozent Frauen, dazu kamen aber 12 Prozent Dozent*innen, was insgesamt einen Anteil von 9 Prozent der Hochschullehrer*innen ergab, gegenüber damals 5 Prozent in Westdeutschland.
Neue Freiheiten und unerwartete Erwerbslosigkeit
Nach der Wende wurden auf die Professuren an der HU zunächst vor allem Männer berufen. Proteste der Berliner Frauenbewegung und der Hochschulfrauenbeauftragten führten dazu, dass der Wissenschaftssenator versprach, darauf zu achten, dass auch Frauen berufen werden. 1995 waren an der HU knapp 13 Prozent aller Professuren mit Frauen besetzt, deutlich mehr als in Westdeutschland, aber etwas weniger als vor der Wende. Dabei fiel auf, dass unter den Neuberufenen aus dem Osten der Frauenanteil etwas höher war als bei denen aus dem Westen.
Die Überleitungen im Mittelbau führten nicht zu einer Benachteiligung von Frauen. Unter anderem war der Umgang mit alleinstehenden Frauen mit Kindern anders als in Westdeutschland. An der HU hieß es, diese Frauen müssten bleiben, sie müssen ja ihre Kinder versorgen. Der Frauenanteil blieb bis 1993 stabil bei 36 Prozent. Danach sank er etwas, denn unter den neu eingestellten Nachwuchswissenschaftler*innen waren deutlich weniger Frauen. Die neuberufenen Professor*innen konnten direkt in den Berufungsverhandlungen klären, wen sie auf diese Stellen mitbringen wollten, und das waren meist Männer. In den folgenden Jahren wurden die gesetzlichen Beteiligungsverfahren auch bei Nachwuchsstellen beachtet und der Frauenanteil stieg so wieder.
Für viele frühere Mitarbeiter*innen der HU war der Verlust ihres Arbeitsplatzes schwer zu akzeptieren. Sie hatten sich auf die neuen Freiheiten gefreut: Reisemöglichkeiten, Zugang zu internationaler Literatur, Freiheiten in der Lehre. Und nun wurde ihnen gesagt, dass in der neuen Personalstruktur für Sie kein Platz mehr ist. In westdeutschen Hochschulen können Menschen in Dauerstellen ohne Fehlverhalten nicht gekündigt werden, aber für die Ostberliner Hochschulen galten durch das Hochschulpersonal-Übernahmegesetz des Landes Berlin Sonderregelungen, die dies bis Ende 1993 ermöglichten.
Menschen, die damals eine sofortige Kündigung erhielten, haben dagegen geklagt, auch mit Unterstützung der GEW, und in manchen Fällen ihren Arbeitsplatz erhalten können. Andere, die noch eine Weiterbeschäftigung für mehrere Jahre erhielten, konnten sich nicht vorstellen, dass sie auch bei positiver Beurteilung in den nächsten Jahren keine Chance auf Weiterbeschäftigung hätten, da sie sich nicht vorstellen konnten, wie rigide im bundesdeutschen Hochschulrecht befristet wird. Nach dem Auslaufen ihrer Stelle hatten diese dann meistens keine Chance auf einen Anschlussvertrag.
1993 kamen an der HU insgesamt noch mehr als die Hälfte aller Professor*innen aus den neuen Bundesländern. In den folgenden Jahren wurden dann überwiegend Personen aus den alten Bundesländern berufen. Erst als sich eine neue Generation ostdeutscher Wissenschaftler*innen unter bundesdeutschen Bedingungen qualifizieren konnte, spielte die Herkunft keine Rolle mehr.