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bbz 01-02 / 2019

Antisemitismus macht am Schultor nicht halt

Die Vorfälle dieses Jahres sind nur die Spitze des Eisbergs, denn subtile Anfeindungen werden oft nicht gemeldet und erfasst. Es ist Zeit, das zu ändern und Haltung zu zeigen

Innerhalb kurzer Zeit meldeten unterschiedliche Berliner Schulen in unterschiedlichen Stadtbezirken ähnliche, besorgniserregende Vorfälle. Jüdische Schüler*innen wurden aufgrund ihrer Religion zum Teil monatelang von Mitschüler*innen beleidigt, gemobbt oder sogar körperlich angegriffen. In allen Fällen nahmen die Eltern der Betroffenen ihre Kinder von der Schule. Viele von ihnen kritisierten schlechtes Krisenmanagement, mangelndes Verständnis und eine Verharmlosung des Problems. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) registrierte im neuen Kalenderjahr bis zum Oktober 2018 zehn, die Beratungsstelle OFEK der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland fünf Vorfälle an Berliner Schulen.

Immer wieder betonen die Melde- und Beratungsstellen, dass unzählige Fälle antisemitischer Diskriminierungen und subtiler Anfeindungen oft nicht dokumentiert werden, die Dunkelziffer also entsprechend hoch sein dürfte. Als Reaktion auf einige öffentlich skandalisierte und medial breit wirksame Vorkommnisse an Berliner Schulen will der Senat ab dem nächsten Schuljahr antisemitische Vorfälle systematisch erfassen. Antisemitismus soll dabei als eigenständige Kategorie in den Notfallplänen verankert werden. Damit ist eine Meldepflicht der Schulleitungen gegenüber der Senatsverwaltung und gegebenenfalls auch gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft verbunden.

Antisemitismus auf verschiedenen Ebenen begegnen

Für die systematische Erfassung von Antisemitismus an Schulen ist eine Meldepflicht zu begrüßen. Vielleicht kann sie dazu beitragen, die Sensibilität gegenüber dem Thema zu erhöhen und antisemitische Diskriminierung deutlicher zu sanktionieren. In pädagogischer Hinsicht erfordert die kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus jedoch andere Impulse. Auch im Bildungsprozess gilt es, klar Stellung zu beziehen, antisemitisches Verhalten nicht zu bagatellisieren, sondern deutlich abzulehnen und potentiell Betroffene zu schützen. Doch Sprechverbote allein helfen hier nicht weiter. Vielmehr sollten auch im Sinne der Prävention die persönliche Reflexion und Einsicht in mögliche Problemlagen im Vordergrund stehen. Die pädagogische Auseinandersetzung mit von Ressentiments geleiteten Denk- und Deutungsmustern sollte dazu anregen, eigene Bilder und Meinungen kritisch zu hinterfragen und sich mit alternativen Positionierungen zu beschäftigen. Dabei ist natürlich die Vermittlung von Fakten und Hintergrundwissen wichtig, um Dinge verstehen und in einen Kontext stellen, also einordnen zu können.

Ebenso relevant ist aber die Stärkung von Individuen auf der affektiven Ebene. Daher sollte antisemitismuskritische Bildung selbstreflexive Denk- und Lernprozesse anstoßen und die Förderung von Ich-Stärke und Ambiguitätstoleranz in den Fokus stellen. Denn die Befähigung zum Wahrnehmen, Aushalten und konstruktiven Umgehen mit Widersprüchen kann dazu beitragen, einen Rückgriff auf problematische Zuschreibungen, Vereindeutigungen und verschwörungs-theoretische Ansätze überflüssig zu machen.

Weil das Thema komplex und seine schulische Behandlung als bloß historisches Phänomen unzureichend bleibt, stehen Lehrkräfte hierbei vor besonderen Herausforderungen. Das Projekt »Anders Denken« der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) hat deshalb eine Onlineplattform entwickelt, die sich gezielt an schulische und außerschulische Lehrende sowie alle Engagierten richtet, die sich pädagogisch mit aktuellem Antisemitismus auseinandersetzen wollen.


Ein Online-Angebot unterstützt Lehrkräfte

Die Plattform bietet allgemeines Hintergrundwissen und informiert über bildungspraktische Grundlagen, Ansätze und diskursive Spannungsfelder. Darüber hinaus finden Interessierte hier Orientierung hinsichtlich aktueller Debatten, Veranstaltungen und Best-Practice-Empfehlungen. Ein eigener Download-Bereich stellt konkrete Methoden für die antisemitismuskritische Bildung bereit.

ANDERS DENKEN – Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit www.anders-denken.info