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Tendenzen

Bekenntnis zur Neutralität

In Berlin ist es Lehrkräften verboten, offen religiöse Kleidung zu tragen. Der Berliner Fachverband Ethik macht sich für die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes stark.

The cross against the book.
Foto: Adobe Stock

Seit dem Jahr 2005 gilt in Berlin ein Neutralitätsgesetz, das pädagogischen Beschäftigten an öffentlichen Schulen das Tragen auffälliger religiöser Kleidungsstücke im Dienst untersagt. Das Bundesarbeitsgericht hat die damit einhergehende Praxis, eine Kopftuch tragende Lehrerin mit Verweis auf das Gesetz nicht einzustellen, in dieser Allgemeinheit als unzulässig kassiert. Der Justizsenator wollte das Neutralitätsgesetz daraufhin zu Fall bringen, konnte dies aber in der zu Ende gehenden Amtszeit des aktuellen Senats nicht mehr durchsetzen.

Der Berliner Fachverband Ethik, der seit seiner Gründung im Jahr 2006 ein Forum für Ethiklehrkräfte und am Fach interessierter Bürger*innen aus dem öffentlichen Leben darstellt, setzt sich für den Erhalt des Neutralitätsgesetzes ein. Warum?

Im Ethikunterricht lernen Schüler*innen die Vielfalt religiöser und weltanschaulicher Prägungen auch im eigenen Klassenverband wahrzunehmen und zu deuten. Sie üben sich darin, die Perspektiven anderer einzunehmen und die eigene Sicht im Dialog argumentativ verständlich zu machen und so zu einem Urteil zu gelangen, das sich bestenfalls in ethisch reflektiertes Handeln übersetzt. Dieser für unser demokratisches Zusammenleben so grundlegende Prozess soll von einer Lehrkraft begleitet und gefördert werden. Diese fördert die inhaltliche Offenheit des Austauschs und begrenzt diese nur insofern, als sie sich universalen Menschenrechten verpflichtet fühlt. So ermöglicht sie überhaupt erst den offenen Austausch ohne Ausgrenzung. Die dafür nötige welt-anschauliche Zurückhaltung der Lehrkraft sollte nicht durch religiös markierte Äußerlichkeiten irritiert werden. Deshalb werben wir dafür, die sichtbare Demonstration bekenntnisbezogener Neutralität für Lehrkräfte nicht als Verbot, sondern als Gebot zu verstehen: Es gebietet die Selbstprüfung, ob man in der Rolle der Lehrkraft bereit ist, dieser repräsentativen Neutralität im Beruf den Vorrang einzuräumen gegenüber dem eigenen religiösen Ausdruck. Das gilt gleichermaßen für Kippa, Kreuz oder Kopftuch. Während der Berufsausübung auf eine religiös motivierte Bekleidung zu verzichten, bedeutet eine selbstbestimmte Priorisierung der Neutralität im Namen der Pluralität unserer Gesellschaft.

Davon unbenommen und im thematischen Zusammenhang mitunter sinnvoll ist, dass Ethiklehrkräfte der Klasse die eigene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung beziehungsweise Prägung mitteilen, insbesondere wenn aus der Klasse ausdrücklich danach gefragt wird. Dadurch erhalten die Schüler*innen die Möglichkeit, Beiträge von Lehrkräften zu deuten, einzuordnen und in Frage zu stellen. Die Lehrkräfte realisieren damit eine standpunktbezogene Parteilichkeit, machen diese aber transparent und diskutabel. Auf keinen Fall darf jedoch eine Lehrkraft einseitig bestimmte Beiträge von sich oder Schüler*innen bewusst mit dem Gewicht der eigenen Position und persönlicher Bewertung versehen.

Aus diesem auf die Lehrkräfte bezogenen Plädoyer folgt ausdrücklich kein Appell an Schüler*innen: Sie haben in der Schule keine von ihrer Persönlichkeit abstrahierte Funktion inne – im Gegensatz zu ihren Lehrkräften, die in der Schule immer auch als Vertreter*innen gesamtgesellschaftlicher Ziele und Ideale auftreten. Zu diesen gehört – und dies ist kein Widerspruch, sondern folgerichtig – der entschiedene Einsatz gegen jedwede Diskriminierung von Menschen, die in der Öffentlichkeit religiöse Symbole tragen oder ihre Religion anderweitig ausüben, ohne die Religionsfreiheit anderer zu verletzen. Das gilt zum Beispiel auch für Kopftuch tragende Schülerinnen im Klassenverband: Jede Ethiklehrkraft wird in ihrem Namen für die (positive) Religionsfreiheit eintreten und sie gegen Diskriminierung durch Mitschüler*innen in Schutz nehmen. Dem ist sie genauso verpflichtet wie der auch negative Religionsfreiheit ermöglichenden Neutralität im (Schul-)Dienst. Beides muss zusammen gedacht werden.       

Zum Thema Neutralitätsgesetz gab es in der bbz eine ganze Reihe von Artikeln und Kommentare. 
Eine Auswahl davon ist online veröffentlicht: www.gew-berlin.de/zeitschrift-bbz/dossier/

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46