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bbz 01 / 2017

Blaupause für Europa

In Griechenland werden unter dem Vorwand des »Sparens« ökonomische Vorgaben im Bildungswesen verankert. Dazu wird sich nun auch der Schüler*innen bedient.

In Griechenland werden unter dem Vorwand des »Sparens« ökonomische Vorgaben im Bildungswesen verankert. Dazu wird sich nun auch der Schüler*innen bedient.

von Peter Baumann

Alle Lehrkräfte sollten in Griechenland bewertet werden, mit dem Ziel, ein Fünftel von ihnen aus dem Schuldienst zu entfernen. Eine weitere »Sparmaßnahme«, die der griechischen Regierung diktiert wurde. Die »Evaluation von Lehrkräften« war denn auch das Schwerpunktthema auf dem Kongress der Gewerkschaft OLME im Ägaisort Vavrona, an dem ich als Gast teilnahm. Die OLME vertritt alle Lehrkräfte an griechischen Sekundarschulen und steht seit einiger Zeit im regen Austausch mit der GEW BERLIN. Zwar wurde der Gesetzentwurf nach heftigen Protesten inzwischen zurückgezogen, doch ist das Thema damit noch nicht endgültig vom Tisch. Was war im einzelnen geplant, und was hat das Ganze mit Deutschland zu tun?

Schüler*innen sollen ihre Lehrkräfte bewerten

Griechenland steht bekanntlich unter der »Aufsicht« der internationalen Geldgeber, die darüber wachen, ob Griechenland seine Sparauflagen einhält. Dazu gibt die OECD immer wieder sogenannte Memoranden heraus, die Richtlinien zur Umsetzung der Auflagen enthalten. Eines dieser Memoranden gab Kriterien vor, nach denen der Unterricht der griechischen Lehrkräfte zu bewerten ist. Solche Kriterien werden als »objektiv« und ihre Erfüllung als eindeutig messbar verkauft. Sie haben gewisse Ähnlichkeiten mit den Maßstäben bei uns, anhand derer unsere Lehrkräfte beurteilt werden. Hinzu sollte aber in Griechenland kommen, dass auch die griechischen Schüler*innen ihre Lehrkräfte bewerten sollten.
Die Bewertung von Schüler*innen hätte auf diese Weise einen deutlichen Einfluss darauf bekommen, ob eine Lehrkraft ihren Arbeitsplatz behält oder nicht. Ein solches Vorhaben ist nicht nur fragwürdig, es ist ein Skandal! Völlig übersehen wird dabei nämlich, dass Lehrkräfte nicht nur Wissen zu vermitteln haben, sondern auch Erziehende sind. Wie kann man planen, dass Kinder und Jugendliche, die sich möglicherweise gerade in einem erzieherischen Konflikt mit ihrer Lehrerin oder ihrem Lehrer befinden können, über eine Maßnahme mitentscheiden, deren Tragweite sie nicht beurteilen können? Glaubt man ernsthaft, Kinder und Jugendliche, deren Entscheidungen hauptsächlich von Gefühlen und momentanen Stimmungen abhängen, seien dazu in der Lage?


Pädagogischer Erfolg ist schwer messbar

Schon seit längerer Zeit kann man auch in Deutschland beobachten, dass bei der Beurteilung von Unterricht pädagogische Kriterien eine untergeordnete Rolle spielen. Stattdessen wird Unterricht nur danach beurteilt, ob etwas gelernt wurde oder nicht. Hier hat sich das Denken nach Vorgaben der OECD weitgehend durchgesetzt, wie man bei länderübergreifenden Tests wie PISA oder den regelmäßigen alljährlichen Vergleichsarbeiten wie VERA in Berlin leider feststellen muss. Es spielt überhaupt keine Rolle mehr, wie groß die Lernleistung bei Schüler*innen – und damit die pädagogische Leistung der Lehrkraft – vorher war, wenn hinterher ein bestimmter Inhalt bekannt ist. Schon gar nicht sind OECD-Kriterien in der Lage, festzustellen, ob Schüler*innen zu demokratischem Denken erzogen worden sind oder nicht.

Genauso wenig darf eine Schule zum Beispiel nach der Durchschnittsnote ihres Abiturjahrgangs beurteilt werden. Hinter einem schlechteren Abiturdurchschnitt verbirgt sich nur allzu oft die weitaus größere pädagogische Leistung der Lehrkräfte. So betrachtet, sagt das in der Öffentlichkeit immer wieder bemühte Kriterium »nachgefragte Schule« nichts über die Qualität der pädagogischen und der Erziehungsarbeit aus. Beide Länder, Griechenland und Deutschland, gehören der OECD an. In Griechenland wollte man die fragwürdigen Beurteilungskriterien für die Leistung von Lehrkräften anwenden, und dort sogar mit dem Ziel, das pädagogische Personal an den Schulen zu dezimieren. In Deutschland ist es noch nicht soweit. Gleichwohl sollten wir alle in unserem beruflichen Ethos mehr in den Vordergrund rücken, dass wir zwar auch Lehrende, aber in allererster Linie Erziehende sind.