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Exzellent und Perspektivlos

Die Berliner Universitäten im Kodex-Check

Die GEW bietet bundesweit die Möglichkeit, Universitäten in puncto guter Beschäftigungsbedingungen und attraktiver Karrierewege zu vergleichen.

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Foto: Bertolt Prächt

Anna Schmidt könnte Glück haben: Sie hat gerade einen guten Master of Education hingelegt, ihre Masterarbeit hat ihr viel Spaß gemacht und nun überlegt sie, nicht direkt ins Lehramt zu wechseln, sondern in der empirischen Bildungsforschung zu promovieren. Wegen sprudelnder Projektgelder hat sie die seltene Gelegenheit, dass ihr von allen Berliner Universitäten Promotionsmöglichkeiten angeboten werden. Wer hilft ihr in der Qual der Wahl? Natürlich: das Onlineportal der GEW zum kodex-check.de.

Wir erinnern uns: Schon 2012 hat die GEW im Herrschinger Kodex Standards für gute Beschäftigungsbedingungen und attraktive Karrierewege in der Wissenschaft vorgeschlagen. Mittlerweile ist das Thema auch in den Ministerien angelangt, die Universitäten bewegen sich langsam aber sicher darauf zu, ihre Nachwuchsförderung zu systematisieren und sie spüren in manchen Feldern tatsächlich auch so etwas wie einen Wettbewerb um die »besten Köpfe« .

Trotzdem ist der Arbeits»markt« Wissenschaft noch lange kein richtiger Markt, in dem die Beschäftigungs-Angebote unter allen Aspekten rational verglichen werden und die Nachfrage sich dann das ökonomisch beste Angebot sucht. Auch Anna Schmidt, deren Beispiel ich für diesen Artikel erfunden habe, würde sich vielleicht nach fachspezifischen Kriterien entscheiden und das interessanteste Projekt mit dem vielversprechendsten Forschungsteam auswählen. Aber dennoch lässt sich der Wettbewerb der Universitäten um den Ruf, eine gute Arbeitgeberin zu sein, durchaus befördern und unter einzelnen Aspekten können Universitäten schon heute verglichen werden. Informationen dazu werden auf der Website kodex-check.de bereitgestellt, die die GEW im März dieses Jahres online freigeschaltet hat.

Die dort aufgeführten Daten stammen in erster Linie aus einem Forschungsprojekt zu »Beschäftigungsbedingungen und Personalpolitik an Hochschulen in Deutschland« (BEPHO), das von Ende 2014 bis Anfang 2016 von der Max-Traeger-Stiftung der GEW finanziert wurde. Im Projekt wurden die öffentlich zugänglichen statistischen Daten der 45 studierendenstärksten Universitäten in Deutschland nach den Kriterien des Herrschinger Kodex aufbereitet und ausgewertet. Einen begleitenden Fragebogen (beispielsweise zur Dauer der befristeten Verträge) hat nur eine Minderheit der Universitäten beantwortet, so dass hieraus nur begrenzt allgemeine Schlüsse gezogen werden konnten. Die Analysen haben beachtenswerte Unterschiede zwischen den Universitäten gezeigt, die sich auch durch Aspekte von unterschiedlicher Drittmittelausstattung, einem unterschiedlichen Fächerspektrum oder der Förderung in der Exzellenzinitiative nicht «wegerklären« lassen. Es lässt sich also feststellen, dass nach Jahrzehnten einer Hochschulpolitik, die den Hochschulen immer stärkere Autonomie gewähren will, durchaus Unterschiede zwischen den Universitäten als Arbeitgeberinnen bemerkbar sind.

90 bis 95 Prozent befristete Verträge

Für den »Kodex-Check« im Internet wurden die statistischen Daten aus dem BEPHO-Projekt für die fehlenden Universitäten ergänzt, mit Daten von 2014 aktualisiert und grafisch aufbereitet. Online kann man auf einer Deutschlandkarte oder aus einer Liste auswählen, welche Universitäten man unter welchen Kriterien vergleichen möchte. Stellt man die drei großen Berliner Universitäten nebeneinander, dann fallen folgende Unterschiede auf:

Bei der Befristung von Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen hat die Technische Universität (TU) den extremsten Anteil von 95 Prozent befristeter Verträge, Freie Universität (FU) und Humboldt Universität (HU) folgen bei diesen Zahlen der bundesweiten Statistik dichtauf mit 90 Prozent. Betrachtet man alles wissenschaftliche Personal, dann gibt es interessante Unterschiede. So sind an der FU knapp ein Drittel aller Professuren befristet besetzt, und die HU gleicht mit ihrer hohen Zahl entfristeter Lehrkräfte mit besonderen Aufgaben (LfbA) den Gesamtschnitt befristeter Beschäftigung auf nur noch zwei Drittel des Personals aus.

Zum Anteil befristeter Verträge gibt es im Land Berlin Entwicklungen, die der bundesweite Kodex-Check nicht wiedergeben kann. Zum einen gibt es hier eine klare Verbesserungsaufgabe, weil in den Hochschulverträgen der rot-rot-grünen Regierung das explizite Ziel zur Verringerung der überbordenden Befristung auf 65 Prozent formuliert ist. Die HU hat dies bereits erreicht, für die FU ist es realisierbar und die TU hat immerhin die Aufgabe gesetzt bekommen, deutliche Schritte in diese Richtung zu machen. Zum anderen haben sich die Hochschulen im Rahmen einer kleinen Anfrage im Abgeordnetenhaus dann doch in der Lage gesehen, auch Angaben zur Befristungsdauer ihrer Arbeitsverträge zu machen. Dort ist erkennbar, dass an FU und HU 30 bzw. 32 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mit Verträgen unter zwei Jahren Dauer versehen sind. An der TU sind dies »nur« 18 Prozent, und hier arbeiten zwei Drittel der Mitarbeiter*innen in Vollzeit, weil die aus Haushaltsmitteln finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen grundsätzlich mit Vollzeit-Fünfjahresverträgen versehen werden. An FU und HU dagegen überschreitet der Anteil der nur in Teilzeit bezahlten Kolleg*innen die 50-Prozent-Grenze.

Bei den Promovierenden hat die TU nicht nur die wenigsten immatrikulierten »Promotionsstudierenden« (andere Angaben stehen bis heute nicht zur Verfügung), sondern auch – aufgrund ihres Fächerspektrums verständlich – darunter den geringsten Frauenanteil, während FU und HU bei 50 Prozent oder darüber liegen. Zu Modellen des »Tenure Track« sind im BEPHO-Projekt ebenfalls Detailinformationen gesammelt worden, diese müssen aber Ende dieses Jahres sicher aktualisiert werden, weil die Universitäten sich um Bundesgelder im Tenure-Track-Programm der Bundesregierung bewerben und dafür ihre Regeln überarbeiten.

Familienfreundlichkeit bleibt unklar

Auch zur Familienfreundlichkeit ließen sich zu den drei Universitäten eigentlich noch interessante Details hinzufügen. Im bundesweiten Check geht es allerdings nur um das Vorhandensein eines Konzepts für Familienfreundlichkeit, die Teilnahme am Audit »Familiengerechte Hochschule«, was beides auf alle drei Universitäten zutrifft, und um die Zeichnung der Charta »Familie in der Hochschule«, bei der alle drei Universitäten fehlen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass manche Aspekte unbedingt einer Vertiefung vor Ort bedürfen, so zum jeweiligen Umgang mit der »familienpolitische Komponente«, nach der für Eltern die Sechs-Jahres-Begrenzung der Befristung verlängert werden kann, oder zur unterschiedlichen Praxis bei der Verlängerung der Verträge um die Dauer von Elternzeiten in Drittmittelprojekten.

Die Daten des Kodex-Check sind sicherlich erst der Anfang einer notwendigen Diskussion. Diese soll unbedingt auch zu einer stetigen Verbesserung der Einträge durch Korrektur und Aktualisierung führen. Hochschulen schauen – auch wenn sie selbst dies kritisieren – oft genug auf Rankings und Ratings, wie sie im internationalen Maßstab mehr und mehr üblich geworden sind. Diese werden an dieser Stelle einmal ergänzt durch eine differenzierte Bewertung der Universitäten aus Arbeitnehmer*innen- beziehungsweise Gewerkschaftssicht. Wenn es gelingt, eine Diskussion zu verstärken, in denen Universitäten nicht nur exzellente Forschung nachweisen müssen, sondern auch exzellente Forschungsbedingungen – dann wird eine zukünftige Anna Schmidt auch Unterstützung bei der Entscheidung über ihre künftige Arbeitgeberin finden.      

www.kodex-check.de

Kooperationsverbot: Verbietet dem Bund seit dem Jahr 2006 sich an den Bildungsausgaben der Länder zu beteiligen. Seit 2014 sind Investitionen in die Wissenschaft allerdings wieder gestattet

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46