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bbz 04-05 / 2016

Die Mischung macht’s

Berlins Kieze sind bunt, was sich an zu vielen Schulen nicht mehr widerspiegelt. Dies schafft Probleme im Schulalltag und zeigt, dass die Schulstrukturreform von 2010 nicht gelungen ist.

Wie jedes Jahr nach den Winterferien stehen Tausende Familien vor der Entscheidung, an welcher weiterführenden Schule ihr Kind seinen Bildungsweg fortsetzen soll. Die Anzahl der in Frage kommenden Schulen ist groß. Nach welchen Kriterien entscheiden Eltern, wenn sie für ihr Kind eine weiterführende Schule aussuchen? Wo erhalten sie Informationen über das schulische Angebot in ihrem Wohnumfeld und inwiefern haben Veröffentlichungen von Zahlen über die Zusammensetzung der SchülerInnenschaft etwas mit der Wahl vieler Eltern zu tun? 


Wer die Wahl hat, hat die Qual 


Viele recherchieren heutzutage im Internet und stoßen schnell auf die offiziellen Schulporträts auf den Seiten des Hauptstadtportals. Die Angaben dort werden aus der jährlich erhobenen Schulstatistik entnommen und der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eigentlich eine gute, weil transparente Angelegenheit. Die Eltern klicken sich durch die Schulen ihrer Nachbarschaft und werfen sicherlich auch einen Blick auf die Zusammensetzung der SchülerInnenschaft. Diese ist in den Augen vieler Eltern und auch so mancher Lehrkraft ein nicht unerhebliches Kriterium für das Schulklima. Dabei rufen einige der dort abgebildeten Zahlen spätestens dann Verwunderung hervor, wenn man die Zahlen mit einer anderen Quelle des Senats, nämlich des Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration vergleicht. Laut dessen Erhebung von 2011 ist der MigrantInnenanteil in Mitte mit 44,8 Prozent am höchsten, gefolgt von Neukölln mit rund 40 Prozent und Friedrichshain-Kreuzberg mit rund 38 Prozent. Sicherlich sind diese Zahlen in den letzten Jahren etwas angestiegen, liegen aber dennoch, von wenigen Quartieren abgesehen, unter 50 Prozent. Dass in den oben aufgeführten Bezirken und Quartieren der Anteil an SchülerInnen mit nichtdeutscher Herkunftssprache, kurz ndH, in allen Schulen daher deutlich höher ist, als beispielsweise in Marzahn oder Zehlendorf, ist nachvollziehbar. Aber wie kann es passieren, dass an einigen Integrierten Sekundarschulen der Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund bei über 80 Prozent, teilweise sogar über 90 Prozent liegt? Selbst in Kie-zen, wie beispielsweise in Britz, gibt es eine Sekundarschule, an der der ndH-Anteil bei 84 Prozent liegt. Das legt den Schluss nahe, dass Eltern ohne Mi-grations-hinter-grund ihre Kinder dort anmelden, wo der ndH-Anteil besonders gering ist.

In the Ghetto


Wo die Entstehung von schlecht sozial durchmischten Schulmilieus von der Bildungsverwaltung und den Bezirksschulämtern zugelassen wird, entstehen Stress und Konflikte. Mit den herkömmlichen Mitteln der Ressourcenzuweisung kann diesen nicht begegnet werden.

Gäbe es im Rahmen des Quartiersmanagements ein intelligentes Schulplatzmanagement, wären die schulischen Milieus wesentlich durchmischter und damit chancengerechter. Dies war auch eines der Ziele, das die Schulstrukturreform 2010 erreichen wollte, aber aufgrund einer halbherzig angelegten Stra-tegie nie erreichen konnte. An vielen Sekundarschulen haben sich die ndH-Quoten und der Anteil lernmittelbefreiter SchülerInnen wie in Neukölln erhöht. An einigen Schulen liegt der Schnitt sogar bei über 80 Prozent. Da liegt der Schluss nahe, dass Eltern mit besserem Einkommen ihre Kinder lieber dort beschulen lassen, wo weniger arme Kinder die Schule besuchen. An vielen anderen Sekundarschulen, vornehmlich an solchen ohne gymnasiale Oberstufe, stiegen die Prozentzahlen trotz bereits überdurchschnittlich hoher Werte nochmals um mehrere Punkte an. Dabei zeichnet sich eine deutliche Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen mit und ohne gymnasiale Oberstufe ab. Die Schulen ohne eigene gymnasiale Oberstufe geraten zunehmend in die Situation der Hauptschulen vor der Schulstrukturreform. Da es nur an einzelnen Standorten Sinn macht, durch den Aufbau gymnasialer Oberstufen eine bessere Durchmischung der SchülerInnenschaft zu erreichen, benötigen die Schulen in sozialen Brennpunkten deutlich mehr Unterstützung seitens der Bildungsverwaltung. Das seit dem Jahr 2014 bestehende Bonus-Programm, welches Schulen mit einem besonders hohem Anteil lernmittelbefreiter SchülerInnen mit bis zu 100.000 Euro jährlich unterstützt, greift hier viel zu kurz.

Mehr Unterstützung statt bloßstellender Zahlen


Bereits mehrfach hat sich die GEW BERLIN kritisch zur Schulstruktur geäußert und auf die besonderen Herausforderungen an Brennpunktschulen aufmerksam gemacht. Anfang Dezember 2015 beschäftigte sich die Landesdelegiertenversammlung mit der Situation von Schulen in sozial belasteten Gebieten und forderte den Senat auf, über das Bonusprogramm hinaus diese wirksam zu unterstützen. Für eine bestmögliche Förderung aller SchülerInnen bedarf es an diesen Schulen einer größeren, verlässlichen und regelfinanzierten Personalausstattung. Nur so lassen sich die Lern- und Arbeitsbedingungen wirksam verbessern. Die konkreten Forderungen der GEW BERLIN vom Dezember 2015 verlangen an Schulen in sozialen Brennpunkten eine Absenkung der Unterrichtsverpflichtung, beziehungs-weise eine Entlastung der Lehrkräfte in Form von zwei Anrechnungsstunden pro Lehrkraft. Elternarbeit, Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe oder Schulpsychologie, Mitarbeit bei der Schulentwicklung und die Zusammenarbeit der Jahrgangsteams kosten viel Zeit, wenn eine Lehrkraft ihren Aufgaben gerecht werden möchte. Außerdem fordern wir eine zusätzliche Stunde pro Woche für die Kooperation der Lehrkräfte mit den sozialpädagogischen Fachkräften im Rahmen der wöchentlichen Arbeitszeit. Nicht nur an Brennpunktschulen, aber vor allem dort, muss eine verbindliche Vertretungsreserve in Höhe von zehn Prozent eingeführt werden. Es muss endlich ein Verbot her, dass es den Schulleitungen untersagt, die Stunden für Integration, Sprachförderung und Teilung für Vertretungsunterricht zu nutzen. Gefordert wurde im Beschluss auch die Absenkung der Klassenfrequenzen auf 20 SchülerInnen in Jahrgangsstufe 7 bei mehr als 40 Prozent SchülerInnen mit Lernmittelbefreiung. Weiterhin sollte es eine maximale Aufstockung bis 24 SchülerInnen pro Klasse mit RückläuferInnen und SchülerInnen aus den Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse in den Jahrgangsstufen 8, 9 und 10 sowie eine volle Stelle für Schulsozialarbeit pro hundert SchülerInnen geben. Zusätzlich zu der genannten Ausstattung sind stets die speziellen Bedürfnisse der Einzelschule zu berücksichtigen und durch einen bezirklichen Ressourcenpool eine, dem Bedarf entsprechende, Ausstattung zu gewährleisten.

Neben einem Mehr an Ressourcen ist für Schulen im sozialen Brennpunkt besonders wichtig, dass sie eine Schulverwaltung hinter sich wissen, die sie in schwierigen Lagen und hinsichtlich der vielen Herausforderungen bestmöglich unterstützt und nicht noch bloß stellt. Die Veröffentlichung der Angaben zur Zusammensetzung der SchülerInnenschaft und der Ergebnisse bei den Abschlussprüfungen im Internet lehnen wir als falsches Signal mit aller Entschiedenheit ab. Hierdurch wird die Abwärtsspirale für die betroffenen Schulen beschleunigt. So wird der Öffentlichkeit suggeriert, Schulleitung und Kollegium wären diejenigen, die dies zu verantworten hätten. Die Intention derjenigen, die diese Zahlen gerne veröffentlicht sehen wollen, besteht wohl darin, Kollegien und Schulleitungen an den betroffenen Schulen unter Druck zu setzen. Eine verantwortungsbewusste Schulpolitik würde von derartigen Prangermethoden absehen. Sie würde stattdessen überall, nicht nur punktuell, mit Beratungskompetenz, zusätzlichem Personal und schulspezifisch zugeschnittenen Maßnahmen einen auf Kooperation angelegten Schulentwicklungsprozess anleiten. Dazu fehlt jedoch der ernsthafte politische Wille. Denn, anders als die Schulen mit einem ndH-Anteil von weit unter zehn Prozent, welche fast ausnahmslos Gymnasien sind, Brennpunktschulen mit einer hohen Anzahl lernmittelbefreiter Kinder und einem ndH-Anteil von über 85 Prozent haben keine wirksame politische Lobby auf der Regierungsbank. Wie gut, dass die GEW BERLIN diese Funktion wahrnimmt.