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Schule

Ein offener Diskurs zur verlässlichen Grundausstattung

Mit seinem Artikel in der bbz 7-8 hat Ryan Plocher die zukünftige Berechnung der sonderpädagogischen Förderung als verantwortungslos und fehlerhaft diskreditiert. Der Beitrag enthalte eine ganze Reihe von Unrichtigkeiten, kritisiert die Vorsitzende des Fachbeirats Inklusion.

Foto: GEW BERLIN

Zunächst ist es erfreulich, dass das Konzept auf Interesse stößt und der Beitrag Anlass zur Diskussion liefert. Zudem ist es auch erfrischend, dass aus Sicht des Autors Senatsverwaltung und GEW mal ausnahmsweise im gleichen Boot sitzen. Den Anlass zur Diskussion möchte ich aufgreifen und seine Behauptungen, zumindest teilweise, entkräften und zeigen, dass die verlässliche Grundausstattung ein sinnvoller Schritt in der Entwicklung zur inklusiven Schule in Berlin ist.

Mit der Nachsteuerungsreserve bleiben wir flexibel

Bei der verlässlichen Grundausstattung geht es ausschließlich um Kinder mit den Förderbedarfen Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache (LES). Alle anderen Förderbedarfsausstattungen werden wie bisher nach individueller Vorab-Diagnostik, für die die Schulpsychologischen und Inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) zuständig sind, zugewiesen.

Die verlässliche Grundausstattung für LES bindet seit dem Schuljahr 2017/18 die Ressource für die sonderpädagogische Förderung für die Klassen eins bis drei an die Quote der von der Zuzahlung zu den Lernmitteln befreiten Schüler*innen (lmb-Quote). Gleichzeitig erhält eine Schule für die Schulanfangsphase eine Zuweisung von 4 Stunden je Klasse/Lerngruppe. Dies vergisst der Autor bei seiner Beschreibung des Ist-Zustandes. Die Einführung der verlässlichen Grundausstattung erfolgt in einem mehrjährigen Prozess. In den nächsten Jahren werden die bisherigen sonderpädagogischen Fördermittel der Schule für LES zu einem Faktor verrechnet, der dazu führt, dass die Schulen erst langsam an die Quote nach dem lmb-Faktor herankommen. Dieses Verfahren soll jahrgangsweise aufsteigend in den folgenden Jahrgangsstufen fortgesetzt werden. Da die lmb-Quote ab Schuljahr 2018/19 entfällt (weil es für alle keine Lernmittelkosten mehr geben wird), wird ein neuer Sozialfaktor der Einzelschule angewandt werden. Das rechnerische Verfahren bleibt davon unberührt.

Zudem gibt es eine Nachsteuerungsreserve, mit der auf gravierende Unterschiede zwischen tatsächlichem Förderbedarf und Zuweisung nach dem Faktor regional reagiert werden kann. Diese Reserve trägt der Tatsache Rechnung, dass es Schulen gibt, die eine lange Tradition in der gemeinsamen Erziehung haben, aber eine niedrige lmb-Quote oder Schulen, die eine hohe lmb-Quote haben, aber wenig Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Die Ausstattung ist realistisch

Der Autor behauptet, die im Konzept angenommene Förderquote sei zu niedrig. Es sei absurd, dass erst ab einem lmb-Anteil von 50 Prozent statistisch gesehen ein Kind pro Klasse berücksichtigt werde.

Bei einer Förderquote LES von fast vier Prozent im Schuljahr 2016/17 ist die angenommene Bemessung in den Quartilen realistisch. Zudem ist für mögliche entstehende Ungleichgewichte die Nachsteuerungsreserve da.

Die Argumentation des Autors läuft darauf hinaus, dass die sonderpädagogische Förderung so bemessen sein sollte, dass für mindestens ein Kind je Klasse diese Ressource zur Verfügung stünde. Damit käme man allerdings zu absurd hohen Förderquoten im Jahrgang. Die Zuweisung der Ressourcen geht an die Schule und diese entscheidet über deren Verwendung. Die kann auch darin bestehen, dass neben der individuellen Förderung Beratung für das Kollegium, spezifische Materialentwicklung, Prävention oder andere Tätigkeiten durch das Jahrgangsteam beziehungsweise die Schulleitung eingeplant werden. Die zusätzlichen Stunden müssen nicht dazu verwendet werden, dass jemand neben den betreffenden Kindern sitzt.

Der Autor behauptet: »Es ist ein falscher Umkehrschluss, die Förderquote an die lmb-Quote zu hängen. Es gibt zwar eine Korrelation zwischen lmb-Quote und Förderquote. Viele Kinder mit Förderstatus sind lernmittelbefreit. Das heißt aber nicht, dass alle lernmittelbefreite Kinder einen Förderstatus haben.« Diese Logik mag verstehen, wer will. Natürlich hat nicht jedes lernmittelbefreite Kind einen Förderstatus. Wer soll das auch behauptet haben. Es ist aber sinnvoll, die Förderung für LES an einen sozialen Indikator zu binden, da die Korrelation von sozialem Status und LES-Förderbedarf wissenschaftlich unumstritten ist. Korrelation bedeutet nur, dass es eine proportionale Entwicklung beider Faktoren gibt und eben keine Gleichsetzung.

Die Diagnostik entfällt nicht

Die bisherige Bindung der sonderpädagogischen Förderung war an die individuelle Vorabdiagnose vor Beginn eines Schuljahres gebunden. Bei allen anderen Förderbedarfen, außer LES, bleibt sie das auch. Diese Bindung bei LES war und ist aber seit langem sehr umstritten, weil gerade in diesen Förderbereichen die Förderquoten in Berlin zwischen den Bezirken und auch zwischen den Bundesländern hohe Schwankungen aufweisen, die nicht nur mit sozialen Unterschieden der Bevölkerung zu erklären sind. Der Autor unterstellt eine vermutete »Beschaffungsdiagnostik«, Wissenschaftler*innen nennen es das »Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma«. Mittlerweile wählen mehrere Bundesländer den Weg der verlässlichen Grundausstattung. Der klare Vorteil für die Schulen besteht darin, dass sie die Ressource vor der Diagnostik erhalten. Diese entfällt aber keineswegs, sondern soll und muss lernbegleitend in der Schule erfolgen. Dies ist auch nötig, denn die Förderung der betreffenden Kinder ist Sinn und Zweck des ganzen Unternehmens. Zur diagnostischen Unterstützung stehen auch die SIBUZ in den Regionen bereit. Zudem müssen Schulen auch Rechenschaft darüber ablegen, wie die Mittel verwendet werden.

Der Autor hat hingegen teilweise recht, wenn er auf die Besonderheiten der Sekundarstufe verweist. Das bisherige Modell der Senatsverwaltung geht aber, anders als er unterstellt, von einer Förderquote von elf Prozent in den ISS und Gemeinschaftsschulen aus. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hat angekündigt, im Laufe dieses Schuljahres mit einer Facharbeitsgruppe, bestehend aus Praktiker*innen aus Schulen sowie Mitarbeiter*innen der Verwaltung und der Schulaufsicht, ein an die besondere Situation der Sekundarstufe I angepasstes Modell zu erarbeiten.

Auch Gymnasien stellen sich der Inklusion

Und natürlich wird auch von den Gymnasien erwartet, dass sie sich den Herausforderungen der Inklusion stellen, was auch viele bereits tun, vor allem in den Förderbereichen körperliche-motorische Entwicklung, Hören und Kommunikation, Sehen und Autismus. Immer wieder wird von einigen Gymnasien gesagt, dass sie auch Schüler*innen mit Sprach- und Verhaltensproblemen haben, für die sie gerne zusätzliche Ressourcen hätten. Perspektivisch muss von den Schulen darüber nachgedacht werden, wie sie sonderpädagogische Unterstützung in ihre Schulkonzepte integrieren, und von der Bildungspolitik und Schulaufsicht, wie sie Gymnasien für mehr inklusive Arbeit öffnen können.

Meine bisherigen Erfahrungen als Vorsitzende des Fachbeirats Inklusion bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zeigen, dass Probleme, auf die wir hinweisen und Empfehlungen, die wir geben, offen aufgenommen und auch weitgehend umgesetzt werden. Es ist nicht nötig mit Unterstellungen oder polemisch zu arbeiten, wie zum Beispiel »Inklusionsidealisten«, »falscher Idealismus«, »ignorant«. Lasst uns die Probleme gemeinsam besprechen und an sinnvollen Lösungen arbeiten.   

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46