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Schwerpunkt "Verloren im Verwaltungswirrwarr"

Eine Hilfe, die nur selten ankommt

Eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zeigt: Das Bildungs- und Teilhabepaket wird seinem Anspruch nur bedingt gerecht.

Foto: GEW BERLIN

Das Bildungs- und Teilhabepaket wurde 2011 als Leistung für Kinder und Jugendliche eingeführt, die selbst beziehungsweise deren Eltern sozialstaatliche Transferleistungen beziehen. Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts war die damalige Bundesregierung verpflichtet worden, das soziokulturelle Existenzminimum dieser Kinder und Jugendlichen abzusichern. In der Folge begannen zähe politische Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, wie dieses Urteil umgesetzt werden sollte. Im Ergebnis wurde ein Paket geschnürt, in das bestehende Leistungen, wie das Schulbedarfspaket, integriert wurden und das neue Leistungen wie die soziokulturellen Teilhabeleistungen beinhaltet.

Die Trägerschaft für das Bildungs- und Teilhabepaket (kurz: BuT) wurde den Kommunen übertragen, die Leistung im SGB II beziehungsweise SGB XII verortet. Über die leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen aus dem ALG II- und Sozialgeld- beziehungsweise Sozialhilfebezug hinaus wurde das BuT auch Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht, die in Haushalten leben, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Kindergeld oder Wohngeld beziehen.

Ein holpriger Start

Über Nacht war die örtliche Verwaltung in der Pflicht, eine Leistung bereitzustellen, die sowohl hohe bürokratische Anforderungen an die Leistungsberechtigen, die umsetzende Verwaltung und die umsetzenden Träger setzt, als auch ein hohes Maß an Vernetzung von Angeboten und neue Abstimmungsverfahren zwischen verschiedenen Systemen wie Schulen, Cateringdiensten und Jobcenter erforderlich macht.

Bei den umsetzenden Stellen, den Kindertageseinrichtungen, Schulen und Vereinen mussten für die Abrechnung vollkommen neue Verwaltungsmodalitäten (taggenaue Erfassung der berechtigten Schüler*innen, neu einzurichtende Konten für die Überweisungen der Jobcenter und so weiter) eingeführt werden. In der durch das Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebenen Evaluation zum BuT wurde der Verwaltungsaufwand für alle Beteiligten auf rund 180 Millionen Euro jährlich beziffert. Die Gesamtkosten für das BuT lagen im Jahr 2012 bei etwas über 430 Millionen Euro und sind bis 2019 auf 754 Millionen Euro angestiegen.

Erst nach und nach wurden durch verschiedene Gesetzesreformen sowohl die administrativen Verfahrenswege vereinfacht, aber auch aufwändige Nachweispflichten gelockert, Vereinfachungen wie die Streichung des Eigenanteils vorgenommen, die Bedingungen für die Lernförderung angepasst und der Leistungsumfang insgesamt angehoben.

Vereinfachungen notwendig

Der Paritätische Wohlfahrtsverband, als Vertretung von über 10.000 Organisationen der sozialen Arbeit in der ganzen Bundesrepublik, hat, gemeinsam mit anderen Verbänden, auf diese Vereinfachungen und Reformen gedrungen, um den bürokratischen Aufwand für alle Beteiligten zu minimieren. Doch bis heute ist der Paritätische Wohlfahrtsverband der Meinung: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Und sie sind keine kleinen Arbeitslosen. Ihre Förderung in der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) zu verorten, war und ist ein Fehler.

Stattdessen gilt es, die bestehende fachliche Struktur der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken. Mit dem Jugendamt und den freien Trägern der Jugendhilfe gibt es bereits ein etabliertes System, das in der Verantwortung steht, alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die bestehenden Angebote der Jugendarbeit gilt es durch einen individuellen Rechtsanspruch zu stärken; das heißt, Zugänge zu sichern und soziale Infrastruktur wie Jugendclubs, offene Nachmittagstreffs mit lernunterstützenden, sportlichen, sozialen Angeboten, Kinderbauernhöfe, Jugendfreizeiten, Mädchentreffs und vieles mehr aufrechtzuerhalten.

Darüber hinaus braucht es aus Paritätischer Perspektive eine Kindergrundsicherung, die Kinder und Jugendliche finanziell und eigenständig absichert – und zwar unabhängig vom Erwerbsstatus ihrer Eltern!

Nach Meinung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist das Bildungs- und Teilhabepaket nach wie vor eine aufwendig umzusetzende, kleinteilige Leistung, über deren Wirkung viel zu wenig Wissen besteht. Die Bundesregierung hat eine umfassende Evaluation in Auftrag gegeben, die 2016 veröffentlicht wurde und hüllt sich seitdem in Schweigen. In diversen Anfragen verschiedener Parteien wiederholt die Bundesregierung, dass sie mangels Zuständigkeit keine Aussagen zur Inanspruchnahme des BuT machen kann. So richtig das ist, so wenig befriedigend ist das. Wie soll eine Sozialleistung bewertet werden können, zu der es keine Daten gibt?

Ein kritischer Blick in die Praxis

Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband war dieses Manko Ausgangspunkt, selbst einen Blick in die vorhandenen Daten zu werfen. Mit der Expertise »Empirische Befunde zum Bildungs- und Teilhabepaket: Teilhabequoten im Fokus« untersucht der Paritätische, inwieweit die soziokulturellen Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 7 SGB II bei den Kindern und Jugendlichen ankommen. Dafür wurden die von den kommunalen Trägern an die Bundesagentur für Arbeit übermittelten Daten ausgewertet. Die Befunde wurden drei Jahre in Folge erhoben und 2018, 2019 und 2020 veröffentlicht. Drei Jahre hintereinander wird deutlich, dass mindestens 85 Prozent der grundsätzlich Leistungsberechtigten von dieser Leistung nicht profitieren. Die Teilhabequote liegt konstant zwischen 14 und 15,1 Prozent.

Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass es drastische regionale Unterschiede gibt. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zum Beispiel schneiden deutlich besser ab als die meisten anderen Bundesländer. Aber auch kommunal variieren die Quoten; so gibt es Städte und Landkreise – wie die Stadt Hamm oder der Landkreis Verden – die mit Teilhabequoten von über 90 Prozent hervorstechen und andere, bei denen die Teilhabequoten bei unter 10 Prozent liegen. Berlin kam im April 2020 auf eine Teilhabequote von 8,7 Prozent.

Auf die Verwaltung kommt es an

Mit der quantitativen Auswertung kann der Paritätische Wohlfahrtsverband keine umfassende und abschließende Erklärung für die unterschiedlichen Zahlen liefern. Dennoch wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass unterschiedliche Verwaltungspraktiken sowie die bestehende örtliche Akteurs- und Netzwerkkonstellation einen hohen Einfluss auf die Zugänglichkeit zu den soziokulturellen Teilhabeleistungen im Rahmen des BuT haben. Sprich: wo es vereinfachte Antragsverfahren (Global- beziehungsweise Allgemeinanträge), elektronische Abrechnungssysteme, intensive Informations- und Öffentlichkeitsarbeit (zum Teil in Form von individueller Assistenz) und eine gute Zusammenarbeit mit Leistungsanbietern (Vereine, Bildungsanbieter und so weiter) gibt, scheint die Leistung besser bei den Leistungsberechtigten anzukommen.

Trotzdem lohnt es sich, genau hinzusehen; so kann ein Grund für niedrige Quoten auch das Vorhandensein anderer bestehender sozialer Angebote und Infrastrukturen vor Ort sein, die die soziokulturellen Teilhabeleistungen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets möglicherweise ergänzen beziehungsweise ersetzen. In Berlin ist dies zum Beispiel der Fall bezüglich des Mittagessens: Berlin bietet mittlerweile für Schüler*innen der ersten sechs Klassenstufen ein kostenloses Mittagessen an – damit erbringt Berlin eine sogenannte vorrangige Leistung und kann das Mittagessen nicht mehr im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets abrechnen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist der Meinung: Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf soziokulturelle Teilhabe, auf Förderung und Unterstützung. Diesen Anspruch löst das Bildungs- und Teilhabepaket nach wie vor nicht ein. Weitere Reformen im oben genannten Sinne sind dringend notwendig.

Die Gesamtkosten für das BuT lagen im Jahr 2012 bei etwas über 430 Millionen Euro und sind bis 2019 auf 754 Millionen Euro angestiegen.

BuT IN KÜRZE

Für Kinder und Jugendliche bis einschließlich 25 Jahre, beziehungsweise 18 Jahre für die soziokulturellen Teilhabeleistungen, die eine allgemeine oder berufsbildende Schule besuchen, umfasst das BuT in seiner heutigen Form folgende Leistungskomponenten:

• Zuschuss zum persönlichen Schulbedarf in Höhe von 154,50 Euro jährlich

• Finanzierung der gemeinsamen Mittagsverpflegung in Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder (bis 1. August 2019 mit Eigenanteil) • Erstattung von Schülerbeförderungskosten (bis 1. August 2019 mit Eigenanteil der Eltern)

• Finanzierung von Lernförderung (bis 1. August 2019 nur, sofern absehbar, dass nur dadurch das wesentliche Lernziel, die Versetzung, erreicht werden kann), sofern keine vergleichbaren schulischen Angebote bestehen

• Finanzierung mehrtägiger Klassenfahrten und eintägiger Ausflüge in Schulen und Kindertagesstätten in tatsächlicher Höhe

• Förderung der soziokulturellen Teilhabe durch Erstattung von heute 15 Euro monatlich beziehungsweise 180 Euro jährlich

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46