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bbz 10 / 2018

Faktencheck Grundschule

Gereiztheit beherrscht den öffentlichen Diskurs über die Grundschule. Auf Kosten der Kinder wird eine polemische Debatte geführt. Der »Faktencheck Grundschule« räumt mit populären Vorurteilen auf

Grundschul-Irrsinn ›Schreiben nach Gehör‹« (BILD), »Illusion Inklusion« (FAZ), »Die Rechtschreip-Katerstrophe« (SPIEGEL) – reißerische Schlagzeilen wie diese verleiten die Bildungspolitik dazu, möglichst schnell »Entschlossenheit im Handeln« zu demonstrieren, »Maßnahmenpakete« zu schnüren, »Masterpläne« zu entwerfen. Allzu oft ist das Dilettantismus oder sogar politisches Theater aus der untersten Schublade, mit gefährlichen Risiken und Nebenwirkungen. Über diverse Köpfe hinweg verbietet beispielsweise die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann den weiteren Gebrauch der Grundschrift und räumt den jahrelang erfolgreichen Modellversuch »Grundschule ohne Noten« ab. In Schleswig-Holstein wird es wieder früher Noten und eine verbindliche Grundschulempfehlung geben. Nicht zuletzt greift die Forderung um sich, die vermeintlich vorherrschende Methode »Schreiben nach Gehör« zu verbieten.

Anzeichen für das Erstarken einer reaktionären Schulpolitik

Solche schulpolitischen Maßnahmen, Ankündigungen und Forderungen bringen Unruhe, Verunsicherung und Ängste in die Lehrer*innenzimmer. Sie erzeugen zudem eine berechtigte Empörung bei den Kolleg*innen, eine »Uns reicht’s!«-Stimmung. In der Verbreitung von Oberflächlichkeiten, Plattitüden und Falschmeldungen sowie in populistischen Maßnahmen der Schulpolitik zeigt sich eine mangelnde Anerkennung der spezifischen Professionalität von Grundschulpädagog*innen. Pädagogik hat viel mit dem Menschenbild zu tun, an dem sie sich orientiert. Darum werden Diskussionen über Handschrift, Kopfrechnen oder Rechtschreibung so schnell so grundsätzlich. Alternativen zum Gewohnten erscheinen bedrohlich. Immer wieder erhobene Forderungen nach »mehr Frontalunterricht«, »noch mehr Vergleichstests in den Grundschulen«, nach »Schönschreiben« oder »mehr Noten« sind allerdings deutliche Anzeichen für das Erstarken einer reaktionären Schulpolitik.

Bei manchen Kritiker*innen ist reine Ideologie im Spiel. Das Reaktionsmuster funktioniert etwa so: »Schreiben wie Hören? Kinder dürfen einfach schreiben, wie sie wollen? Dann dürfen sie wohl auch sonst alles machen, was sie wollen? Das ist doch antiautoritäre Erziehung! Oder wenigstens diese ›Kuschelpädagogik‹! Das ist 1968! Rebellion! Revolte! Gehört sofort verboten!«. Dann wird sofort der Ruf erhoben, bestimmte Methoden zu verbieten. Dabei sind Methodenverbote in der Pädagogik durch die Politik eigentlich nur in autoritären Staaten denkbar. In einem freiheitlichen Staat haben Politiker*innen über die fachlich angemessenen Methoden in der Pädagogik nicht zu entscheiden. Die Politik setzt die Standards. Wie sie erreicht werden, ist Sache der Pädagogik.

Mit der Broschüre »Faktencheck Grundschule« wehrt sich nun der Grundschulverband gegen populistische Diffamierungen und unsinnige Eingriffe in die Methodenfreiheit der Lehrkräfte. Gesellschaftlich relevante Themen wie das der Grundschulbildung und Fakten darüber, was Grundschulkinder wirklich brauchen, müssen dringend sachlicher diskutiert werden. Im kommenden Jahr feiert die deutsche Grundschule ihren 100. Geburtstag. Es wird Zeit, dass diese Erfolgsgeschichte anerkannt wird. Und das Lamento über ihre Pädagogik muss endlich dorthin, wohin Mythen gehören: in die Mottenkiste.

Mehr Grundschul-Mythen gibt es unter https://grundschulverband.de/unsere-themen/faktencheck


Ein Mythos und seine Widerlegung
»Hausaufgaben fördern das Lernen«: Erwiesenermaßen profitieren Grundschulkinder und leistungsschwächere Schüler*innen weniger von Hausaufgaben als ältere, leistungsstärkere Schüler*innen. Schüler*innen aus der Mittelschicht profitieren außerdem deutlich mehr von Hausaufgaben als Schulkinder aus sozial schwächeren Familien. Ein eigener Schreibtisch, Ruhe beim Arbeiten, Eltern, die helfen können, sind Bedingungen, die je nach sozialer Herkunft unterschiedlich verteilt sind. Wenn schon Hausaufgaben, dann müssen sie sinnvoll mit dem Unterricht verzahnt werden.