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blz 09 / 2007

Hinterm Horizont geht’s weiter

Ulla Widmer-Rockstroh über spannende Zeiten im Beruf und mögliche Perspektiven für den Ruhestand.

Ulla, du kannst dich jetzt bald Seniorin nennen? Wie fühlst du dich dabei?

Ach, das ist wieder so ein Etikett! Irgendwie wird man halt älter, aber ich würde mich nicht als Seniorin bezeichnen: Ich bin Lehrerin, ich bin Pädagogin, ich engagiere mich für bestimmte Inhalte – ob ich da noch im Schuldienst bin oder schon pensioniert, ist doch unwichtig. Ich werde mich auch nicht spezifisch als Pensionärin oder Seniorin engagieren, weder als junge Alte noch als alte Alte. Wenn ich jetzt mehr Zeit habe, werde ich auch mehr ehrenamtlich arbeiten können, das finde ich wichtiger.

Hältst du Kontakt mit KollegInnen, die schon länger pensioniert sind?

Aber ja! Immer mehr in meiner Umgebung werden schließlich pensioniert. Peter Heyer treffe ich zum Beispiel ständig beim Runden Tisch Gemeinschaftsschule, wo ich auch kräftig mitmache. Und er ist nicht der Einzige, dort engagieren sich viele Ruheständler, die sagen, dass sie jetzt endlich mehr Zeit haben, um ausführlich zu diskutieren, einen Artikel zu schreiben oder eine Veranstaltung zu organisieren. Das kann man oft nicht leisten, wenn man noch unterrichtet.

Auch andere, die schon vor einiger Zeit pensioniert wurden, treffe ich immer wieder, Freundinnen aus der Spandauer oder Schöneberger Schulzeit

Oder zum Beispiel Diethart Kerbs, der im Sommer 70 wird. Er hat damals mit im Geschäftsführenden Landesvorstand gesessen, als die GEW aus dem DGB geworfen wurde. Diethart hat dort eine ungeheuer wichtige Rolle gespielt, weil vor allem er immer wieder und beredt betont hat, warum es richtig ist, dass wir in der GEW unseren aufrechten Gang beibehalten, uns nicht beugen. Und er ist auch ein Beispiel dafür, dass nach der Pensionierung noch lange nicht Schluss ist. Als Ex-Professor der Universität der Künste für Kultur- und Fotogeschichte ist er weiter aktiv, hält noch Seminare ab, hat zum Beispiel 2004 in einer großen Ausstellung seine Sammlung der Fotografien von Willy Römer im Deutschen Historischen Museum Berlin gezeigt und macht zig andere Sachen.

Wie war das eigentlich damals 1977 beim Ausschluss der GEW BERLIN aus dem DGB? Das war doch auch ein Aufstand der jungen Wilden gegen die Alten, oder?

Ja, auch. Aber es ging damals nicht darum, die Alten loszuwerden, sondern um andere Überzeugungen. Da haben wir uns heftig gestritten. Aber die wollten ohnehin mehr so eine Vereinsmeierei, hatten wenig Interesse an politischer Diskussion und an demokratischer Auseinandersetzung. Unsere basisdemokratischen Aktivitäten waren denen suspekt.

Aber es war damals auch sonst ein ziemlicher Bruch, schon rein äußerlich. Als ich zum Beispiel zum ersten Mal als Fachgruppenvorsitzende zusammen mit Lore Schauer zum Bundesfachgruppentreffen gefahren bin, da sind wir ziemlich aufgefallen: Wir waren jung, wir waren Frauen und wir waren nicht schulratmäßig gekleidet. Das war für die Herren Fachgruppenvorsitzenden in Westdeutschland neu, in Berlin waren wir schon etwas weiter.

Kommen wir wieder in die jüngere Vergangenheit: Du warst in den letzten Jahren weniger in der Schule, wenn ich das richtig verfolgt habe?

Ich bin 1995 abgeordnet worden ans PLIB Brandenburg – heute LISUM – und bin dann dort acht Jahre durchs Land gefahren und habe Fortbildungen zum Schwerpunkt gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder in der Grundschule gemacht. Das war ganz toll für mich, auch mal mit Lehrern zur arbeiten und in viele Schulen zu kommen. Dazu natürlich die Gespräche mit LehrerInnen aus der ehemaligen DDR, die einen ziemlich anderen Hintergrund hatten als ich. Das war spannend, für beide Seiten.

Ich bin dann aber wieder an die Schule zurückgegangen, weil ich der Meinung bin, dass man gute Fortbildung nur machen kann, wenn man immer auch wieder unterrichtet. Ich bin nicht an meine alte Schule, die Uckermark-Grundschule, zurückgegangen, sondern an eine Schule im Wedding. Ich wollte Erfahrung in einem sozialen Brennpunkt mit hohem Migrantenanteil machen. Das hat mich interessiert. Allerdings waren das oft keine sehr beglückenden Erfahrungen. Ich finde Schularbeit unter solchen Bedingungen sehr belastend und schwer. Das liegt nicht unbedingt an den Rahmenbedingungen, sondern es sind eben die sehr speziellen Schüler, insbesondere die Jungen, die die pädagogische Arbeit so besonders anstrengend machen. Die Rahmenbedingungen sind gar nicht so schlecht. Wir haben zum Beispiel Frequenzen, von denen wir früher nur geträumt haben. Aber es gibt dort solch heftige Probleme, dass diese guten Bedingungen oft  auch schon nicht mehr helfen.

Das war dann auch mit ein Grund, weshalb ich vor drei Jahren gern mit halber Stelle in die Berliner Projektgruppe des BLK-Modellprojekts „Demokratie leben und lernen“ eingestiegen bin. Das Modellprojekt ist jetzt gerade ausgelaufen. Es fügt sich also alles gut mit der anstehenden Pensionierung.

Fällt einem der Abschied leichter, wenn man zwischendurch mal rauskommt, Bindungen zu Kolleginnen sich lockern, weil man etwas anderes macht oder die Schule wechselt?

Ja, für mich ist das jetzt ganz leicht. Das liegt auch daran, dass ich an meiner jetzigen Schule doch nicht so arbeiten konnte, wie ich wollte. Und dass jetzt das BLK-Projekt ausgelaufen ist. Ich habe also keine großen Trennungsschmerzen. Das ist bei anderen sicher schwerer, wenn man sich zum Beispiel sehr stark mit seiner Schule identifiziert. Ich identifiziere mich zwar mit Schule und dem pädagogischen Einsatz, aber eben nicht speziell mit meiner konkreten Schule.

Welche Phase war die schönste in deinem Berufsleben?

Da gab es einige. Mit Sicherheit gehört dazu meine Tätigkeit an der Spandauer Morgenstern-Grundschule in den siebziger/achtziger Jahren, auch wenn das damals mit meinem Rausschmiss endete. Aber was haben wir da alles gemacht! Vieles von dem, was heute angeordnet wird, haben wir schon damals von allein entwickelt. Und zwar teilweise gegen erhebliche Widerstände: Ich habe zum Beispiel einen Rüffel bekommen, weil ich eine Leseecke in der Klasse eingerichtet hatte. Da würden die Kinder nichts lernen, sondern nur faulenzen. Das muss man sich mal vorstellen! Parallel dazu war die GEW-Arbeit damals auch wirklich toll. Diese Solidarität, das Vertrauen untereinander. Und was haben wir geackert! Das wurde damals auch anerkannt, man bekam mehr Lob, als das heute der Fall ist. Da hat man sich gern abgerackert!

Aber auch meine Arbeit nach der Morgenstern-Schule an einer Integrationsschule, der Uckermark-Grundschule, hat mir viel gegeben. Und die Zeit in Brandenburg war dann wieder was anderes, Arbeit mit Erwachsenen. Das waren alles spannende Zeiten.

So, jetzt aber doch noch die Frage nach deinen Plänen im Ruhestand: Was hast du dir vorgenommen?

Eher Unruhestand. Also: Erst einmal mache ich natürlich weiter beim Runden Tisch Gemeinschaftsschule. Aber dann, denke ich, werde ich mich engagieren im Bereich „Kinder in Not“. Damit meine ich jetzt nicht arme Kinder, sondern Kinder, die in sehr notdürftigen, schwierigen Verhältnissen aufwachsen und Hilfe brauchen. Ich weiß noch nicht genau, wo und wie ich da was machen werde. Aber das ist das, was ich als Nächstes anfangen will.

Und dann will ich natürlich viel mehr Kulturveranstaltungen besuchen als bisher. Und außerdem Berlin und Brandenburg besser kennen lernen – und auch Deutschland. Erstaunlich, wie wenig man kennt im eigenen Land. Ich kann das ja jetzt ganz spontan entscheiden und einfach losziehen. Vielleicht ist ja der Ruhestand nicht nur ein Unruhestand, sondern ein Horizonterweiterungsstand.

Das hast du schön gesagt! Da machen wir Schluss: Danke für das Gespräch!

 


Ulla Widmer-Rockstroh

Jahrgang 1944, war 1977-78, nach dem Rausschmiss der GEW Berlin aus dem DGB, stellvertretende Vorsitzende der GEW BERLIN. Sie hat außerdem viele Jahre die Fachgruppe Grundschulen geleitet. Der im Interview erwähnte „Rausschmiss“ aus der Morgenstern-Grundschule in Spandau und Umsetzung an eine andere Grundschule im Bezirk (mitten im Schuljahr!) erfolgte 1982 unter dem Vorwand „zwingender dienstlicher Belange“. Mit ihr wurden weitere Lehrerinnen gegen ihren Willen umgesetzt. Tatsächlich begründeten sich diese Umsetzungen mit dem Versuch der Schulsenatorin Laurien und dem Volksbildungsstadtrat Hauff u.a., ein aufmüpfiges, innovatives Kollegium zu sprengen und aktive GEW-Vertreterinnen mundtot zu machen. Das gelang ihnen aber nicht!