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bbz 06 / 2019

Humboldt-Uni gegen Studis

An der Humboldt Universität ist das Verhältnis zwischen Präsidium und Studierendenvertreter*innen zerrüttet. Eine chronique scandaleuse

Foto: iswbesetzt.blogsport.eu

Nach über einem Monat sind die Besetzer*innen des Instituts für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin am Ende ihrer Kräfte. In dem letzten besetzten Raum haben sie sich geradezu verbarrikadiert, Strom und Internet wurden ihnen abgestellt, und die Zahl ihrer aktiven Unterstützer*innen ist auf eine überschaubare Zahl zusammengeschrumpft. Als der Universitätsleitung die Information zugespielt wird, dass nachts niemand mehr in dem Raum übernachtet, der von den Besetzer*innen »Institut für angewandte Demokratieforschung« getauft wurde, lässt sie sofort räumen, die Besetzung ist beendet. Kurz darauf erhebt die Universitätsleitung Strafanzeige, wohlwissend, dass das den Rechtsstreit gegen die eigenen Studierenden und eine weitere Eskalation des Konflikts bedeuten wird.

Vier Wochen zuvor, im Januar 2017, gab Sabine Kunst, die Präsidentin der HU, bekannt, dass dem Stadtsoziologen Andrej Holm gekündigt worden ist. Dieser hatte durch eine zweifelhafte Affäre kurz zuvor bereits seinen Posten als Bau-Staatssekretär der damals gerade konstituierten rot-rot-grünen Koalition verloren. Einige Studierende vermuteten jedoch vor allem politische Motive hinter der Entlassung und wollten nicht zulassen, dass ihr Dozent so einfach abgesägt wird. Es folgte die wochenlange Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften (ISW), an deren Ende zwar die Wiedereinstellung Holms stand, das Vertrauen zwischen dem HU-Präsidium und den Studierendenvertreter*innen, die sich mehrheitlich hinter die Besetzer*innen gestellt hatten, aber zerstört war. Ein Vertrauensverhältnis sollte sich auch in den folgenden zwei Jahren nicht wieder einstellen, im Gegenteil. Ein Konflikt wird auf den anderen folgen und die Humboldt Universität keine Ruhe mehr finden.

Retourkutsche gegen die streikenden Studierenden

Ende 2017 begann für die studentischen Beschäftigten in Berlin ein äußerst hart geführter Arbeitskampf, getragen vor allem von der GEW und ver.di. Als einer der größten Bremsklötze bei den Verhandlungen erwiesen sich dabei die Verhandlungsführer*innen der Humboldt Universität. Nachdem auch nach zwei eintägigen Warnstreiks kein annehmbares Angebot auf dem Tisch lag, setzten die studentisch Beschäftigen für insgesamt vier Wochen ihre Arbeit aus. In dieser Zeit konnte die HU-Präsidentin Kunst kaum einen offiziellen Termin wahrnehmen, ohne von zwei Dutzend Studierenden mit Transparenten und Megafon zur Rede gestellt zu werden. Als die Universitäten schließlich ein neues Angebot vorlegten, stimmte zwar eine Mehrheit der Studierenden für dessen Annahme, die Enttäuschung und Wut über die Verstocktheit ihrer Arbeitgeber*innen war aber groß. Es folgte, was viele als Retourkutsche des HU-Präsidiums gegen ihre streikenden Studierenden interpretierten.

Im Sommer 2018 gab das Berliner Verwaltungsgericht der Klage einer IT-Angestellten an der HU statt, deren Stelle bis dato unter den studentischen Tarifvertrag gefallen war, obwohl studentische Hilfskräfte nur unterstützend in Forschung und Lehre eingesetzt werden dürfen. Die Klägerin hätte also in einen anderen Tarifvertrag eingeordnet werden und damit auch mehr Geld verdienen müssen. Da diese Schummelei weit verbreiteter Usus an der HU ist, sahen sich deren Vertreter*innen nun mit der Aussicht konfrontiert, hunderten ihrer studentischen Beschäftigten mehr Geld zahlen zu müssen. Anstatt die betroffenen Verträge sofort auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage zu stellen, beschloss man, diese auslaufen zu lassen und die wichtigsten Stellen vorübergehend mit Leiharbeiter*innen zu besetzen. Die Folge war, dass zahlreiche Studierende plötzlich ein unerwartetes Ende ihres Arbeitsverhältnisses zu erwarten hatten und dass das Beratungsangebot und die Öffnungszeiten der Bibliotheken monatelang eingeschränkt waren. Diesen Weg hatte das Präsidium der HU gegen den ausdrücklichen Willen des Personalrats und der Landesregierung eingeschlagen.

Im Januar 2018 stellte die AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus eine pikante Anfrage an den Senat. Die Partei, die dafür bekannt ist, linksaktivistische Organisationen und Strukturen mit parlamentarischen Mitteln in Bedrängnis zu bringen, verlangte die Herausgabe der Namen aller Referent*innen der Berliner ASten (Allgemeiner Studierendenausschuss) der letzten zehn Jahre. Während die Leitungen der Technischen und der Freien Universitäten Wege fanden, der AfD die verlangten Informationen vorzuenthalten, maß Sabine Kunst den Interessen ihrer Studierenden jedoch anscheinend weniger Bedeutung bei. Sie forderte vom RefRat (AStA der HU) die hochschulinterne Veröffentlichung der Namen seiner Mitglieder und beteuerte gleichzeitig, dass die Daten nicht an die AfD weitergeleitet würden. Der Einwand des RefRats, dass es der AfD bei einer hochschulinternen Veröffentlichung kaum Schwierigkeiten bereiten sollte, an die Daten zu gelangen, verfing nicht und es folgte eine Klage vor dem Verwaltungsgericht auf Herausgabe der Namen. Spätestens jetzt kam bei vielen der Verdacht auf, dass die Unileitung der HU auf eine Verständigung mit ihren Studierenden keinen besonderen Wert mehr lege. In dieser Zeit begann der Hashtag »HU gegen Studis« in den sozialen Netzwerken zu kursieren. Auch der Landesausschuss Studierender (LAS) der GEW BERLIN forderte in einer Stellungnahme die Rücknahme der Klage und kritisierte den Führungsstil von Sabine Kunst scharf.

Noch auf einem anderen Gebiet sind die Gräben zwischen Präsidium und Studierendenvertreter*innen tief. Mit nicht weniger harten Bandagen wird an der HU bei dem Thema Forschung und Lehre gekämpft, so etwa bei der geplanten Einrichtung eines Instituts für Islamische Theologie. Das Studierendenparlament (Stupa) der HU kritisierte, dass das bisherige Verfahren intransparent gewesen und der Beirat des Instituts aus ausschließlich konservativen Islam-Verbänden zusammengesetzt sei. Dieser Kritik folgend, legten die studentischen Vertreter*innen im Akademischen Senat ein Gruppenveto ein, als dort die Empfehlung zugunsten des Islam-Instituts verabschiedet werden sollte. Nach dem üblichen Prozedere hätte somit die Entscheidung auf die nächste Sitzung verschoben werden müssen; das Veto wurde jedoch einfach übergangen. Dieses Mal waren es die Studierenden, die vor dem Verwaltungsgericht klagten. Ohne über die Rechtmäßigkeit des Vetos zu entscheiden, lehnte das Gericht die Klage ab, und verwies darauf, dass die Einrichtung des Instituts de facto nun mal eine beschlossene Sache sei.

Eingriff in die demokratischen Strukturen der Universität

Aus Sicht der Studierendenvertreter*innen ist dies nur einer von vielen Eingriffen in die demokratischen Strukturen der Universität durch die eigene Leitung. Das HU-Präsidium hat sich in der Vergangenheit wiederholt in die Angelegenheit der studentischen Selbstverwaltung eingemischt. So wurden einige Beschlüsse des Stupas durch Bescheide des Präsidiums wieder aufgehoben und in einem Schreiben, das als Diskussionsgrundlage für Gespräche zwischen RefRat und Universitätsleitung dienen sollte, wurde offen die Legitimität der Fachschaftsinitiativen in Frage gestellt. Den Mitgliedern des Ref-Rats wurde über Monate der Zugang zum allgemeinen Mailverteiler der HU verweigert und damit die Möglichkeit, mit denjenigen, die sie repräsentieren, zu kommunizieren. In einem Zeitraum von zwei Jahren hat die HU 34 Strafanzeigen gegen ihre eigenen Studierenden gestellt, während deren Repräsentant*innen im Stupa unlängst den Rücktritt der Präsidentin forderten. Die Fronten sind in diesem Konflikt so verhärtet, dass ein Burgfrieden an der Humboldt Universität auf absehbare Zeit kaum vorstellbar zu sein scheint. Es bleibt die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Hat Sabine Kunst ihren Laden nicht im Griff? Ist es eine unglückliche Verkettung von Ereignissen, die in keinem direkten Zusammenhang stehen? Oder steckt dahinter eine politische Strategie?

Anne Hüls, Mitglied des Leitungsteams des LAS der GEW BERLIN, sieht hinter dem harten Vorgehen der Universitätsleitung gegen ihre studentisch Beschäftigten eine klare Logik: »In der Vergangenheit waren Studierende schlicht sehr preiswerte Arbeitnehmer*innen und so hat man die Arbeitsgebiete, in denen SHKs eingestellt werden können, immer weiter ausgeweitet. Nach einem zähen Arbeitskampf und der erfolgreichen Klage einer Studentin ist diese Quelle günstigen Personals nun in Gefahr.« Besonders die notorisch klamme Humboldt Universität könne unter diesen Umständen ihre bisherige Personalpolitik nicht aufrechterhalten und versuche nun, mit zweifelhaften Methoden SHK-Stellen, insbesondere in der Studierendenberatung, abzubauen. Auch Matthias Ubl, Mitglied des RefRats, sieht einen roten Faden in dem Vorgehen des Präsidiums: »Mit der Einsetzung Sabine Kunsts als Präsidentin im Jahre 2016 hat auch ein autoritärerer Führungsstil in der Humboldt Universität Einzug gehalten. Die organisierte Studierendenschaft wird zunehmend nicht mehr als gleichberechtigte Mitgestalterin betrachtet, sondern als politische Gegnerin, die den Plänen der Universitätsleitung im Weg steht.« Die Infragestellung der Legitimität von Teilen der studentischen Selbstverwaltung und der Versuch der Einschränkung des Handlungsspielraums der Studierendenvertreter*innen könnten zu einer vom Präsidium gewollten Erosion demokratischer Teilhabe an der HU führen. Dem würden sich die politischen Vertreter*innen der HU-Studierenden aber mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel entgegensetzen, so Ubl. Es sei also noch nicht entschieden, ob dem Präsidium der Versuch der Entdemokratisierung ihrer Universität gelinge oder nicht.