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bbz 04-05 / 2018

Interessen durchsetzen

Eine eigene Kampagne fahren, ohne großen Apparat und mit wenig Geld – geht das überhaupt? Aber klar, auf den Spannungsbogen und eine gelungene Medienarbeit kommt es an.

Druckkampagnen beschreiben einen Prozess, in dem Betroffene Forderungen formulieren, sich als Interessengruppe finden und Schritte zur Durchsetzung dieser Forderungen entwickeln. Dabei ist es egal, ob es um einen Konflikt an einer Schule oder um eine landesweite Forderung geht.

Druckkampagnen sind ein Mittel des Arbeitskampfs, alternativ oder ergänzend zum Streik. Mit dem klaren Ziel, Forderungen durchzusetzen. Voraussetzung ist ein strukturiertes Vorgehen. Aus einer Analyse der Situation wird eine konkrete Strategie inklusive spezifischer Aktionen entwickelt. Innerhalb einer begrenzten Zeitspanne wird eine Kampagne durchgeführt und anschließend werden die Ergebnisse evaluiert.

Wie das in der Praxis funktionieren kann, erleben wir gerade in unserer Stadt am Beispiel des Volksentscheids »Für gesunde Krankenhäuser« in Berlin. Vorausgegangen war eine überwiegend von der Gewerkschaft ver.di geführte Tarifauseinandersetzung. Der jetzt angestrebte Volksentscheid soll nun bestimmte Relationen von Pflegekräften zu Patient*innen im Krankenhausgesetz des Landes Berlin verankern und darüber hinaus Investitionsmittel für öffentliche Krankenhäuser aus dem Haushalt zur Verfügung stellen.

Das ist ein Beispiel für eine typische Druckkampagne, bei der indirekt über einen Volksentscheid versucht wird, Druck aufzubauen für das gemeinsame Ziel, mehr Pflegekräfte in die Krankenhäuser zu bekommen. Das kann funktionieren, weil wir alle tatsächlich ein gemeinsames Interesse an besserer Pflege in Krankenhäusern haben.

Große Themen anpacken

Themen einer Druckkampagne sind groß. Bei Lehrkräften ist das zum Beispiel die Arbeitsbelastung oder die Forderung nach Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung. Eine Druckkampagne kann Streiks ergänzen oder sogar ersetzen, wenn es keine Streikmöglichkeit gibt. Eine Druckkampagne setzt ein gewisses Niveau der Mobilisierung voraus – es braucht Aktive, die das Anliegen voranbringen, an öffentlichkeitswirksamen Aktionen teilnehmen und als Multiplikator*innen wirken.

Die Aktionsformen werden allmählich gesteigert, um den Druck schrittweise zu erhöhen. Das kann durch eine größer werdende Zahl von Teilnehmenden, durch eine größere Öffentlichkeitswirkung der Aktionen oder auch durch eine direkter werdende Konfrontation der Gegenseite mit dem eigenen Anliegen geschehen. Das Druckpotenzial kann auch dadurch gesteigert werden, dass mehrere Teilkampagnen zusammengeführt werden.

Wichtig dabei ist ein Spannungsbogen, das heißt die Aktionen bauen aufeinander auf und zeigen nach innen und außen wachsende Stärke.

Andere Betroffene mit einbeziehen

Über eine indirekte Strategie können auch andere Beteiligte Teil der Aktivitäten werden. Zum Beispiel kann im Rahmen einer Kampagne zur Entlastung der Lehrkräfte die Einstellung von mehr Verwaltungspersonal, IT-Administrator*innen, Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen gefordert werden.

Die Einstellung würde auch zu einer Arbeitsentlastung dieser Beschäftigtengruppen beitragen und sie damit vielleicht dazu bringen, die Forderungen der Lehrkräfte aktiv zu unterstützen.

Auch über die Einbeziehung möglicher Bündnispartner*innen lässt sich der Druck erhöhen; über neue Akteursgruppen, seien es Kund*innen, reale soziale Netzwerke oder die regionale Bevölkerung. Für Aktionen der Lehrkräfte sind das dann zum Beispiel Eltern und Schüler*innen. Wichtig ist es, Interessen der anderen Gruppen wie zum Beispiel nach Erhöhung der Unterrichtsqualität aufzugreifen und in einen Zusammenhang mit den eigenen Forderungen zu bringen.

Dem Anliegen ein Gesicht geben

Mit sozialen Medien können bisher Unbeteiligte in die Auseinandersetzung einbezogen werden. Gleiches schafft auch eine positive Presseberichterstattung. Neben gemeinschaftlichen Aktionen ist es, insbesondere in der Medienarbeit, wichtig, den Anliegen ein Gesicht zu geben, sie zu personalisieren.

Auf allen Ebenen ist es möglich, Lobbyarbeit zu betreiben. Oder wie Matthew Bolton, ein Organizer aus Großbritannien, es formuliert: Jede Person hat irgendeine Macht und durch die Bildung von Beziehungen und den richtigen Ansatz ist es möglich, sie für die eigenen Anliegen zu nutzen.

In seinem Buch »How to resist – Turn Protest to Power« führt Bolton als Beispiel für eine erfolgreiche Druckkampagne die »Living Wage«-Kampagne an. Ziel dieser von Reinigungskräften organisierten Kampagne war es, den Mindestlohn auf ein lebenswertes Niveau zu heben.

Neben vielen kleineren Aktionen gab es wichtige Wendepunkte in der Kampagne, wie der Auftritt einer Reinigungskraft auf der jährlichen Hauptversammlung der großen Bank HSBC. Die Reinigungskraft konfrontierte den Vorstandsvorsitzenden der Bank mit folgendem Beitrag: »Wir arbeiten im selben Büro, aber wir leben in verschiedenen Welten. Lassen Sie mich kurz schildern, wie es sich anfühlt, mit einem Stundenlohn von 4,50 Pfund eine Familie mit sechs Kindern durchzubringen.« Das Medienecho war sehr groß und nach relativ kurzer Zeit wurde HSBC eine »Living wage«-Firma.

Auch Organisationen, die anfangs in einer relativ schwachen Position sind, können mit Druckkampagnen ihren Forderungen Gehör verschaffen. Voraussetzungen dafür sind eine mobilisierte und auf das Ziel fokussierte Organisation und ein gutes Zusammenwirken der verschiedenen Aktionsformen.


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Wenn dein starker Arm es will“  [zur gesamten Ausgabe]