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Schule

Mit dem FREI DAY Zukunft lernen und gestalten

Margret Rasfeld vom Netzwerk »Schule im Aufbruch« fordert, dass Schulen an einem Tag in der Woche Kindern und Jugendlichen Freiräume geben, um Zukunft zu lernen und zu gestalten.

Girl under big Tree, retro
Foto: Adobe Stock

Frau Rasfeld, während der Meteorologe Sven Plöger neulich meinte, dass es eigentlich ein Fach Klimawandel geben müsste, fordern Sie, dass in den Schulen ein Freiraum für den Umgang mit den zentralen gesellschaftlichen Zukunftsfragen im Stundenplan verankert wird. Warum ist es falsch, ein Fach für Nachhaltigkeitsthemen einzurichten?

Rasfeld: Selbstverständlich müssen wir, der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel entsprechend, diesem Thema signifikante Bedeutung und Raum in der Schule geben. Bei der Etablierung eines Faches sehe ich jedoch die Gefahr, dass wir in alten Mustern gefangen bleiben: Unterricht – Arbeitsblätter – Hausaufgaben – Test – Ziffernoten, klassenbezogen und im Gleichschritt. Der Begriff »Fach« verführt geradezu zu solchen tradierten Vorstellungen. Bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind jedoch Partizipation, Gestaltungskompetenz und Selbstwirksamkeit wesentliche Schlüsselelemente. Schule aber bremst Jugend aus, so eine Studie der Leuphana Universität. Viele Jugendliche sind nachhaltigkeitsaffin, aber desillusioniert. Es fehlt ihnen an Hoffnung. Diese Haltung verändert sich, wenn junge Menschen spüren, dass sie selbst, zusammen mit anderen, etwas für eine lebenswerte Zukunft bewirken können und Selbstwirksamkeit erfahren. Dafür brauchen Schulen verbindlich Zeiten und Räume. Diese bietet der FREI DAY.

Wie müssen wir uns den FREI DAY vorstellen?

Rasfeld: Der FREI DAY ist ein freier Bildungsraum für Zukunftsthemen mit mindestens vier Stunden jede Woche und im Stundenplan verbindlich festgelegt. Die Themen kommen von den Kindern und Jugendlichen. Es geht um ihre Fragen, Forderungen und kreative Lösungen für eine lebenswerte nachhaltige Zukunft. Die jungen Menschen eignen sich selbstständig Wissen an und nutzen dazu das Riesenpotenzial an Expertise rund um die Schule. Sie arbeiten in altersgemischten Interessengruppen zusammen und haben ausreichend Zeit, ihre Ideen mutig und leidenschaftlich zu verfolgen und in die Welt zu bringen. Fehler und Scheitern sind ausdrücklich erlaubt. Es gibt keine Benotung. Die Ergebnisse und die erworbenen Kompetenzen werden in den Gruppen reflektiert, dokumentiert und der Schulgemeinde vorgestellt. Aus diesem gewonnenen Wissen erwachsen Ideen für das Handeln in Schule und Kommune. Die Schulen werden so zu Wirkstätten für weltverantwortliches Handeln. Lehrkräfte und andere Erwachsene unterstützen, ermutigen, begleiten.

Können Sie Beispiele nennen?

Rasfeld: Zum Beispiel sind Schüler*innen aktiv als Energiedetektiv*innen und etablieren Klimaräte. Sie überzeugen ihre Stadtverwaltung davon, Schulen auf Ökostrom umzustellen oder organisieren eine Klima-Woche in ihrer Stadt. Sie sorgen für eine müllfreie Schule ohne Plastik und tragen das Thema in die Familien und in ihr Schulumfeld. Sie nehmen das eigene Verkehrsverhalten kritisch unter die Lupe und erreichen, dass fast die gesamte Schüler*innenschaft auf Elterntaxis verzichtet. Bäume für Klimagerechtigkeit werden gepflanzt. Andere unterstützen Grundschulkinder in prekären Lagen beim Lernen und übernehmen Lernpatenschaften für geflüchtete Kinder. Schüler*innen entdecken das Theater als Ort des öffentlichen Diskurses, etablieren dort Zukunfts-Salons und laden Menschen mit Botschaften oder For-Future--Aktivist*innen ein.

Wie kommt Ihr neues Lernformat FREI DAY an?

Rasfeld: Die Idee des FREI DAY trifft auf große Resonanz. Bei Schüler*innen, Pädagog*innen, Schulleiter*innen, Eltern. Endlich Raum und Zeit für die wichtigen Themen. Endlich müssen wir nicht mehr Ideen der Schüler*innen unterdrücken, weil wir im Stoffplan weiterkommen müssen, freuen sich viele Lehrkräfte. Auch außerschulische Partner sind vom FREI DAY angetan, da sie sich bisher mit Angeboten an die engen Vorgaben der Schule angepasst haben und der FREI DAY nun auch für sie ganz neue Möglichkeiten der längerfristigen Projektbegleitung ermöglicht. In Niedersachsen ist der FREI DAY ein Modul in der BNE-Moderatoren-Ausbildung (Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung), mehrere Lehrkräftefortbildungsinstitute sind am FREI DAY interessiert. Schwieriger wird es dann bei der konkreten Implementierung an den Schulen. Wo kommen die Stunden her? Komme ich mit meinem Stoff durch, wenn ich was abgebe? Werden alle Schüler*innen Ideen haben? Fragen, die wichtig sind, denn es entstehen Grundsatzdiskussionen sowie das Hinterfragen von Annahmen und Haltungen. Der Austausch ist hilfreich. Wie macht ihr das? Wie seid ihr vorgegangen? Zwölf Schulen unterschiedlichster Schulformen, die sich zur Frei Day Community zählen, haben trotz erschwerter Corona- Bedingungen seit Beginn des Schuljahres 20/21 den FREI DAY parallel in mindestens drei Jahrgängen eingeführt.

Welche Rolle spielt BNE in dem Netzwerk »Schule im Aufbruch«?

Rasfeld: »Bildung für nachhaltige Entwicklung« ist für »Schule im Aufbruch« (SIA) das tragende Ethos. Seit der Gründung im Jahre 2012 basiert unser Leitbild auf einer Lernkultur der Potenzialentfaltung, orientiert an den vier Säulen der UNESCO: Lernen Wissen zu erwerben, lernen zusammenzuleben, lernen zu handeln, lernen zu sein. Dazu haben wir zusammen mit Schulen vielfältige innovative Lernformate entwickelt und erprobt. Teilen und voneinander lernen ist die Haltung. »Schule im Aufbruch« inspiriert durch Sinn, ermutigt durch Beispiele, vernetzt Aktive und befähigt Bildungspraktiker*innen zu neuen Haltungen und zur Entwicklung innovativer Lernsettings.

Wie ist das Verhältnis von Bildung für nachhaltige Entwicklung zu inklusiver Bildung?

Rasfeld: Das Menschenrecht auf inklusive Bildung ist Wesenskern von »Bildung für nachhaltige Entwicklung«. Empathie, Solidarität und gleichberechtigte soziale Teilhabe sind dessen Kernelemente. Das Zusammenleben lernen in der einen Welt, ist in einer gespaltenen, hierarchisch gegliederten Schullandschaft nur schwer verwirklichbar. BNE bedeutet: Schule neu denken. Es geht um einen grundlegenden Kulturwandel vom Ego zur Kraft des Wir. Lernen muss sich substanziell und radikal, an die Wurzel gehend, verändern. Wenn wir auf diesem Planeten überleben wollen, müssen wir lernen, zusammenzuleben, miteinander, verbunden und verbindend, achtsam und in Fürsorge.

Zum neuen Schuljahr startet die FREI DAY Region 
Berlin. Lehrer*innen, die an ihrer Schule den FREI DAY einführen wollen, können sich anmelden! Sie erhalten Fortbildungen und Vernetzung. Weitere Informationen dazu unter frei-day.org/region/berlin

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46