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Schule zusammen weiterentwickeln

Mittagessen im Viertelstundentakt

Das ganztägige Lernen ist im »Qualitätspaket« der Senatorin nur eine Randnotiz. Das Abgeordnetenhaus wiederum führte im Hauruck-Verfahren das kostenfreie Mittagessen ein. Die Qualität bleibt auf der Strecke

Bild: GEW BERLIN

Als Ende 2018 die Einführung des kostenlosen Mittagessens für alle Kinder der Klassen 1 bis 6 verkündet wurde, war die Überraschung vielerorts groß. Schon ein halbes Jahr später, im Schuljahr 2019/ 2020, sollte es losgehen. Eine vorherige Beratung mit Expert*innen oder gar Praktiker*innen fand nicht statt. Das Bündnis Qualität im Ganztag hat über 500 Berliner Pädagog*innen dazu befragt, wie die Umsetzung des kostenfreien Mittagsessens an ihren Schulen funktioniert. Die Ergebnisse der Umfrage wurden Anfang Dezember 2019 veröffentlicht und legen die Fehlplanungen der Senatsbildungsverwaltung offen.

Die Senatsbildungsverwaltung erwartete 11 Prozent mehr Essensteilnehmende. Die Umfrage macht deutlich, dass diese Planung fern jeder Realität war. Fast das Vier- bis Fünffache der von der Verwaltung eingeplanten Kinder hat sich in den ersten vier Monaten für das kostenfreie Mittagessen angemeldet.

Kinder halten den Mensastress nicht aus

Fast 70 Prozent der Befragten stellen fest, dass die bereitgestellten Räume nicht den Ansprüchen an eine pädagogisch wertvolle Essenssituation entsprechen. Eine Erzieherin beschreibt die Raumsituation: »Viele Kinder an unserer Schule freuen sich über eine warme Mahlzeit am Tag. Aber der Großteil isst inzwischen kaum noch oder gar nicht mehr, will sich dem Stress in der Mensa nicht mehr aussetzen. Viele Eltern bringen wieder etwas zu Essen mit, wenn sie ihre Kinder abholen.« Die Essenssäle sind überfüllt, oft werden Räume zweckentfremdet. Die Ausstattung der Küchen und das Mobiliar sind nicht auf die Vielzahl der Schüler*innen ausgerichtet. Das Mittagessen wird zum Stressfaktor. Pädagog*innen mutieren zu Brandlöschern, ermahnen und intervenieren permanent. Ein Mittagessen mit pädagogischem Mehrwert ist in weite Ferne gerückt.

Dass sich Berlin beim Thema Schulbau und Sanierung zwischen Tragödie und Komödie bewegt, ist bekannt. Somit mögen ungeklärte räumliche Situationen für niemanden eine Überraschung sein, und die Pädagog*innen können dabei ihre Kreativität und Abenteuerlust unter Beweis stellen. Nun sollen sie aber ein neues Zauberstück beherrschen, nämlich gleichzeitig an mehreren Orten unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen. Nichts anderes schien die Senatsbildungsverwaltung zu erwarten, als sie mehr Essensteilnehmende ohne eine automatische Steigerung der Stellen oder Stunden des pädagogischen Personals plante. Pädagog*innen, die für die Begleitung des Mittagessens eingeteilt sind, fehlen an anderer Stelle. Die Zeit, die für die Begleitung des Essens benötigt wird, geht von der Vor- und Nachbereitung, den Pausen, Zeiten am Kind oder gar von der Freizeit ab.

Um das Betreuungs- und Raumproblem zu lösen, greifen viele Schulen auf raffinierte und minutiöse Taktungen beim Essen zurück. An dieser Stelle wird das Zeit-Raum-Paradoxon zu einem banalen Problem, nämlich der Zeit, die zum Essen bleibt. 77 Prozent der Befragten geben in der Umfrage an, dass den Schüler*innen Essenszeiten zwischen 5 bis 25 Minuten zur Verfügung stehen. 23 Prozent berichten gar, den Kindern blieben nur 5 bis 15 Minuten für das gesamte Mittagessen. Das ist die Zeit die zum Händewaschen, Anstehen, Essen holen, Platz suchen, Essen, Abräumen, Händewaschen und zum Unterricht gehen da ist. Das Essen findet teilweise in den verkürzten Hofpausen oder auch immer öfter während der Unterrichtszeit statt.

Die eigentlich richtige und sinnvolle Einführung des kostenfreien Mittagessens wird überschattet von der miserablen Umsetzung. Auch wenn viele die spontane Handlungsbereitschaft des Senats lange vermisst haben, wären an dieser Stelle vielleicht die langsamen Mühlen der Verwaltung von Vorteil gewesen.