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Glosse

Neues aus dem Kindergefängnis

Die mittelmäßig begabten, faulen und jammernden Lehrer sollen mal eben Antisemitismus beseitigen, gegen religiöse Intoleranz und Rassismus kämpfen, für sexuelle Vielfalt und Gleichberechtigung eintreten und Medienkompetenz erwerben.

Foto: GEW BERLIN

Der geniale Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt ist gerade 100 geworden. Leider hat der Mann das Pech, dass seine Werke landesweit gern im Deutschunterricht behandelt werden. Und natürlich so grottenschlecht, dass die jugendlichen Opfer nie wieder etwas von Dürrenmatt hören, lesen oder sehen wollen. Erst ein prominenter Literaturkritiker entreißt den großen Dürrenmatt im SPIEGEL dem Nebel, den unfähige Lehrer mit ihrer zähen Textanalyse über ihn gelegt haben. Tief befriedigt merkt der Literaturkritiker an, dass Schule in Dürrenmatts Augen ein »Kindergefängnis« gewesen sei. Genau so isses. Und alles, was an Klischees über Schule und Lehrer gebetsmühlenartig wiederholt wird, gilt irgendwann als schiere Wahrheit.

Eine Nachbarin wird gefragt, wie es ihrer pubertierenden Tochter in der Schule geht. Die betretene Antwort: »Naja, was soll sein. Ein wacher Geist kann sich in der Schule einfach nicht wohlfühlen!« Ja, es ist wirklich ein Dilemma, wenn all die hochbegabten Kinder in den Schulen nur auf pädagogisches Mittelmaß stoßen. Die »wachen Geister« werden ja eher Journalisten und Politiker. »Ich bin kein Schulmeisterlein mehr!« höhnt ein früherer Kollege, der dem Hamsterrad entronnen ist, in dem er Ohrensausen entwickelte. Er widmet sich jetzt gesellschaftlich weitaus relevanteren Aufgaben. Er managt ein paar unbekannte Musiker, was seinen Ohren komischerweise überhaupt nichts ausmacht.

In den Zeitungen häufen sich die Reportagen über Quereinsteiger im Lehrerberuf. Ohne all die Fachnahen und Fachfremden wäre die bundesdeutsche Schule längst zusammengebrochen. Und es ist bestimmt kein Zuckerschlecken, sofort ganztags als Lehrer eingesetzt zu werden und nebenbei seine Ausbildung nachzuholen. Auch der Reporter hält das für eine bewundernswerte Leistung. Und er lobt den Quereinsteiger, der durch »frische Ideen« und seine eindrucksvolle Persönlichkeit überzeugt, während regulär ausgebildete Lehrkörper sich nur mit starrer Routine durchs Leben hangeln und natürlich nie einen Blick über den Tellerrand werfen. Wie wir alle wissen, ergreift der Lehrer seinen Beruf, weil er entweder das wahre Leben scheut, viele Ferien haben will, seinen Sadismus wahlweise Masochismus ausleben möchte oder im besten Fall ein Helfersyndrom hat.

Journalisten wissen auch, dass Lehrer sich von bloßen Vornamen leiten lassen und sich genüsslich an allen Kevins, Chantales, Alis und Fatmas abarbeiten. Kinder mit solchen oder ähnlichen Vornamen haben so gut wie keine Chance, in Harvard zu studieren. Hätten die Eltern sie mal lieber Charlotte und Paul-Wilhelm genannt! Eine weitere journalistische Edelfeder beklagt, dass Kinder in der Schule nur stillsitzen und zuhören dürfen. Niemand bringt ihnen Diskutieren bei. Niemand bespricht mit ihnen existenzielle Fragen. Die Kinder würden in der Schule nur verunsichert. Wo und wann hat diese Frau hospitiert? In einem Bergdorf um 1900?

»Lehrer jammern auf hohem Niveau«, verrät mir eine Frau, die neu im Schuldienst ist. Ich wundere mich, dass sie ihren Alltag als Lehrerin so locker wegsteckt. Wundere mich allerdings nicht mehr, als ich höre, dass sie nur halbtags arbeitet, meist doppelt gesteckt ist und nur einzelne Stunden eigenständig vorbereiten und halten muss. Ich finde es nett von ihren Kolleginnen, dass sie der Frau beim Einstieg helfen. Ich bin gespannt, was sie mir in fünf Jahren erzählt, wenn sie ganztags durch die Schule wirbelt, auch mal in der neunten Stunde unterrichten und viele erfreuliche Erfahrungen mit Vertretungsunterricht sammeln durfte.

Ein Comedian, als Reporter getarnt, befragt Passanten: »Überall fehlen Lehrer. – Wollen Sie nicht als Quereinsteiger starten? Sie werden mit Handkuss genommen!« Alle Befragten reagieren mit geringer Begeisterung. Drei junge Männer lachen sich kaputt: »Lehrer? Ich bin doch kein Opfer!« (Na gut, sie haben nicht »Opfer«,sondern »Hurensohn« gesagt.) Der Comedian schlägt Abwrackprämien für altgediente Lehrer vor.

Bei all diesen kompetenten Urteilen fällt anscheinend niemandem der irrsinnige Widerspruch dazu auf, dass Schule und Lehrerschaft alle gesellschaftlichen Probleme lösen sollen. Wann immer eine journalistische Fachkraft einen lustigen »Gedankenbonbon« hat, fordert sie die Einführung eines neuen Schulfachs, zum Beispiel »Trauer« oder »Klöppeln«. Die mittelmäßig begabten, faulen und jammernden Lehrer sollen mal eben Antisemitismus beseitigen, gegen religiöse Intoleranz und Rassismus kämpfen, für sexuelle Vielfalt und Gleichberechtigung eintreten, den Klassenraum streichen und Medienkompetenz erwerben, um sie dann kompetent vermitteln zu können. Wie soll das alles gehen? Das wissen kritische Journalisten und abgehobene Schulpolitiker genau: durch Fortbildungen. An Universitäten, in Schulbuchverlagen und Coaching-Centren lauern nämlich die Spitzenkräfte der Republik (vielfach heilfroh, nicht im Schuldienst zu sein) darauf, ihr enormes Praxiswissen an dumpfbackige Lehrer weiterzugeben.  

Dieser Text ist nicht nach den Richtlinien der Redaktion gegendert.    

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