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Was bleibt von Corona?

Platz schaffen für Bildung und Freizeit

Die offene Kinder- und Jugendarbeit wurde schon vor der Pandemie vernachlässigt. Während der Pandemie war sie für viele junge Menschen ein Rückzugsort. Nun ist es Zeit sie wieder stärker auszubauen.

Foto: Bertolt Prächt

Die Landesarbeitsgemeinschaft Offenen Kinder- und Jugendarbeit (LAG OKJA Berlin) steht im Dienste der über 400 Kinder- und Jugendclubs der Stadt. Jährlich werden diese mehr als 1,9 Millionen Mal von jungen Menschen aus allen Berliner Bezirken besucht. Offene Jugendarbeit ist mehr als Freizeitgestaltung. Sie birgt einen echten und eigenständigen außerschulischen Bildungsauftrag und nimmt in den Lebenswelten junger Menschen neben Familie und Schule einen wichtigen Platz ein – gerade auch in Zeiten der Pandemie!

Digitale Räume schaffen

Seit März 2020 haben die Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen samt ihrer Besucher*innen und Jugendarbeiter*innen Großartiges geleistet. Dank ihrer Kreativität und ihres Engagements hat die Kinder- und Jugendarbeit trotz Pandemie, schlechter technischer Ausstattung und zum Teil diffuser und berlinweit nicht einheitlicher Pandemie-Eindämmungs-Regelungen bewiesen: Die Kinder- und Jugendarbeit lebt!

Die Landearbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit Berlin hat während der Pandemiezeit eine digitale Plattform geschaffen, damit Fachkräfte ihre Problemlagen schildern, ihr Wissen bündeln und daraus neue Forderungen an Politik und Verwaltung formulieren können, sowie ihre Praxistätigkeit ressourcenvoller umsetzen können. Es ging darum, für Kinder und Jugendliche handlungsfähig zu bleiben.

Studien zeigen, dass vor allem fehlende Freundschaften für junge Menschen herausfordernd waren. Genau hier setzt Jugendarbeit an: Zeit in der eigenen Peer-Gruppe, Diskutieren mit Jugendarbeiter*innen, die Entwicklung solidarischer Projekte, „chillen“ als jugendkulturelle Bildungspraxis, aber eben auch Beratung und Begleitung bei Fragestellungen in den Bereichen Qualifizierung und Verselbstständigung. Daher war der Auftrag in der Schließzeit der Pandemie klar: Es musste Kontakt zu den jungen Menschen gehalten werden.

Dies geschah sowohl durch aufsuchende Arbeit in den Stadträumen als auch durch digitale Angebote oder Telefonhotlines. So entstanden in ganz Berlin Messenger-Gruppen, Online-Spiele-Nachmittage, Fifa-Ligen, digitale Beratungsangebote, Instagram- und TikTok-Kanäle.

Analoge Türen waren offen

Auch in der analogen Welt wurden kreative Spielideen im öffentlichen Raum platziert. Der Kreativität der Kinder- und Jugendarbeiter*innen waren kaum Grenzen gesetzt.

Die Freizeiteinrichtungen konnten dann ab Mai 2020 wieder mit eingeschränkten Gruppenangeboten öffnen. Nach und nach zeigte sich, dass Kinder und Jugendliche unter der Situation zunehmend litten, zum Beispiel unter familiären Konfliktsituationen. Kindeswohlgefährdungen wurden deutlich, Vereinsamung und das Suchtpotenzial digitaler Medien wurden mehr und mehr zum Thema.

Massive Lernrückstände kamen zum Vorschein. Teilweise verloren Jugendliche komplett den Anschluss an Schule und haben nun weder Schulabschluss noch Ausbildungsplatz. Um diesen Problemlagen zu begegnen und Freizeiträume zu erhalten, war es notwendig, die Einrichtungen offen zu halten.

Durch das Engagement der Fachkräfte konnte eine erneute Schließung verhindert werden, den Entscheidungsträger*innen in Politik und Verwaltung wurde deutlich gemacht, dass Jugendarbeit kein optionales Freizeitangebot ist, sondern ein elementar wichtiges Bildungsangebot. Kinder- und Jugendarbeit kann auf Problemlagen in der Schule hinweisen und auch Hausaufgabenhilfe leisten. Dabei ist der Ausgleich schulischer Defizite keine zentrale Aufgabe, die im gegebenen Kontext erfüllt werden kann.

Jugendarbeit ist kein Luxus

Ein wichtigeres Anliegen ist die außerschulische, künstlerische, kreative, sportliche Bildung sowie das emanzipatorische Potenzial von Jugendarbeit. Um die vielfältigen Aufgaben bewältigen zu können, reicht das bestehende, wenige pädagogische Personal nicht aus. Daher fordern wir, die LAG OKJA Berlin, eine stabile und nachhaltige Finanzierung. Jugendarbeit ist kein Luxus, sondern eine staatliche Pflichtaufgabe. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz heißt es: „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen.“ Mit dem Jugendförder- und Beteiligungsgesetz hat Berlin einen wichtigen Grundstein für die Jugendarbeit gelegt, die verlässliche Finanzierung ist aber aufgrund einer fehlenden Rechtsverordnung nicht umgesetzt.

Sinnvolle Finanzierung funktioniert nicht nach dem Gießkannen-Prinzip, sondern orientiert sich nach einem Fachstandard für Qualität, und erkennt somit die Bedarfe aus der Praxis an. Dass Finanzierungszusagen eingehalten werden, Räume geschaffen, qualifiziertes Personal eingesetzt wird, bildet die Grundlage für eine sinnvolle Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen.

Räume sind Mangelware

Um noch einmal aufzuzeigen, in welchem Spannungsfeld OKJA geleistet wird, auch wenn keine Pandemiebedingungen herrschen, ist es interessant, sich das Raumproblem anzusehen. Obwohl Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen einen eigenständigen und wichtigen Rückzugsort gegenüber anderen lebensweltrelevanten Orten wie Familie und Schule bilden, sind Räume in Berlin Mangelware. Mietverträge von Kinder- und Jugendeinrichtungen werden beendet, Mietpreise steigen und Jugendclubs werden zugunsten kapitalistischer Interessen geschlossen oder sind ganz grundsätzlich keine willkommenen Mieter*innen. Dabei wird vergessen, was für eine wichtige Rolle Kinder- und Jugendzentren in unseren Stadtteilen einnehmen.

Besonders der Schwund von Plätzen im öffentlichen Raum trifft die Jugend sehr. Öffentliche Grünanlagen werden zusammengestrichen und 246 Kinder- und Jugendclubs befinden sich im Sanierungsstau. Die zunehmende Verinselung und Institutionalisierung kindlicher und jugendlicher Lebenswelten ruft gerade nach mehr Freiheit in unserer Stadt. Vor allem ökonomisch erschwingliche Freizeitmöglichkeiten sind hier gefragt: Jugendclubs, Spielmobile, Abenteuerspielplätze.

Durch die Ausgaben der Berliner Verwaltung während der Pandemiezeit drohen der OKJA massive Kürzungen. Die eingeforderte Solidarität junger Menschen soll in der Folge der Pandemiebewältigung und angesichts der angeschlagenen Wirtschaft nicht zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen führen. Deshalb fordert die LAG OKJA: mehr Raum, mehr Personal, faire Arbeitsbedingungen und gute Politik für Kinder und Jugendliche!

Die „Landesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendarbeit Berlin“ (LAG OKJA Berlin) ist ein loser Zusammenschluss von Kinder- und Jugendarbeiter*innen und Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Berlin.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46