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blz 12 / 2014

Spannende Zeiten

Ilse Schaad über ihre Zeit als Leiterin des Bereichs Tarif- und Beamtenpolitik in Berlin und auf Bundesebene

Foto: Kay Herschelmann

Liebe Ilse, nachträglich unseren herzlichen Glückwunsch zum 65. Geburtstag im April 2014. Bist du gut rein- und wieder rausgekommen?

Ja, ich habe bei uns zuhause im kleinen Kreis gefeiert. Im Sommer habe ich dann noch eine Gartenparty gemacht. Das war schön, da waren dann auch alte MitstreiterInnen dabei. Bei meiner Arbeit in den vergangenen Jahren war ich so viel unterwegs, dass ich einige Leute schon lange nicht mehr gesehen habe.

Da überall das 25jährige Jubiläum des Mauerfalls gefeiert wird, müssten wir dich eigentlich auch fragen, wie du das damals mitbekommen hast. Aber das stand ja schon vor fünf Jahren in der blz: Du bist mit deinen beiden Kindern, damals 6 und 9, noch am Abend zur Mauer gefahren und erst um 2 Uhr wiedergekommen. An was erinnern die sich denn heute noch? Die sind ja inzwischen 32 und 35 Jahre alt.

Die erinnern sich beide. Mein Sohn Benjamin studiert ja nach einigen Semestern Philosophie heute Architektur und hat sich mit dem Mauerfall und den Folgen während des Studiums ausführlich befasst. Er sagte mir, dass er damals nicht sonderlich begeistert war, als er mit musste, aber mir heute noch dankbar ist, dass ich ihn mitgeschleppt habe und er diesen historischen Moment live miterleben konnte. Das war ja auch eine besondere Stimmung damals. Wir waren zuerst am Checkpoint Charlie und dann am Brandenburger Tor – faszinierend, was da abgelaufen ist.

Du bist seit 1987 Leiterin des Referates Angestellten- und Beamtenpolitik in Berlin. Da war die Vereinigung für deinen Bereich doch bestimmt sehr spannend.

Na ja, da war 1989/90 ja auch noch der Kita-Streik. Das war auch schon aufregend. Und dann der Mauerfall – das war ja nun für – fast – alle überraschend. Und dann die Diskussionen und Kontakte der GEW mit den Gewerkschaften dort, das war schon sehr spannend. Wir waren dauernd unterwegs damals und haben gar nicht mehr gespürt, was das auch für eine Belastung war. Man war ständig unter Adrenalin.

Mit Safter Çinar bin ich hauptsächlich in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unterwegs gewesen – fast jede Woche woanders. Alles war ja neu: die Leute, die Einrichtungen. Da waren auch schon eindrucksvolle Sachen darunter. Ich war zum Beispiel erstaunt über die pompöse Ausstattung des Internats in Königs Wusterhausen für Kinder von Leuten, die im Westen arbeiteten. Andererseits waren wir aber auch erschrocken zum Beispiel über die Art und Weise im Makarenko-Heim in Treptow.

Wie bekommt man als Deutsch- und Englischlehrerin eine Leidenschaft für die doch, na ja, sehr trockene Tarif- und Beamtenpolitik?

Das hat natürlich auch biografische Ursachen. Ich habe schon immer gerne den Mund aufgemacht, mich gewehrt. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass man bei solch exponierter Stellung gut daran tut, sich unangreifbar zu machen. Da muss man sich eben gut informieren über die Regeln. Und ich habe immer nachgefragt, auf welcher Grundlage nun Vorgesetzte irgendwas anweisen: Wo steht das, bitte?

Aber richtig losgegangen ist es erst, als ich mich tierisch über meine Schulleitung geärgert habe. Die hat mir, als ich bei meinem ersten Kind auf Teilzeit gegangen bin, soviel Springstunden gegeben, dass ich statt kürzer sogar noch länger in der Schule bleiben musste: 13 Stunden hatte ich zu geben und 17 Springstunden haben die mir reingehauen. Deswegen habe ich mich in die entsprechenden Gesetze und Verordnungen eingelesen. Als ich dann Personalrätin war, habe ich folgerichtig erst einmal Stillzeiten für stillende Mütter durchgesetzt. Darüber redet heute keiner mehr. Aber damals hat man pro Tag eine volle Unterrichtsstunde zum Stillen bekommen. Bei diesen Aktivitäten hat sich herausgestellt, dass es mir Spaß macht, mich mit anderen herumzustreiten und dass ich gerne recht habe. Das habe ich dann weiterverfolgt.

Du hast dich aber auch innerhalb der GEW nicht gescheut, trotz heftigen Widerstand deine Positionen zu vertreten!

Na ja, ich war ja nicht allein dabei. Es gab neben den Kritikerinnen auch UnterstützerInnen. Und ich muss sagen, dass ich die ganze Zeit als Personalrätin und auch als Referatsleiterin in Berlin und später in Frankfurt immer sehr viel Zuspruch erfahren hab. Ich hatte eigentlich immer das Gefühl, dass das, was ich tue, auf breite Zustimmung stößt.

Aber die Erfolge der letzten Jahre in der Tarifpolitik waren doch nicht so berauschend, oder? Hat das nicht etwas den Spaß gemindert?

Da kommt es drauf an, wie man draufschaut. Die GEW hat bis 2005 auf Bundesebene gar nichts für die angestellten Lehrkräfte getan. In den acht Jahren, die ich auf der Bundesebene dabei war, gab es dann aber eine Reihe von tarifpolitischen Erfolgen. Nur ein Beispiel: Wir haben beim Übergang vom alten BAT zum TV-L verhindert, dass die Schlechterstellung der angestellten Lehrkräfte fortgeschrieben wird. Unter dem alten BAT waren alle angestellten Lehrkräfte mit Ausnahme der Gymnasiallehrkräfte von den allgemeinen Zulagen, die alle bekamen, die unter den BAT fielen, ausgeschlossen. Wir haben erfolgreich verhindert, dass dies im neuen Tarifrecht fortgeschrieben wird. Aber auch die guten Ergebnisse bei allgemeinen Lohnerhöhungen waren in den letzten Jahren hauptsächlich den streikenden Lehrkräften zu verdanken.

Leider habe ich mein Hauptziel, ein Eingruppierungstarifvertrag, nicht erreicht.

Boris Fahlbusch und Erhard Laube haben im letzten SenioRita-Interview gemeint, dass sich die GEW immer die Erfolge kleinrede, weil man nicht akzeptiert, dass bei Verhandlungen Kompromisse geschlossen werden.

Das ist richtig. Tatsächlich vergisst man in der GEW immer, dass wir nicht diktieren können, sondern verhandeln müssen. Da müssen nun mal beide Seiten nachgeben, sonst wird das nichts. Die GEW hat lange Zeit gar nicht verhandelt, hat aber umso gründlicher das von der damaligen ÖTV erzielte Ergebnis in Grund und Boden kritisiert. Das geht jetzt nicht mehr. Ich halte mir hier zugute, dass die GEW in meinen acht Jahre an Kampfkraft und Durchsetzungswillen enorm zugelegt hat.

Aber du hast dabei ja auch auf deine Erfahrungen in Berlin zurückgreifen können: Angleichung Ost an West, Verhandlungen mit dem damaligen Schulsenator Klemann bezüglich der Unterstufenlehrkräfte, aber auch der anderen Angleichungen an die West-Verhältnisse. Dass die Unterstufenlehrkräfte nach A12 gekommen sind, war kein kleiner Erfolg!

Das stimmt! Das war der Erfolg der GEW, weil wir klare Ziele vor Augen gehabt haben. Da habe ich mich mit Erhard Laube sehr gut ergänzt. Wir haben gemeinsam viele Vereinbarungen mit dem Senat geschlossen und letztendlich die Jobs der tausend Fristverträgler gerettet – übrigens mit einer gut überlegten Strategie. Nirgends waren die Unterschiede Ost-West so deutlich wie in Berlin, deshalb war es hier auch am dringendsten, schnelle Lösungen zu suchen – und zu finden. Das hat übrigens die Bundes-GEW damals leider versäumt, die hätten 1992 offensiver einen Tarifvertrag für angestellte Lehrkräfte durchsetzen müssen, dann hätten wir heute einige Probleme weniger. Das war aus meiner Sicht der größte tarifpolitische Fehler, den die GEW gemacht hat.

Wie war das überhaupt, dieser Sprung vom Landesverband auf die Bundesebene?

Erst auf der Bundesebene sieht man, dass es nicht so einfach ist, mit den konvergierenden Interessen der Landesverbände umzugehen. Der Bund ist ja relativ machtlos, was mir vorher nie so klar war. In der Tarifpolitik ist zwar der Bund zuständig, aber wenn ein Landesverband nicht richtig mitzieht, klappt eben alles nicht. Mir hat außerdem der direkte Kontakt zu den KollegInnen gefehlt. Ich war ja bis 1995 noch in der Schule, da ist man dann immer nah dran. In den acht Jahren auf Bundesebene habe ich eigentlich immer nur gearbeitet oder im Zug gesessen. Also wenn man nicht davon überzeugt ist, dass das, was man macht, ungeheuer wichtig ist, und man selbst das ungeheuer gut macht, dann hält man den Job wohl nicht durch.

Und wie schätzt du die aktuelle GEW-Tarifpolitik ein?

Ehrlich gesagt bekomme ich davon gar nicht mehr viel mit. Seit ich nicht mehr im Hauptvorstand bin, bekomme ich nicht mehr Informationen als ein normales Mitglied. Das ist eigentlich ein bisschen schade. In einigen Punkten glaube ich, dass da alter Wein in neuen Schläuchen fließt. Wir werden sehen. Ich bin allerdings nur mäßig optimistisch.

Was machst du eigentlich nach all den Jahren unter Hochspannung. Was macht die Powerfrau im Ruhestand?

Na ja, jetzt kümmere ich mich wieder mehr um alte Freunde, die ich die letzten Jahre vernachlässigt habe. Ganz davon abgesehen, dass ich jetzt auch mal ein Buch zu Ende lesen kann. Und dann habe ich ein neues, altes Hobby. Ich habe nach der Schule mal eine Schneiderlehre angefangen. Die habe ich zwar wieder abgebrochen, aber seitdem kann ich ganz gut nähen, stricken und häkeln. Das mache ich jetzt relativ viel – und es gibt eine gute Nachfrage nach meinen Sachen. Nicht nur bei meinen Kindern und meinem Enkel, auch andere Anfragen kommen. Diese handwerklich-kreative Arbeit macht mir Spaß. Ein bisschen GEW-Politik mache ich aber auch noch: Ich bin jetzt LDV-Delegierte und auch Revisorin. Außerdem habe ich im letzten Jahr dreimal Urlaub gemacht. Ich meiner gesamten GEW-Zeit bin ich nur zweimal Dazu gekommen, man sieht also: ein Fortschritt.

Das ist ein schöner Ausklang: Ilse, wir danken dir für das Gespräch!

 


Ilse Schaad
Jahrgang 1949, von 1973 bis 1978 Lehrerin (Deutsch und Englisch) in Hessen, danach in Berlin an der Carl-von- Ossietzky-Gesamtschule in Kreuzberg. Ab 1983 im Kreuzberger Personalrat, ab 1988 als deren Vorsitzende. Ab November 1987 Leiterin des Referates A, also des heutigen Vorstandsbereiches Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik sowie im Hauptpersonalrat und im GPR aktiv. 2005 wurde sie dann zur Leiterin dieses Bereichs auf Bundesebene gewählt. Sie ist 2013 in den Ruhestand gegangen