Zum Inhalt springen

bbz 03 / 2018

Texting + Sex = Sexting

Erotische Selfies zwischen Flirt und Cybermobbing. Welche Gefahren sind damit verbunden und wie gehen wir sinnvoll und präventiv damit um?

Liebe ist ein Glas, das zerbricht, wenn man es zu unsicher oder zu fest fasst.« So lautet ein russisches Sprichwort und man könnte beim Lesen die Augen schließen und sich an die eigene Jugendzeit erinnern. Wie war die Zeit der Pubertät? Wie wichtig war das eigene Aussehen? Welche Bedeutung hatten Freund*innen? Und wie kam es zum ersten Geschlechtsverkehr? Die Pubertät ist eine Phase des Umbruchs, des Austestens von Grenzen, der sexuellen Identitätsfindung, eine magische Zeit, in der Freud und Leid oft dicht beieinanderliegen. Die altersspezifischen Entwicklungsschritte lassen sich auch im Sexting wiederfinden.

Sexting, zusammengesetzt aus »Texting« und »Sex«, ist eine Spielart des Selfies. Dabei geht es um das Versenden und Empfangen von selbst erstellten Nacktbildern und Videos. Nichts zu tun hat es mit dem Versenden anonymer, nicht selbst produzierter pornografischer Darstellungen.

Für den pädagogischen Umgang mit Sexting ist es sinnvoll, die persönlichen sexuellen Erfahrungen und die eigene Haltung zu reflektieren. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Mediennutzung, Wissen um das Thema Sexting sowie Neugier und Offenheit für die Lebenswelt von Jugendlichen bieten dafür die Basis.

Sexting im Alltag von Jugendlichen

Online-Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil der Lebenswelt Jugendlicher. Hierzu nutzen sie verschiedene Plattformen, um text- und bildbasierte Nachrichten zu versenden. Nach der aktuellen JIM-Studie 2017 (Jugend, Information, Multi-Media), steht WhatsApp mit weitem Abstand an der Spitze, 94 Prozent der 12- bis 19-Jährigen nutzen diesen Kommunikationsdienst mindestens mehrmals pro Woche, Instagram kommt auf 57, Snapchat auf 49 Prozent. Die »dienstälteste« Plattform Facebook wird nur noch von einem Viertel der Jugendlichen regelmäßig genutzt.

Nach einer österreichischen Studie aus dem Jahr 2015 kennt die Hälfte der 500 befragten Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren jemanden, der oder die bereits Nacktaufnahmen von sich selbst an andere verschickt hat. Ein Drittel hat selbst schon Fotos oder Videos erhalten, auf denen Personen nackt oder fast nackt abgebildet waren. 16 Prozent der Jugendlichen gaben an, schon einmal freizügige Aufnahmen von sich selbst erstellt und diese dann meistens auch versandt zu haben. Sexting ist also ein häufiger Ausdruck des Beziehungs- und Sexuallebens junger Menschen. Aber auch Erwachsene sollten den eigenen Umgang mit Bildmaterial reflektieren: Wer hat schon mal ein Foto einer anderen Person verschickt, ohne sie vorher zu fragen? Wer hat Bilder des eigenen Kindes verschickt?

Auch wenn verschickte Bilder und Videos keine sexuellen Inhalte haben, gehen Erwachsene oft selbst recht sorglos mit den Persönlichkeitsrechten anderer Menschen um.

Die Ilmenauer Medienpsychologin Professorin Nicola Döring vergleicht die Funktion von Sexting-Botschaften mit der von Liebesbriefen. Sie finden meist in sexuellen Beziehungen statt und sollen Vertrauen aufbauen oder eine Beziehung festigen. Das Foto oder der Clip fungiert dabei als symbolisches Geschenk und kann deshalb auch der Anbahnung einer neuen Paarbeziehung oder einem unverbindlichen Flirt dienen. Sexting ist eine Form, sexuelle Identität zu erlangen, ohne die Gefahr, schwanger zu werden oder sich mit einer Geschlechtskrankheit anzustecken. Provokant ausgedrückt ist Sexting, zumindest physisch, Safer Sex und für die Beteiligten in der Regel überwiegend mit positiven Erfahrungen verknüpft.

Die größte Gefahr liegt in der möglichen ungewollten Veröffentlichung freizügiger Fotos oder Videos durch verletzte Ex-Partner*innen, gezieltes Mobbing oder unbedachte Späße. Ein Bild oder ein Film, die an nicht umsichtige Adressat*innen versandt wurden, können für das Opfer zu herbem Reputationsverlust und andauerndem Mobbing führen. Bezugspersonen wie Freund*innen, Eltern oder Lehrkräfte reagieren mit Schuldzuweisungen: »Wie kann man nur so dumm sein, solche Bilder zu verschicken? Selbst schuld.« Dieses Victim Blaming verhindert Mitgefühl und fördert die Beteiligung an Ausgrenzung durch Lästern oder stetiges Weiterleiten der Sexting-Botschaften. Dazu kommen die Sprengung der Raum-Zeit-Dimension, einmal im Netz – immer im Netz, und psychosoziale Folgen wie Scham, Schulangst, sozialer Rückzug, Depression bis hin zum Suizid.

Döring macht die geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Sexting an den Erwartungen an die Mädchen fest. Diese sollen sich sexuell attraktiv präsentieren und gleichzeitig wird von ihnen »weibliche« Zurückhaltung verlangt. Ein offensiv sexuelles Verhalten gilt als »billig« und »schlampig« und führt zu sozialer Stigmatisierung, gerade unter Mädchen. Auch wenn der Inhalt von Sexting-Bildern meist weniger freizügig ist als das, was im Schwimmbad zu sehen wäre, die Existenz des selbst erstellten Fotos macht aktives sexuelles Handeln von Mädchen sichtbar und lässt sich leicht skandalisieren. Ein sexy Posing-Foto kann, so Döring, einen Jungen nicht im selben Maße bei seinen Peers kompromittieren wie ein Mädchen. Jungen reagieren ambivalent, sie zeigen sich interessiert und gleichzeitig werten sie die Mädchen ab, die solche Fotos von sich machen lassen und damit nicht der Norm femininer sexueller Zurückhaltung entsprechen.

Empfehlungen für Safer Sexting

Es hilft wenig, Jugendlichen allgemein nahezulegen, nie freizügige Bilder oder Videos zu versenden. Das ist vermutlich ebenso nutzlos wie der Hinweis, sie sollten nichts Persönliches ins Netz stellen. Doch wie lassen sich die Gefahren minimieren? Döring formuliert sechs Empfehlungen:

  •  Einvernehmliches Sexting unter Jugendlichen ebenso wie einvernehmlichen Sex akzeptieren: Wenn einvernehmliches Sexting unter Jugendlichen als normaler Bestandteil des Erwachsenwerdens anerkannt wird, ist es für Pädagog*innen auch möglich, bei Bedarf Details des »Safer Sexting« zu besprechen.
  • Nicht-einvernehmliches Weiterleiten bloßstellender Bilder als Problem fokussieren: Das eigentliche Vergehen ist nicht das Sexting, sondern das Herumzeigen und Weiterleiten privater Fotos ohne Einverständnis der abgebildeten Personen. Pädagog*innen sollten thematisieren, dass es sich dabei nicht um einen »lustigen Streich« handelt und dass es eine Frage der Ehre ist, sich nicht daran zu beteiligen, sondern sogar dagegen vorzugehen.
  • Unterstützung für Mobbing-Opfer durch Peers, Erwachsene und Institutionen verbessern: Wenn Sexting nicht mehr tabuisiert wird, können sich die von ungewollter Fotoweitergabe betroffenen Opfer hilfesuchend an Eltern und Lehrkräfte wenden, ohne befürchten zu müssen, selbst beschuldigt und bestraft zu werden.
  • Sexueller Doppelmoral und Verunglimpfung von sexuell aktiven Mädchen als »Schlampen« entgegenwirken: In Elternhaus und Schule sollten dysfunktionale sexuelle Scripts über den »Trieb« der Jungen und den »Ruf« der Mädchen hinterfragt werden.
  • Ausdrückliches Einverständnis als Richtschnur jeglichen sexuellen Handelns besser verankern und dabei die Jungen stärker in die Pflicht nehmen: Das Einüben des Konsensprinzips, das Erkennen und Respektieren von Grenzen sind wichtige Erziehungsaufgaben.
  • Foto-Missbrauch in einer sozialen Gruppe als Symptom grundlegenderer Konflikte behandeln: Sexting darf nicht auf den »falschen Umgang« mit dem Smartphone reduziert werden, vielmehr müssen Probleme der Klassengemeinschaft näher beleuchtet werden: Mobbing, Sexismus, fehlende Unterstützung von Seiten der Peers und der Erwachsenen oder fehlende Sensibilisierung für Privatsphäre. Programme wie Soziales Lernen, Lions-Quest, Klassenrat oder der No Blame Approach fördern das soziale Klima in der Klasse und die Ich-Stärkung der Jugendlichen.

 

Vorwürfe vermeiden

Auch Jugendliche geben sich untereinander Ratschläge für sicheres Sexting. Döring nennt acht Kriterien, die in Jugendforen immer wieder auftauchen:

  1. Mach nur beim Sexting mit, wenn du es wirklich willst.
  2. Betreibe Sexting nur mit einer verantwortungsvollen Person, die du gut kennst.
  3. Betreibe Sexting nicht einseitig, indem nur du Bilder schickst, sondern wechselseitig.
  4. Anstelle von sexuell sehr eindeutigen Fotos oder Nacktbildern kannst du im Zweifelsfall Unterwäsche- oder Badehosen- oder Bikini-Fotos nehmen.
  5. Sexting-Bilder können anonymisiert werden, indem du einen Ausschnitt wählst, auf dem dein Gesicht oder andere identifizierende Merkmale nicht zu sehen sind.
  6. Wenn du Fotos verschenken möchtest, dann vielleicht lieber professionelle Aktfotos vom Fotografen. Die sehen auf jeden Fall ästhetisch und nicht »billig« aus.
  7. Niemand darf ohne dein ausdrückliches Einverständnis Bilder von dir machen oder Bilder, die du selbst gemacht hast, weiterverbreiten. Das ist eine Straftat.
  8. Stehe zu dem, was du gemacht hast und zu deinem Körper. Du hast nichts falsch gemacht. Schämen sollten sich diejenigen, die Fotos weiterleiten und andere mobben.

Peer-to-Peer-Empfehlungen haben einen höheren Wirkungsgrad als die von Pädagog*innen. Im Unterricht könnte man deshalb die Tipps von den Jugendlichen selbst erarbeiten lassen.

Lehrkräfte, die von jungen Menschen angesprochen werden, sollten Vorwürfe vermeiden und diese Botschaft vermitteln: »Es ist nicht immer leicht, sich selbst zu schützen. Wenn es dir nicht gelungen ist, ist das nicht deine Schuld!« Nicht die sexy Selbstdarstellung ist zu verurteilen, sondern das, was damit passiert ist, nämlich die Verbreitung durch andere.

Zum Abschluss noch einmal zurück zu dem zitierten Sprichwort: Auch Sexting ist wie ein Glas, das zerbrechen kann. Eine Garantie für die Sicherheit des Glases gibt es nicht, aber es können Wege aufgezeigt werden, wie das Glas von allen Beteiligten achtsam gehalten werden kann.