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bbz 01 / 2017

Volle Kraft voraus

Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag verschafft den Berliner Hochschulen zwar etwas mehr Geld aber gleichzeitig auch viel mehr Aufgaben.

Angenommen, die Mehrheit der Leser*innen der bbz hätte für eine der drei künftigen Regierungsparteien Berlins gestimmt: sind »wir« dann jetzt am Ruder? Und was bedeutet das, wenn man die 6 (von 177) Seiten des Koalitionsvertrages von Mitte November studiert, die der Wissenschaft als »Impulsgeberin der wachsenden Stadt Berlin« gewidmet sind?

Die erste Botschaft ist eine gute Nachricht: Es sollen künftig mehr Landesmittel in die Hochschulen fließen, die neuen Hochschulverträge sollen ab 2018 über fünf statt bisher vier Jahre laufen und jährlich 3,5 Prozent mehr Mittel garantieren. Der »Investitionspakt Hochschulbau« soll von 60 auf 100 Millionen Euro pro Jahr ausgebaut sowie die Mittel für das Studierendenwerk (zur Schaffung von studentischem Wohnraum) erhöht werden, und im Bund wird auch für mehr Mittel geworben. Das gibt den Hochschulen Planungssicherheit und Zuwachs, und unterscheidet Berlin durchaus von anderen Bundesländern – Wissenschaft ist eben ein entscheidender Faktor für die Stadt Berlin. Allerdings werden im Folgenden zahlreiche zusätzliche Anforderungen an die Hochschulen formuliert, für die eine Budgeterhöhung von 3,5 Prozent eindeutig nicht ausreichen wird, so dass diese entweder zusatzfinanziert werden müssen oder an der bisherigen Struktur der Einsparzwang angesetzt werden wird. Im Gegenzug von etwas mehr Geld werden also die Hochschulen mit sehr viel mehr Ansprüchen konfrontiert und in Verteilungskonflikte gezwungen – obwohl schon der Normalbetrieb eindeutig quietscht.

Die Verbreiterung des Studienangebots in den Bereichen Verwaltung, Gesundheit und Sozialer Arbeit soll an den (ehemaligen Fach-)Hochschulen passieren, die außerdem einen eigenen wissenschaftlichen Mittelbau aufbauen dürfen und mit einem kooperativen oder notfalls eigenen Promotionsrecht ausgestattet werden. Die Sollzahl der Lehramtsabsolvent*innen soll in den nächsten Verträgen auf 2.000 – mit Schwerpunkt besonders im Grundschulbereich – verdoppelt werden, selbst wenn die jetzige von 1.000 aktuell noch nicht erfüllt wird. Außerdem will die Koalition entgegen der Bundeslinie die Plätze in den kapazitätsintensiveren Masterstudiengängen breit ausbauen und »in Berufen, die einen Masterabschluss voraussetzen für alle Studierenden, die den Bachelor erlangt haben, einen Übergang in die Masterphase sicherstellen«. Weil sich um diese Plätze ja alle Bachelor-Absolvent*innen bundesweit bewerben können, muss man hier auf Zaubertricks der Senatsverwaltung gespannt sein.

Der für die Beschäftigten vielleicht wichtigste Vorsatz der Koalition soll zu einem »Paradigmenwechsel in der Personalentwicklung« führen. Diese Passage könnte aus dem »Templiner Manifest« oder dem »Herrschinger Kodex« der GEW abgeschrieben sein: Daueraufgaben sollen von Dauerangestellten wahrgenommen werden und die Befristungen mit Mindestlaufzeiten auf klare Sachgründe, meist ein Qualifikationsziel, beschränkt und die familienpolitische Komponente überall verbindlich werden. Unbefristete Mittelbaustellen sollen Karriereperspektiven neben der Professur ermöglichen, Lehrauftragshonorare sollen erhöht und die Praxis des billigen Lehrersatzes in der Pflichtlehre eingedämmt, sowie die Entgelte der studentischen Beschäftigten erhöht werden.
Demgegenüber fast kostenneutral sind Ziele wie die Stärkung der Partizipation von allen an der Wissenschaft Beteiligten, der Hochschulzugang für Geflüchtete, die Stärkung der Friedens-, Konflikt- und Integrationsforschung, oder auch die Umsetzung einer Open Access Strategie. Ein Orientierungsstudium am Anfang und auch echtes Teilzeitstudium soll ermöglicht werden, Berufungsprozesse beschleunigt werden. Die Frage wird sein, um wie viele Punkte auf der Agenda der kommenden Koalition sich die Hochschulen gleichzeitig werden kümmern können.

Für die gewerkschaftlich orientierten Studierenden und Mitarbeiter*innen der Hochschulen sind noch nicht goldene Zeiten angebrochen. Nimmt man aber die guten Absichten der sechs Seiten ernst, dann erwarten wir von der kommenden Regierung in den nächsten Jahren eine deutliche Verbesserung der Studier- und Arbeitsbedingungen. Den Koalitionsvertrag abzuarbeiten wäre schon ein gutes Vorhaben. Die GEW wird dies kritisch begleiten – und einfordern.