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Mitbestimmung

Wer ist schuld?

Fungieren „aufgeblähte" Personalräte als Bremser der Berliner Verwaltung und der Schulaufsicht? Ein Kommentar.

Ilse Schaad. Foto: Kay Herschelmann

Das öffentlich angeschlagene Ansehen der Berliner Schulaufsicht war am 24.1.2021 Gegenstand eines einseitigen – durchaus im doppelten Wortsinn -  Artikels im Tagesspiegel. Frau Vieth-Entus, kontaktreiche Journalistin, fragte die Schulaufsicht und erfuhr: an allem sind  die Personalräte schuld, deren Zahl sich nach Auffassung der Schulräte, die vom Tagesspiegel dazu befragt wurden, durch das mächtige Wirken der GEW in den letzten 25 Jahren verdoppelt habe, während die Schulaufsicht halbiert wurde:

 Aufgeblähte" Personalräte als Bremser. Überhaupt – die Personalräte. Entscheider in der Verwaltung klagen, noch aufgeblähter als die Verwaltung seien die Personalräte: , lautet die leidvolle Erfahrung eines ehemaligen Mitarbeiters, der als Gewerkschafter den Personalräten eigentlich positiv gegenübersteht.
Was in Berlin passiere, gehe aber ‚auf keine Kuhhaut‘. Die Berliner Lehrergewerkschaft GEW habe einst durchgesetzt, dass sich die Zahl der Personalräte „nahezu verdoppelte“, während das Personal in der Schulaufsicht halbiert wurdeVor drei oder vier Schulräten stehen 15 Personalräte, die nichts selber schaffen oder entwickeln, sondern den Schulrat zu einem Einverständnis zwingen oder zumindest zu einem Konsens, weil der sonst lahmgelegt wird‘, kritisiert der genervte Gewerkschafter, dem an einer funktionierenden Verwaltung gelegen ist…."

Wer mag wohl der ehemalige Gewerkschafter, der behauptet, die GEW habe durchgesetzt, dass sich die Zahl der Personalräte nahezu verdoppelt habe, sein? Ein Kenner der Materie jedenfalls ist er nicht. Es gab ein einziges Mal eine erhebliche Erhöhung der Anzahl der Personalräte, das war bedingt durch den 3. Oktober 1990 – die Deutsche Einheit. Bisher hat noch niemand behauptet, das sei das Werk der GEW Berlin. Durch die Erstreckung westlichen Rechts wurden im Ostteil Bezirke gebildet und – oh Graus – auch Personalvertretungen gewählt. Dass die Folge auch eine nahezu Verdoppelung der Bezirke, der Stadträte und – das wollen wir doch nicht verschweigen – auch der Schulräte war, verschweigt der Desinformant zart. Allerdings gab es einmal die Erhöhung der Personalräte um 29 an der Zahl und das war Folge der Gründung des Landesschulamtes 1995 und der daraus resultierenden Bildung eines Gesamtpersonalrats. Der Wahrheit zuliebe sei daran erinnert, dass die GEW die Gründung des LSA abgelehnt hat.

Wie das Bild der Übermacht der Personalräte in den Köpfen  der im Tagesspiegel zitierten Schulräte entstanden ist, ist schwer zu erklären. Es ist jedoch allzu menschlich und darüber hinaus bequem, wenn man die Schuld für behördliches Versagen immer den Personalräten überhelfen kann. Die Personalratstätigkeit ist qua Gesetz eine ehrenamtliche Tätigkeit, für die man nicht bezahlt wird. Die meisten Mitglieder in Personalvertretungen sind aber sehr engagiert und wissen im Bezirk gut Bescheid, sie haben zu allen Schulen gute Kontakte und sind Berlin weit vernetzt. Und: sie sind politisch unabhängig.

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das sei wie bei Impfgegnern. Die Realität hat keine Chance gegen ein bequemes Bild.

Die „Macht“ der Personalräte ist endlich, so dass von „Lahmlegen“ keine Rede sein kann. Die Ablehnung des Personalrats gibt der Behörde 14 Tage Zeit, nachzubessern oder sich über die Gründe als „unbeachtlich“ hinwegzusetzen.

Zwei Beispiele:

Ein SPD-Freund wurde vor Jahren eingestellt gegen die Ablehnung des Personalrats. Die Gründe des PR wurden weggewischt. Vor Gericht wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Einstellung rechtswidrig war. Heute ist er Schulrat.

Ein CDU-Freund wurde unter Angabe vielfältig gefälschter Daten (Noten, Schwerbehinderung, bestehendes Arbeitsverhältnis, Bewerbung von Sekretärin des Stadtrates geschrieben) gegen die Ablehnung des PR eingestellt. Die Gründe wurden weggewischt. Das Ober-verwaltungsgericht stellte rechtskräftig fest, dass die Einstellung rechtswidrig war. Heute ist er Schulleiter. Eine Person wurde wegen der anonymisierten Veröffentlichung des Sachverhalts wegen übler Nachrede angezeigt. Das Gericht hat die Person freigesprochen und die taz titelte: Gericht fand üble Nachrede gar nicht so übel.

Fragt man Personalratsvorsitzende der letzten 40 Jahre, was aus ihrer Sicht das Hauptproblem der Berliner Schulaufsicht war und ist, erhält man nicht selten die Antwort, dass  teilweise  die unfähigsten (Parteifreunde) zu Schulräten gemacht wurden. Frau Laurien, Schulsenatorin in den 80er Jahren hatte ihre eigene Meinung zu dem Thema. Einmal nimmt sie an einem Fernsehtalk zum Thema „Computer in der Schule“ teil. Kurz vor Beginn sind die Mikrofone schon eingeschaltet – was die Teilnehmer nicht wissen. Ihr Nachbar in der Talkrunde kommt aus Kreuzberg. Daraufhin sagt Frau Laurien. „Ach ja, Kreuzberg, da hab ich doch grade den E. hingeschickt, damit der da mal aufräumt. Also wissen Sie, die Schulräte dort, um Himmels willen! Eine Hälfte ist ständig krank und die andere Hälfte ist unfähig.“

Sicher hat Frau Laurien etwas übertrieben, es gibt viele  sehr geschätzte Schulaufsichtsbeamt*innen, die nicht alles, was von oben kommt, mit zusammengeschlagenen Hacken befolgen und ihr Amt zum Wohle der Schüler*innen und der Lehrkräfte ausüben. Festzustellen ist, dass bei hoch angesehenen  Volksbildungsstadträten wie Harry Ristock, Erhard Körting oder auch Wilfried Seiring auch die Schulaufsicht besser dastand. Heute ist das  Ansehen der Berliner Schulaufsicht stark beschädigt. Dabei ist das Beuteverhalten in Bezug auf die Besetzung der wichtigsten Stellen in der Berliner Schule kein Privileg nur einer Partei, was man vielleicht annimmt, wenn man den Blick nur auf die letzten 25 Jahre richtet.

Nach langen Jahren unangefochtener SPD-Vorherrschaft startete  die CDU Anfang der 80er Jahre mit der klaren Ansage, in Berlin den „roten Filz“ zu beenden. Damit war jedoch beabsichtigt, das war schnell klar, ihn durch einen „schwarzen Filz“ zu ersetzen. Leitschnur für die Besetzungspolitik von Stellen in der Schulaufsicht hat damals ein Kreuzberger CDU-Volksbildungsstadtrat unter Bezug auf ein berühmtes Zitat von Uwe Barschel (Schleswig-Holstein, “CDU im Landtag“  5/74  ) benannt: “…In der Beförderungspraxis muss sichtbar – und zwar geräuschlos – werden, dass unsere Regierung CDU-Freunde am ehesten für geeignet hält, CDU-Politik an Ort und Stelle zu vertreten…. Die Schulaufsicht muss den politischen Willen der Regierung vollstrecken. Dieser Wille darf nicht zu erahnen sein. Er muss sich eindeutig aus allen Erlassen und Richtlinien ergeben.“

Lange her? Wohl wahr, aber immer noch aktuell und gültig für alle Parteien, wie auch der Tagesspiegel konstatiert. Mängel gibt es allerdings bei jeder Partei mit der Geräuschlosigkeit.

Es blieb bis heute allzu häufig dabei, dass das Parteibuch für eine Karriere – in den Parteien auch liebevoll als „Zugang zu den Fleischtöpfen“ bezeichnet – in der Bildungsverwaltung wichtiger war als die fachliche Qualifikation. Den Schaden trugen in der endlos langen Serie der Konflikte um Schulen immer Einzelpersonen – Lehrkräfte, oft auch Schulleiter*innen – davon. Zurück blieb aber – und das sollte nicht in den Hintergrund treten – auch immer eine Schule, deren Ruf nachhaltig gelitten hatte und – last but not least – eine Schulaufsicht, der von allen Seiten und aus allen Richtungen mit Misstrauen begegnet wurde. Damit hat Berlin bundesweit eine Einzelstellung. Sieht man nach Hamburg, Bremen, Niedersachsen (um nur wenige zu nennen), stellt man fest, dass dort überwiegend das gegenseitige Vertrauen eine lange Tradition und eine verlässliche Grundlage hat.

In vielen Konflikfällen war es die Schulaufsicht, die durch ihr Handeln Konflikte provozierte, sie falsch einschätzte oder sogar eskalierte. Blinder Gehorsam gegenüber dem jeweils regierenden Stadtrat*rätin oder Schulsenator*in und dessen /deren Partei  ließen die eigentliche Aufgabe der öffentlichen Verwaltung,  nach „Recht und Gesetz“ zu handeln, dem Gemeinwohl zu dienen, für eine verlässliche und kalkulierbare Verwaltungspraxis zu sorgen und unparteiisch nur an der Sache orientiert zu verfahren, in den Hintergrund treten. Schon immer wirkte die Schulverwaltung deshalb in Berlin sprunghaft und konzeptionslos.  

Sevesogift nach einem Brand in einer Grundschule; Asbest in Gesamtschulen, die Suspendierung von Gert Hurrelmann an der 2.O Kreuzberg; rechtswidrige Umsetzung  politisch missliebiger Lehrkräfte an Grundschulen in Spandau, Tempelhof  und Kreuzberg; ein schießwütiger Schulleiter ohne Disziplinarverfahren; ein Personalratsvorsitzender, der Kritik an der Schulaufsicht übt, dagegen mit mehreren Disziplinarverfahren; Skandale an der Johanna Eck-Schule und  an der Staatlichen Ballettschule; mehr als  1000 Gerichtsverfahren um Fristverträge (wobei  in einem Urteil  der Richter deutlich wurde: die Praxis der Berliner Schulaufsicht stelle eine „Unterschreitung des rechtsethischen Minimums dar“,  sei „ein Verstoß gegen Treu und Glauben“ und „verletze das Anstandsgefühle aller billig und gerecht Denkenden“);  Versagen bei der Prognose der Schülerzahlen; Versagen bei Unterhalt und Neubau der Schulen; Versagen bei Ausbildung und Anwerbung von Pädagog*innen (Lehrer*innen und Erzieher*innen) und Versagen in der Coronapandemie.

Dies sind nur einige Beispiele, die durch eine gute Schulverwaltung anders gelaufen wären. Wer statt durch Kooperation, durch fürsorgliches Handeln auch den Beschäftigten gegenüber, durch die Entwicklung langfristiger, tragfähiger Konzepte lieber nach der Methode „Haltet den Dieb“ auf andere deutet, wird die lange Tradition eines schulaufsichtlichen Versagens nicht beenden.


Ilse Schaad
Jahrgang 1949, von 1973 bis 1978 Lehrerin (Deutsch und Englisch) in Hessen, danach in Berlin an der Carl-von- Ossietzky-Gesamtschule in Kreuzberg. Ab 1983 im Kreuzberger Personalrat, ab 1988 als deren Vorsitzende. Ab November 1987 Leiterin des Referates A, also des heutigen Vorstandsbereiches Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik sowie im Hauptpersonalrat und im GPR aktiv. 2005 wurde sie dann zur Leiterin dieses Bereichs auf Bundesebene gewählt. Sie ist 2013 in den Ruhestand gegangen.