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Schule zusammen weiterentwickeln

Wir werden schanghait. Rette sich wer kann!

Ein humorvoller Vorschlag zur Verbesserung der Schulqualität

Bild: GEW BERLIN

Zu Beginn des Schuljahres äußerte eine unserer ECHTEN Referendarinnen im Jahrgangszimmer eine ganz unschuldige Bitte. Sie müsse im Rahmen ihrer Ausbildung ein paar Stunden in ihren Fächern bei erfahrenen Lehrkräften hospitieren. Zur Auswahl standen ein Studierender, der im Rahmen der Initiative der Senatsverwaltung »Unterrichten statt kellnern« bei uns arbeitet; eine Quereinsteigerin, die arbeitsbegleitend noch studiert und ich, die die Fächer brandneu und fachfremd unterrichten sollte. Wer sollte in dieser Situation eigentlich bei wem hospitieren, fragten wir uns? So ähnlich sieht die Realität in vielen Neuköllner Schulen aus.

Ich verstecke mich lieber strategisch im Nebenraum und hoffe, dass mich keine*r von unseren Quereinsteiger*innen, Seiteneinsteiger*innen oder Referendar*innen findet, der bei mir eventuell in einem der fünf Fächer hospitieren will, die ich neben meinen zwei studierten Fächern fachfremd unterrichte. Was sagt denn unsere Bildungssenatorin dazu? Sie muss doch eine Lösung haben, oder?

Ich gebe bei google die Begriffe Sandra Scheeres und Schule ein. Google spuckt viele aktuelle Zeitungsartikel aus – über die Berliner Schulmisere, Bildungskrise, fehlende Schulplätze und die desaströse Gesamtsituation. Aber ja, Sandra Scheeres hat einen Plan und ja, sie handelt! Sie hat eine Qualitätskommission zur Verbesserung der Schüler*innenleistungen und des Schulsystems gegründet! Und diese Kommission aus renommierten Bildungsexpert*innen und Wissenschaftler*innen soll im Frühjahr 2020 ihre wissenschaftlich begründeten Empfehlungen in einem Abschlussbericht vorlegen. Zudem wird eine Praxiskommission gegründet, die wiederum die Qualitätskommission aktiv berät und Rückmeldungen zu den Empfehlungen gibt.

Vertrackte Verträge

Die Qualitätskommission wird auf die »39 Maßnahmen des Berliner Qualitätspakets« aufbauen. Scheeres betont: »Eigenverantwortliche Schule heißt immer auch verbindliches Handeln.« Das heißt unter anderem: Bis Ende 2019, an Gymnasien bis 2021, schließen die Schulaufsichten mit den Schulen Schulverträge ab, um ihre Schulentwicklung auf der Basis ihres Schulprogramms und ihrer datenbasierten Ergebnisse verbindlicher zu gestalten. Das Selbstevaluationsportal, die Auswertungen der Lernstandserhebungen, die Daten zur Schuldistanz und zu Abschlüssen sollten evaluiert und daraus passgenaue schulische Maßnahmen zur Verbesserung der Schulsituation abgeleitet werden.

Aha, um meinen Adrenalinspiegel nicht in die Höhe schießen zu lassen, höre ich hier mit der Lektüre lieber auf. Es scheint mir, Sandra Scheeres investiert viel Geld und beschert uns Pädagog*innen, den Schulleitungen und der Schulaufsicht eine Menge Mehrarbeit! Oder sehe ich das falsch? Wie dieses Qualitätskonzept gegen den Fachkräftemangel helfen soll, erschließt sich mir nicht. Genauso wenig finde ich Punkte, die uns von wachsenden zusätzlichen Aufgaben entlasten – im Gegenteil. Nichts gegen wissenschaftliche Begleitung, Selbstevaluation und Selbstreflexion. Aber soll die Qualitätskommission ernsthaft die erhoffte Erlösung sein?

Um meinen Frust von der Berliner Bildungspolitik wegzugoogeln, suche ich nach neuen Reisezielen für die nächsten Ferien, immerhin wurden keine weiteren Präsenztage eingeführt, um die Qualität des Berliner Schulsystems zu retten. Und plötzlich geschieht’s, unter vielen exotischen Urlaubstädten bietet mir google den Begriff »schanghaien«. Es muss ein Fehler sein, oder? Heißt die chinesische Stadt nicht Shanghai? Um meine geographischen Kenntnisse zu erweitern – bin schließlich seit vier Monaten eine neuernannte Erdkunde Lehrerin – klicke ich auf den Beitrag und lese erwartungsvoll:

Grausam, aber wirksam, Not macht erfinderisch

»Schanghaien bezeichnet in der Seemannssprache das Rekrutieren von Seeleuten für Kriegs- und Handelsschiffe. Es wurde regelmäßig genutzt, um die eigene Besatzung zu ›ergänzen‹«. »Eigene Besatzung zu ergänzen«, das klingt vielversprechend für den Berliner Fachkräftemangel, oder? Ich lese hungrig weiter.

Um Matrosen zu schanghaien, wurden die Hafenviertel samt der Kneipen durchkämmt und unter Einsatz von List, meistens Alkohol und Drogen, Seeleute entführt und zum Dienst auf Schiffen gezwungen. Das heißt, du sitzt in einer Kneipe mit Freund*innen und wachst am nächsten Tag auf, auf hoher See und mit einem Vertrag an der Backe.

Grausam, aber wirksam, Not macht erfinderisch. Vor meinen Augen eröffnet sich plötzlich eine Alternative zu Scheeres Qualitätskommission. Ich sehe schon die großen Bierzelte auf dem Tempelhofer Feld beim Berlin-Tag, in denen sich Brennpunktschulen präsentieren und mit einem Bierchen oder zwei, um ausgebildete Lehrkräfte werben. Ich als gebürtige Tschechin bin dazu vorbestimmt, die richtige Biertemperatur zu überwachen und für eine gute Bierschaumqualität zu sorgen. Falls nötig, wäre ich auch bereit, mich fachfremd in die Kunst des Cocktail-Mixens einzuarbeiten. Das wäre zwar wesentlich teurer, aber für unsere Zwecke effizienter. Für die Lehrkräfte, die sich von unseren Bierzelten nicht bezaubern lassen, könnten wir die alte Pfannkuchen-Kampagne der Senatsverwaltung recyceln. Berlin geht wieder mit Pfannkuchen auf die Lehrkräftesuche, nur, dass unsere Pfannkuchen mit ein bisschen Haschisch gewürzt wären. Und zack, da wacht eine Lehrkraft am nächsten Tag mit einem Kater und einem unterschriebenen Arbeitsvertrag in einer Brennpunktschule auf. Wäre das nicht schön? Vielleicht würde es ja auch schon ein bisschen helfen, wenn die Quer- und Seiteneinsteiger*innen gleichmäßiger über die Bezirke verteilt wären.