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bbz 03 / 2018

Zeit für neue Zeiten

Die Klagen über hohe Arbeitsbelastung sind laut. Gleichzeitig sitzen viele Frauen in der Teilzeitfalle. Die Diskussion um Arbeitszeit hat verschiedene Dimensionen.

Vielen Menschen sind ihre Arbeitszeiten zu lang. Ihnen bleibt nicht genug Zeit für Kinder, Freund*innen, Partner*innen, Sport, Erholung, von Ehrenämtern gar nicht zu reden. Für andere ist die Arbeitszeit zu kurz für ein existenzsicherndes Einkommen. Frauen in kleiner Teilzeit stecken nicht selten in der Teilzeitfalle.

Sie können ihre Arbeitszeit nicht aufstocken, auch wenn sie das Geld dringend bräuchten. Einen garantierten Rückweg aus der Teilzeit in die Vollzeit oder zu mehr Arbeitsstunden gibt es bisher nicht. Für wieder andere ist die Arbeitszeit zu kurz, weil die Arbeit innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit nicht zu schaffen ist. Dann bleiben sie länger oder nehmen Arbeit mit nach Hause. Probleme über Probleme – Reformbedarf besteht in alle Richtungen.

Die Arbeitszeit ist ein altes gewerkschaftliches Thema. Durch gewerkschaftliche Kämpfe sind die überlangen Arbeitszeiten aus der Zeit der Industrialisierung auf ein Normalmaß reduziert worden. Doch auch die heutige »Normalarbeitszeit«, der tarifliche Vollzeitstandard, setzt eigentlich immer noch eine sorgende Person im Hintergrund voraus. An die Zeit für Kindererziehung, Essenszubereitung, Putzen oder Pflege war beim Kampf um den Acht-Stunden-Tag nicht gedacht. Deshalb war der Kampf um weitere Arbeitszeitverkürzungen, etwa den Sechs-Stunden-Tag, zugleich ein Thema der Frauenbewegung. Hinzu kommt das gesundheitliche Argument: Arbeitsverdichtung und zunehmende Anforderungen am Arbeitsplatz sprechen für kürzere Arbeitszeiten, auch zur Gesunderhaltung.

Kürzere Arbeitszeit führt zur Arbeitsintensivierung

Warum ist trotzdem die Verkürzung der tariflichen Arbeitszeit zum Stillstand gekommen? Dafür gibt es viele Gründe, nicht zuletzt der massive Widerstand der Arbeitgeber*innen. Ein Grund dafür, warum Gewerkschaften nicht mehr für Arbeitszeitverkürzungskämpfe mobilisieren konnten, ist die »Leistungsschraube«, an der vielerorts gedreht worden ist. Es ist die Erfahrung vieler Arbeitnehmer*innen, dass mit Arbeitszeitverkürzungen kein entsprechender Personalausgleich verbunden war. Die Beschäftigten wurden mit den Folgen kürzerer Arbeitszeiten allein gelassen. Kürzere Arbeitszeiten führten oft zur Arbeitsintensivierung und erzeugen ein Überlastungsproblem. Wenn nicht in Zukunft mit kürzerer Arbeitszeit eine andere Organisation der Arbeit verbunden und zusätzliches Personal eingestellt wird, so dass die Beschäftigten ihre Arbeit ohne Hetze und in guter Qualität in kürzerer Zeit schaffen können, wird wenig Potenzial für weitere Arbeitszeitverkürzungen da sein.

Ein anderer Grund ist, dass für viele Beschäftigte nicht so sehr die Länge, sondern vielmehr die ihnen abverlangte Flexibilität, die Arbeitszeitlage oder die mangelnde Planbarkeit der Arbeitszeit die größten Probleme darstellen. Das heißt, es geht vor allem um eine Begrenzung des Zugriffs der Arbeitgeber*innen auf die Zeit der Beschäftigten, um mehr Autonomie für die Einzelnen zu ermöglichen. Die Lage und die Verteilung der Arbeitszeit folgen heute für viele Menschen keinem gleichmäßigen Muster mehr. Sehr flexibel müssen sich viele Beschäftigte zeigen, in Dienstleistungsberufen oder in Betrieben mit Wochenendarbeit und Schichtbetrieb. Wenn heute Arbeitgeber*innen immer mehr Flexibilität von den Arbeitnehmer*innen fordern, gerät leicht aus dem Blick, dass sich die betriebsbezogene Flexibilität in den letzten Jahren bereits enorm vergrößert hat.

Keine Fabriksirene verkündet mehr das Arbeitsende

So hat ziemlich lautlos die Arbeit zu sogenannten »atypischen Zeiten« – abends, nachts, am Samstag oder Sonntag – immer mehr zugenommen. Auch das »Arbeiten ohne Ende« ist für manche Berufsgruppen problematisch. Arbeitszeitgrenzen haben nicht mehr ihre frühere Bedeutung, als die Fabriksirene das Arbeitsende verkündete. Das gilt dort, wo die Arbeit flexibel in Zeit und Raum organisiert ist, wie beim Homeoffice und ergebnisorientierten variablen Arbeitszeiten. Das bringt zwar Chancen für mehr Selbstbestimmung aber auch Gefahren mit sich. Viele Menschen machen ihre Arbeit gern und wollen Kund*innen, Patient*innen, Kolleg*innen oder Kinder nicht im Stich lassen, »nur« weil ihre vereinbarte Arbeitszeit zu Ende ist. Arbeitszeitregulierung kann da wenig helfen, Grenzen zu setzen. Hier muss Arbeitszeit und Leistung wieder in ein vernünftiges Maß gebracht werden, mit mehr Personal und mit der Möglichkeit, dieses Mehr an Arbeitszeit an anderer Stelle wieder ausgleichen zu können.

Mit flexibler Arbeitszeit haben sich Arbeitszeitkonten verbreitet. Sie machen eine Umverteilung von Arbeitszeiten teils im betrieblichen, teils im persönlichen Interesse möglich. Ob Arbeitszeitkonten das Leben der Beschäftigten erleichtern oder erschweren, hängt ganz von den konkreten Regelungen ab. Wer entscheidet über den Aufbau von Arbeitszeitguthaben? Wer darf Zeit entnehmen? Günstig sind Gleitzeitkonten, bei denen Beschäftigte relativ selbstbestimmt einmal länger arbeiten, ein anderes Mal eher gehen können oder auch Jahresarbeitszeitkonten, bei denen ganze freie Tage bei Bedarf in Anspruch genommen werden können. Häufig ist es aber auch so, dass vor allem die Betriebe Vorteile nutzen. Die Beschäftigten müssen länger arbeiten, wenn die Auftragsbücher voll sind, erhalten dann keine Überstundenvergütung, aber wenn Flaute ist werden sie nach Hause geschickt, obwohl sie mit der Zeit dann vielleicht nicht viel anfangen können. Es ist dann »Zeit zur falschen Zeit«.

Gaps überwinden, Gleichstellung schaffen

Immer mehr Frauen sind heute erwerbstätig und viele von ihnen haben eine Teilzeittätigkeit aufgenommen. Die Folge ist ein sehr großer Unterschied zwischen den Arbeitszeiten von Frauen und Männern von durchschnittlich mehr als acht Stunden pro Woche. Im langfristigen Trend sind dadurch zwar die durchschnittlichen Arbeitszeiten gesunken. Aber während bei früheren allgemeinen Arbeitszeitverkürzungen per Tarifvertrag das Entgelt gleich blieb, gibt es für die »individuelle Variante« der Arbeitszeitverkürzung bei Teilzeit keinen Entgeltausgleich. Diese Lücke in den Arbeitszeiten, auch Gender Time Gap genannt, ist ein ernstes Gleichstellungsproblem für Frauen. Die Teilzeitarbeit führt nicht nur zu niedrigeren Einkünften, weil für weniger Stunden weniger Entgelt gezahlt wird. Auch der Stundenlohn liegt bei Teilzeitbeschäftigten im Schnitt deutlich niedriger als bei Vollzeitbeschäftigten und die Karrierechancen sind begrenzt. So trägt die Arbeitszeitlücke zum Gender Pay Gap und zu Ungleichheiten später bei der Rente bei. Auch die häusliche Arbeitsteilung bleibt traditionell, wie Untersuchungen zeigen, wenn die Frau Teilzeit und der Mann Vollzeit arbeitet.

Gefahren von Teilzeit erkennen

Auch Arbeitgeber*innen ziehen Vorteile aus der Teilzeitarbeit. Sie haben sich darauf eingestellt, dass Frauen in Teilzeit besonders flexibel eingesetzt werden können und als Vertretungen einspringen. Teilzeitbeschäftigte arbeiten intensiver und müssen oft für weniger Geld (fast) das gleiche Pensum bewältigen. So ist Teilzeit zwar zum Teil freiwillig, zum Teil aber auch unfreiwillig, weil den Bewerber*innen keine anderen Verträge angeboten wurden.

Ein Teil der Teilzeitbeschäftigten, vor allem Frauen, arbeiten weniger als 15 Stunden in der Woche. Die viel kritisierte Minijobregelung setzt hier nach wie vor Fehlanreize, die Frauen verführt, sich mit kleinen Teilzeitverträgen zufrieden zu geben, die ihnen weder heute noch in der Rente eine ausreichendes Einkommen sichern können. Die Erkenntnis, dass das riskant ist, setzt sich erst langsam durch. Dabei können zerbrechende Partnerschaften oder der »Ausfall« des für das Haushaltseinkommen zuständigen Partners durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit Frauen unverhofft zu Familienernährerinnen machen.

Am anderen Ende des Spektrums gibt es Frauen und Männer, die regelmäßig 45 Stunden und mehr arbeiten. Das ist unter heutigen Bedingungen, die aber geändert werden könnten, oft der Preis für eine Führungsposition. Auch diese Unterschiedlichkeit der heutigen Arbeitszeiten für verschiedene Beschäftigtengruppen macht es schwer für Gewerkschaften, für arbeitszeitpolitische Ziele einzutreten. Die IG Metall hat in der gerade beendeten Tarifrunde nun für das Recht gekämpft, befristet auf 80 Prozent Arbeitszeit zu wechseln. Vielleicht ist das der Beginn weiterer arbeitszeitpolitischer Fortschritte, die nicht nur für eine bessere Work-Life-Balance und Zeit für die Familie, sondern auch für mehr Geschlechtergerechtigkeit und ein gesundes Altwerden im Beruf wichtig wären. Die Zeit ist reif für neue Zeiten.


Konzept der Familienarbeitszeit:

Menschen mit Fürsorgeaufgaben werden bei der partnerschaftlichen Aufteilung der Zeit für Beruf und Familie unterstützt. Beschäftigte, die zur Betreuung von Kindern bis acht Jahren oder für die Pflege von Angehörigen ihre Arbeitszeit auf 26 bis 36 Stunden reduzieren, sollen nach Plänen der SPD ein »Familiengeld« von 150 Euro für bis zu 24 Monate erhalten. Ziel ist es auch, zu ermöglichen, dass Frauen mehr Erwerbsarbeit und mehr Männer Sorgearbeit leisten können.


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Zeit zu leben, Zeit zu arbeiten“  [zur gesamten Ausgabe]