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blz 09 / 2015

Zum Scheitern verurteilt

Mit der Sozialen Arbeit geht es stetig bergab. Eine schonungslose Analyse ist dringend nötig.

Die Schere geht weiter auseinander. Unsere Gesellschaft spaltet sich immer mehr in Reich und Arm, weil die Mittelschicht sich zunehmend in das untere Drittel unserer Wohlstandspyramide verabschiedet. Jeder scheint mit sich selbst beschäftigt zu sein und handelt nach dem Motto: »Rette sich wer kann«. Es knirscht reichlich im Gebälk, überall Krisen – nicht nur bei uns. Spätestens seit der Hartz IV-Gesetzgebung geht es stetig bergab mit der Sozialen Arbeit. Sie wurde und wird in ein Korsett von Verordnungen und Vorschriften gezwängt, das oft nicht passt und teurer wird. Für Betriebswirtschaftler ein Graus, aber scheinbar rechnet niemand nach, denn die staatlichen Akteure schauen oft nur auf ihre eigenen Finanztöpfe.

Gescheiterte Sozialraumorientierung

Der Sozialraum sollte es richten. Mit viel Geld und wissenschaftlicher Unterstützung wurde in Berlin die Sozialraumorientierung eingeführt. Sie sollte die Jugend- und Sozialämter sowie die freien Träger in der Wohlfahrtspflege zusammenbringen. Dies geschieht nur bedingt und das hat viele Ursachen. So halten sich Jugendliche nicht nur in einem bestimmten Sozialraum auf. Sie gehen in dem einen Sozialraum zur Schule, wohnen in einem anderen und in einem weiteren verbringen sie ihre Freizeit. Aber auch in einem einzigen Sozialraum wissen die verschiedenen Akteure oft nichts voneinander, weshalb schlecht oder kaum zusammengearbeitet wird, so beispielsweise bei der Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Schule.

Wer die Verantwortung an dieser Misere den Institu-tionen und freien Trägern zuschiebt, macht es sich zu einfach. Die Institutionen machen sich oft gegenseitig verantwortlich oder sie rücken die freien Träger in das Zentrum der Kritik. Letztere wissen sich auch nicht zu helfen und schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Einig ist man sich allein in der Auffassung, dass die knappen Finanzen die Ursache aller Probleme sind. Schöne einfache Welt, nur leider hilft dies keinem weiter und schon gar nicht der Sozialen Arbeit.

Es gibt gute Gründe, in Soziale Arbeit zu investieren, auch aus ökonomischer Sicht: So entsteht aus jedem in die SchuldnerInnenberatung investierten Euro ein wirtschaftlicher Nutzen von zwei Euro. Wenn in die Jugendhilfe investiert wird, sind es sogar drei Euro. Trotzdem wird nicht investiert. Das führt dazu, dass Jugendämter personell nicht genügend ausgestattet und wochenlang wegen Überlastung geschlossen sind.

Oder dass freie Träger in der Jugendhilfe nur kurzfristige und zudem mit zu wenigen Stunden ausgestattete Kostenübernahmen für die Betreuung von Jugendlichen erhalten. Eigentlich soll die Jugendhilfe Hilfekarrieren verhindern, unter solchen Bedingungen wird sie aber lediglich zur Begleiterin solcher Karrieren.

Hauptsache dokumentiert

Wer schreibt, der bleibt. Unter diesem Motto scheint die Dokumentationswut zu stehen. Mittlerweile macht die Dokumentation 20 Prozent der Arbeit im sozialen Bereich aus. Soziale Arbeit wird so immer mehr zur Verwaltung von »Sozialfällen«, denn für die direkte Arbeit mit den Hilfebedürftigen bleibt kaum Zeit.

Soziale Arbeit, die von freien Trägern geleistet wird, basiert zum großen Teil auf prekären Beschäftigungsverhältnissen. Für die Beschäftigten bedeutet dies, dass sie oft über 20 Prozent weniger als Tarifbeschäftigte des öffentlichen Dienstes erhalten und fast nur in Teilzeit beschäftigt sind. Man kann hier durchaus von einer Zwangsteilzeit sprechen. Viele dieser Beschäftigten sind alleinerziehend und sogenannte AufstockerInnen, die zusätzlich Geld vom Staat brauchen, um leben zu können. Sie sind damit in der gleichen Lage, in der sich ihre KlientInnen befinden, und müssen selbst Schulden machen.

Gleichzeitig beraten sie ihre KlientInnen, wie Schulden vermieden werden können.

Die Beschäftigten in öffentlichen Institutionen wie den Jugendämtern leiden unter Personalmangel, schlechter Ausstattung und einer Flut von Aufgaben, die sie nicht mehr bewältigen können. Eine SozialarbeiterIn im regionalen sozialen Dienst hat mindestens 80 Fälle zu betreuen.

Wie soll unter den beschriebenen Bedingungen gute Arbeit gelingen? Sie ist, wenn sich nichts an den Bedingungen ändert, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wir brauchen eine schonungslose Analyse der Sozialen Arbeit: Augen zu und durch funktioniert schon lange nicht mehr. Gute Soziale Arbeit kostet Geld, hier muss mehr und richtig investiert werden.

Dieser Artikel ist Teil des blz-Themenschwerpunkts „Soziale Arbeit - Prekäre Arbeit“