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Schule

Neustart für die Inklusion

Die amtliche Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zeigt, wie falsch Inklusion in Deutschland interpretiert wird. Ein Neubeginn ist unausweichlich.

Symbole zu Inklusion von Behinderten in die Gesellschaft
Foto: Adobe Stock

Die Übersetzung der Allgemeinen Bemerkungen zu inklusiver Bildung liegt endlich vor. Sie dokumentiert unmissverständlich die erheblichen Diskrepanzen zwischen dem Menschenrechtsmodell der Vereinten Nationen und den Modellen, die in deutschen Bundesländern bildungspolitisch als Inklusion ausgegeben werden. Nach einigem Hin und Her hat die Bundesregierung endlich die offizielle deutsche Übersetzung der UN-Leitlinien für die Auslegung und Umsetzung von inklusiver Bildung veröffentlicht. Diese hatte der zuständige Fachausschuss der Vereinten Nationen bereits im September 2016 in englischer Sprache vorgelegt. Die Allgemeinen Bemerkungen zu Artikel 24 der Behindertenrechtskonvention sind nicht so rechtsverbindlich wie die Konvention selbst, haben aber den Status eines international anerkannten maßgeblichen Kommentars.

Die Allgemeinen Bemerkungen beschreiben ausführlich und eindringlich den normativen Inhalt von Artikel 24 und die damit verbundenen Staatenverpflichtungen. Daraus ergibt sich, dass für Deutschland als Vertragsstaat die Anerkennung und Einhaltung folgender Grundsätze von besonderer Relevanz sind:

Inklusive Bildung ist kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderungen, sondern »ein fundamentales Menschenrecht aller Lernenden«, in Anerkennung der allen Menschen innewohnenden Menschen-würde gleichberechtigte soziale Teilhabe zu (er-)leben. Inklusive Bildung ist das Recht des Kindes, dem sich die elterliche Verantwortung unterordnet. Ein Wahlrecht der Eltern auf Sonderbeschulung lässt sich daraus nicht ableiten. Die Verwirklichung von inklusiver Bildung verlangt eine umfassende Veränderung aller Lernorte bezüglich ihrer Strukturen, Kulturen, Praktiken und Inhalte und eine angemessene Ausstattung mit Ressourcen, damit alle Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit dort erreicht, gefördert und wertgeschätzt werden können.

Die Vertragsstaaten werden aufgefordert, so zügig wie möglich die vollständige Realisierung eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen zu erreichen. Der Unterhalt von zwei Bildungssystemen, bestehend aus einem allgemeinen Bildungssystem und einem auf Segregation beruhenden Bildungssystem, ist damit nicht vereinbar. Unabhängig von der schrittweisen Realisierung eines inklusiven Bildungssystems gilt das Recht des Kindes mit Behinderungen auf inklusive Bildung mit angemessenen Vorkehrungen als unmittelbar anwendbares Recht.

Auf Kinder mit Behinderung fixiert

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat in ihren Beschlüssen den menschenrechtlichen Geltungsanspruch von inklusiver Bildung für alle Kinder und Jugendlichen bewusst ignoriert, weil sie die damit verbundenen Strukturveränderungen zugunsten einer Schule für alle ablehnt. Stattdessen hat sie die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen zum alleinigen Bezugspunkt für schulische Inklusion erklärt. Ihre interessengeleitete Auslegung hat sie zusätzlich verfälscht, indem sie aus dem Recht des Kindes mit Behinderung auf inklusive Bildung ein Wunsch- und Wahlrecht seiner Eltern gemacht hat. Damit werden Sonderschulstrukturen politisch legitimiert.

Mit der bildungspolitischen Fixierung auf Kinder mit Behinderungen hat die Inklusion in Deutschland eine einseitige sonderpädagogische Ausrichtung erfahren. Die sonderpädagogische Diagnostik ist zum bundesweiten Treiber von Inklusionsquoten in allgemeinen Schulen und zum Stabilisator von Segregationsquoten in Sonderschulen geworden. Die dringend für inklusive Förderung benötigten Ressourcen bleiben so zum Teil im Sonderschulsystem gebunden.

Das Schulsystem ist chronisch unterfinanziert

Die chronische Unterfinanzierung des Schulsystems führt zur Überforderung von Lehrkräften und zum Unterlaufen der hohen Qualitätsstandards, die die UN-Konvention gesetzt hat. Überforderte Lehrer*innen der allgemeinen Schulen praktizieren anstelle des diskriminierungsfreien gemeinsamen Lernens vielfach nur Formen der Segregation und Integration.

Im Rahmen eines koordinierten Vorgehens von Bund und Ländern müssen jetzt die Weichen für einen Neustart gestellt werden. Die KMK-Beschlüsse sind auf der Grundlage der Allgemeinen Bemerkungen zu revidieren. Auch die gesetzlichen Regelungen und Vorgehensweisen in den Ländern müssen in Übereinstimmung mit den Allgemeinen Bemerkungen gebracht werden. Schließlich ist die finanzielle Unterstützung des Bundes für die Inklusionsentwicklung in den Bundesländern unabdingbar.       

Die Allgemeinen Bemerkungen zu Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention sind nachzulesen unter:

www. gemeinsam-einfach-machen.de

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46