Berufliche Bildung
Ohne Eigeninitiative kein passender Beruf
Die Auszubildende der GEW BERLIN berichtet, warum Schulen mehr tun müssen, um die berufliche Orientierung von Jugendlichen zu fördern.
Ob jung oder alt, jede*r setzt sich im Laufe des Lebens mit der Frage auseinander, welcher Beruf der Richtige ist. Irgendwann steht der Ernst des Lebens vor der Tür, aber für sich die richtige Entscheidung zu treffen, ist hart.
Berufliche Orientierung beginnt spätestens in der Sekundarstufe I. In den Schulen erklären uns Berufsberater*innen die möglichen Bildungswege. Als ich noch die Oberschule besuchte, hatte ich mir über die Berufswelt keine großen Gedanken gemacht. Meine Mitschüler*innen und ich fühlten uns noch so jung, dass wir uns später einmal darum kümmern wollten.
Stärken und Schwächen kennen
Als Schülerin hätte es mir sehr geholfen, wenn Lehrer*innen mit meinen Eltern und mir über meine Stärken und Schwächen gesprochen hätten. Stattdessen teilten meine Lehrer*innen meinen Eltern mit, wie meine Note drei in Deutsch entstanden war.
Im Rahmen meiner Recherche zu diesem Artikel über Berufsorientierung habe ich meinen Berufsschullehrer Herrn Raasch auf dieses Problem angesprochen. Er bestätigte, dass aus »Zeitmangel und knapper Kapazität« kein persönliches Gespräch zustande kommen kann, da meist »sehr problemorientiert« gehandelt wird. Trotzdem finde ich einen persönlichen Zeugnisbericht in Grundschulen bis zur vierten Klasse wichtig, um die Entwicklung von Schüler*innen zu dokumentieren. Diese müssen ihre Leistungen nachvollziehen können. Noten erreichen das nicht. Übrigens finde ich es immer wieder erschreckend und traurig, dass Zahlen und Leistungen gleichgesetzt werden. Im Verlauf des Interviews betont mein Lehrer, dass »Notenbewertung beziehungsweise Notenvergabe nur Teileinblicke sind«. Zu meiner Überraschung stellte sich durch das Interview mit Herrn Raasch heraus, dass sich Grundschüler*innen selbst Zeugnisnoten wünschten, da sie »ihre Leistungen mit Zahlen einschätzen können und sogar miteinander konkurrieren, wer am besten in der Klasse ist.«
Mir ist es erst gelungen, für mich realistische berufliche Entscheidungen zu treffen, nachdem mir meine Stärken und Schwächen bewusst waren. Also fokussierte ich mich auf meine Stärken und nicht auf meine Wünsche hinsichtlich der Berufswahl. Zu meinen Stärken gehören unter anderem Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit und Hilfsbereitschaft. Noch während meiner Oberschulzeit war ich immer wieder zwischen Berufswünschen gewechselt. Einmal wollte ich gerne Lehrerin werden. Doch das änderte sich dann wieder und dann stellte ich mir vor, Ärztin zu sein.
Ein Praktikum reicht nicht
Es gibt so viele Berufe, die wir noch gar nicht kennen. Herr Raasch und ich waren uns einig, dass wir uns heutzutage vor allem an der eigenen Familie orientieren, also an den Karrieren, die vorgelebt werden. Für mich wäre es sinnvoll gewesen, wenn alle Schüler*innen in Referaten die Berufe aus ihrer Familie vorgestellt hätten. Als weitere Alternative sprach mein Lehrer von einem amerikanischen Film, in dem »die Eltern ihre Berufe im Klassenzimmer vorstellen und Schüler*innen ihre Fragen stellen können.«
Während meiner zehn Jahre Schulpflicht habe ich nur ein Praktikum gehabt. Heute denke ich, dass eines im Laufe der Schulzeit nicht ausreicht. Meiner Ansicht nach sind mindestens zwei Schulpraktika notwendig. Denn in der Praxis sammeln wir immer viele neue Erfahrungen. Neben der Schule habe ich in unterschiedlichen Branchen gejobbt. Ich konnte viele Erfahrungen in der Mode,- Tourismus,- sowie in der Lebensmittelbranche sammeln. In meiner Nebentätigkeit wollte ich nicht nur Erfahrungen sammeln, sondern auch mein Taschengeld aufbessern. Hätte ich die Erfahrungen nicht gemacht, wäre die Berufsauswahl für mich noch schwieriger geworden. Ohne Einblick in andere Berufswelten entscheiden sich Menschen für einen Standardberuf.
Hat die Ausbildung erst einmal begonnen, ist auch mal Durchhalten gefragt, denn es gibt immer viele Gründe, die Ausbildung abbrechen zu wollen. Zum einen möchten Auszubildende manchmal die »Wartesemester überbrücken, um einen Studienplatz zu bekommen.« Zum anderen hat »die Vollendung des 18. Lebensjahres eine wesentliche Bedeutung, da der Jugendliche nun ganz selbstbestimmt handeln kann«, so Herr Raasch.
Schlussendlich fragte ich meinen Lehrer, ob Lehrer*innen oder auch Berufsberater*innen sich in der Verantwortung für die erfolgreiche Berufswahl ihrer Schüler*innen sehen. »Lehrkräfte sollten ihren Schüler*innen nicht sagen, welchen Beruf sie ausüben sollten.«, antwortete Herr Raasch. Denn »das schränkt deren Entscheidung ein. Vielmehr sollte man Alternativen aufzeigen, die zu einer endgültigen Entscheidung führen. Außerdem sollte man keine negative Rückmeldungen äußern, da die Schüler*innen dadurch keineswegs gefördert werden«.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass bei meiner Berufswahl die Bundesagentur für Arbeit für mich eine wichtige Rolle spielte, um mir einen schnellen Einblick in die Berufswelt zu schaffen. Auf der Homepage der Arbeitsagentur ist ein Test für Stärken und Schwächen zu finden. Für einen groben Einblick ist dieser Test sehr hilfreich. Aufgrund dessen werden die Fähigkeiten und Berufsfelder benannt. So konnte ich einschätzen, ob ich die Empfehlungen für mich annehmen möchte oder nicht. Außerdem müssen wir die unterschiedlichen Bildungswege zu schätzen wissen. So kann man zum Beispiel eine Ausbildung absolvieren und in dieselbe Richtung studieren. Nach Angaben meiner Familienangehörigen aus der Türkei ist das berufliche Bildungsspektrum dort nicht so umfassend. Denn nach Abschluss der Mittleren Reife entscheidet dort die Punktanzahl über deinen Bildungsweg. Aus diesem Grund bin ich froh darüber, mich auf unterschiedlichen Wegen weiterbilden zu können.