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Tendenzen

Ohrenbetäubendes Schweigen

Berliner Bildungsinstitutionen müssen sichere Orte für jüdische Schüler*innen, Studierende und Lehrende sein.

Foto: TAL V.

Das anfängliche Entsetzen über das von der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 begangene Massaker an 1200 Israelis und die Entführung von mehr als 240 Geiseln hielt in der deutschen Öffentlichkeit nicht lange an. Die Empathie und Anteilnahme angesichts des Angriffs wich scheinbar bei vielen in dem Moment, als Israel begann, sein Recht auf Selbstverteidigung auszuüben. 

Ende Mai nahmen die pro-palästinensischen Protestaktionen auch an Berliner Universitäten an Vehemenz zu. Am 22. Mai 2024 wurde das Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität besetzt und nach 26 Stunden von der Polizei wieder geräumt. Die anschließend veröffentlichten Bilder zeigten, dass die Besetzer*innen Inventar verwüstet hatten sowie an fast allen Wänden des Instituts Parolen wie »From the river to the sea« hinterließen, die Israel das Existenzrecht absprechen. Ebenso wurden rote Dreiecke gesprüht. Diese zunehmend auch im Berliner Stadtbild verbreiteten Symbole nutzen Hamas und ihre Sympathisant*innen zur Kennzeichnung der Zielpersonen, die es ihrer Auffassung nach zu eliminieren gilt.

 

Die Stimmung an Hochschulen wird aggressiver

 

Bereits im November 2023 hatte eine Performance an der Universität der Künste für Entsetzen gesorgt, weil die Darbietenden rot bemalte Handinnenflächen hatten. Dies stellt eine Referenz an die stolze Geste eines Mannes mit blutverschmierten Händen dar, nachdem er im Oktober 2000 als Teil eines Lynchmobs in einer Polizeistation in Ramallah zwei israelische Reservisten ermordet hatte. 

Zwischenzeitlich brachten am 8. Februar 2024 rund 200 Lehrende und Mitarbeitende der UdK in einem Statement gegen Antisemitismus den derzeitigen Diskussionsstand auf den Punkt: »Wir verwehren uns gegen an der Hochschule kursierende Narrative, die Antisemitismus und Rassismus als Gegensätze darstellen, den Verteidigungskrieg Israels mittels einer Verkürzung postkolonialer Theoriebildung als koloniale Mission und Israel als Regime der Apartheid klassifizieren und den Terror der Hamas als Freiheitskampf verschleiern.« 

In Bezug auf die Besetzung an der Freien Universität im Mai sprachen sich mehr als tausend Dozierende im »Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten« für das »Recht auf friedlichen Protest« aus. Dies zu einem Zeitpunkt, als bereits klar war, dass auch an der FU antisemitische Parolen in den besetzten Räumen gesprüht worden waren. Dennoch heißt es in dem Statement: »Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben.« 

Die GEW BERLIN kritisierte daraufhin einen BILD-Artikel, in dem einzelne Unterzeichnende namentlich mit Fotos veröffentlicht wurden und verurteilte dies als »Diffamierung von Hochschulangehörigen«. Gleichzeitig hieß es »Hochschulen müssen öffentliche und angstfreie Orte für politische Diskussionen und legitime Proteste bleiben.«

Zu dumm nur, dass ausgerechnet durch diese vermeintlich »legitimen Proteste« die Hochschulen nicht mehr angstfreie Orte waren, sondern andere schlichtweg ausgeschlossen oder gar bedroht wurden. Wenig verwunderlich und gleichzeitig unerträglich ist es, dass jüdische Studierende und Lehrende aus Angst vor Angriffen die Universitäten momentan nur ungern betreten. Dies mit absolut ernstem Hintergrund: Anfang Februar 2024 wurde ein jüdischer Studierender der Freien Universität durch einen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen. Im Juni 2024 verklagte der Student die FU vor dem Verwaltungsgericht, sie habe »keine adäquaten Maßnahmen ergriffen, um die antisemitische Diskriminierung gegen den Kläger, aber auch andere jüdische Studierende zu verhindern oder diese strukturell zu beseitigen. Vielmehr konnte sich ein Umfeld der Unsicherheit entwickeln«. 

An der Technischen Universität setzte wiederum die Präsidentin Geraldine Rauch in ihrem Twitter-Account angeblich »versehentlich« ein Like bei einem Post, der den israelischen Premierminister Netanyahu mit einem Hakenkreuz abbildete. Öffentlichen Rücktrittsforderungen kam Rauch selbst nach einer knappen Abstimmung im akademischen Senat der TU nicht nach. Für eine Abwahl wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich gewesen. 

Delikaterweise hatte Rauch erst kurz vor dem Eklat Professor Uffa Jensen als Antisemitismusbeauftragten gegen das Votum des Zentralrats der Juden einbestellt. Jensen fühlt sich in seiner neuen Aufgabe nicht verpflichtet, der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu folgen, sondern der weniger umfassenden Definition der sogenannten »Jerusalemer Erklärung«. Die IHRA ist eine Vereinigung von Regierungen und Wissenschaftler*innen aus 35 Ländern und acht Beobachterstaaten zur Forschung und Erinnerung an den Holocaust und den Völkermord an den Roma. 

 

Ängste auch an den Schulen

 

Doch nicht nur an den Universitäten herrscht vielfach eine aggressive Stimmung, die keine anderen Meinungen zulässt. So berichtete beispielsweise die nicht-jüdische Mutter einer Schülerin an einem Oberstufenzentrum, dass ihre Tochter sich nicht mehr traue, ihre eher israelaffine Meinung zu äußern, weil ihre Mitschüler*innen, auch die der Schüler*innenvertretung, eine bedrohliche Stimmung gegenüber Andersdenkenden verbreiteten.

Nicht zu vergessen der von der Hamas am 13. Oktober 2023 weltweit ausgerufene »Day of Rage«, an dem auch in Berlin jüdische Eltern aus Angst vor Anschlägen ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Auch an anderen Tagen besteht derzeit die Befürchtung, dass etwas passieren könnte. Viele vermeiden es aus Angst vor Übergriffen, jüdische Symbole wie die Kippa oder den Davidstern öffentlich zu zeigen. 

In all diesen Zusammenhängen ist die polarisierende Wirkung von sozialen Medien nicht zu übersehen. Dort tobt derzeit eine »digitale Intifada«, die zur Radikalisierung nicht nur von jungen Menschen beiträgt. Fehlende Geschichts- und Ortskenntnisse werden online zu verzerrten Darstellungen des Nahostkonflikts, die mit der Realität in Israel, Gaza und der West Bank nur wenig zu tun haben. Alte, fast überwunden geglaubte antisemitische Stereotype feiern wieder Hochkonjunktur.

Es ist symptomatisch, wenn extra betont werden muss, dass Kritik an der israelischen Regierung unter Netanyahu legitim ist. Eine rote Linie wird jedoch überschritten, wenn Fake News verbreitet werden und es die Absicht ist – wie im Falle des Iran, der Hamas und anderen radikalislamistischen und pro-palästinensischen Organisationen –, den Staat Israel und seine Menschen zu vernichten.

Gerade jetzt geht es darum, dass fernab von leeren Betroffenheitsfloskeln ehrlich gemeinte Solidarität mit jüdischen und israelischen Menschen gezeigt wird. Und eben nicht weggeschaut, ignoriert oder mit eiskaltem Schweigen quittiert wird. 

Wir stehen als Pädagog*innen, vor allem aber als Menschen in der aus der Shoah erwachsenen Verantwortung, dass die Berliner Bildungseinrichtungen sichere Orte für jüdische Kinder, Schüler*innen, Studierende und Lehrende sind. Diese historische Verantwortung ist heute – nach dem durch die Hamas verübten Massaker – aktueller denn je. 

 

Für weitere Informationen: hamas-massacre.net und www.kidnappedfromisrael.com

Zur Bedeutung von Shoah und Genozid: www.yadvashem.org

 

 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46