bbz 07-08 / 2017
Pädagog*innen als Pflegepersonal
Bei der medizinischen Versorgung von Kindern mit Pflegebedarf besteht große Unsicherheit. Was sind meine Rechte und Pflichten als Pädagog*in?
Max hat Diabetes und muss jeden Vormittag seinen Blutzuckerspiegel messen. Anna wird vor der dritten Stunde daran erinnert, ihre Tablette zu nehmen. Justin hat eine schwere Allergie gegen verschiedene Lebensmittel. In jeder Schule gibt es Kinder oder Jugendliche mit chronischen Erkrankungen oder anderem Pflegebedarf – nicht erst seit Ausweitung der Inklusion. Die Frage nach der Medikamentengabe und der Pflege in den Schulen beschäftigt viele Pädagog*innen. Wie ist der rechtliche Rahmen? Kann ich zur Medikamentengabe gezwungen werden? Muss ich Schüler*innen an die Einnahme eines Medikaments erinnern? Was, wenn ich dies in einer stressigen Unterrichtstunde vergesse?
Zu Beginn dieses Jahres gab die Senatsbildungsverwaltung eine Handreichung zu Medikamentengabe und Pflege in der Schule heraus, die Handlungssicherheit schaffen soll. Im Mai saßen nun Expert*innen aus verschiedenen Bereichen in der Refik-Veseli-Schule zusammen, um zu diskutieren, ob dieses Ziel erreicht wird.
Lydia Sebold ist Vorsitzende des Grundschulverbandes Berlin und leitet die Grundschule am Barbarossaplatz in Schöneberg. Sie betonte, dass das Leitbild einer Schule im Hinblick auf die Medikamentengabe eine wesentliche Rolle spiele. Wenn die Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler mitsamt ihren Unterstützungsbedarfen als grundlegendes Prinzip der pädagogischen Arbeit gesehen werde, steige auch die Bereitschaft des Kollegiums, sich entsprechend weiterzubilden und im Rahmen einer verbindlichen Vereinbarung mit Erziehungsberechtigten Medikamente zu geben sowie pflegerisch tätig zu werden. »Wer an einer inklusiven Schule arbeitet, muss mit anpacken«, fasste Sebold ihr Selbstverständnis zusammen.
Freiwilligkeit als Grundprinzip
Stefani Fuchs war von Seiten des Gesamtpersonalrats der allgemeinbildenden Schulen an der Ausarbeitung der Handreichung für Berliner Schulen beteiligt und leitet die AG Gesundheit der GEW BERLIN. Sie sieht in der Handreichung einen ersten Schritt zu einem verbindlichen Rahmen der Medikamentengabe und Pflege. Dennoch herrsche an vielen Schulen weiterhin Unsicherheit, vor allem in Haftungsfragen. »Wichtig ist: Niemand kann zur Medikamentengabe gezwungen werden. Die Freiwilligkeit auf Seiten der Pädagog*innen ist das Grundprinzip«, sagte Fuchs. Schriftliche Vereinbarungen mit Eltern könnten weitere Sicherheit geben. Zudem wird in der Handreichung die Absicherung der Pädagog*innen dargestellt, solange kein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten vorliegt. Wie genau sich das definiert, entscheidet im Zweifel aber das Gericht.
Unterstützung können Schulen durch einen Pflegedienst erfahren. Die Organisation und Beantragung eines Pflegedienstes liege dabei in der Zuständigkeit der Eltern, erklärte Urs Willner, Chefarzt der Klinik für seelische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter am St. Joseph Krankenhaus. Eine Finanzierung durch die Schule, zum Beispiel über den Verfügungsfonds, wurde von den Anwesenden auf dem Podium und im Publikum übereinstimmend verworfen. Der Einsatz von medizinischem Fachpersonal zur Unterstützung der Pädagog*innen könnte aber auch in anderer Weise durch die Senatsverwaltung geregelt werden. Hier besteht Handlungsbedarf.
Die Aufgaben für alle in der Schule Tätigen werden nicht geringer. Durch pflegerische Bedarfe kommen auf die Beschäftigten zusätzliche Belastungen zu. Das große Interesse an der Veranstaltung zeigt, dass ein großer Informations- und Fortbildungsbedarf im Hinblick auf die Unterrichtung und Erziehung von chronisch kranken Kindern und Jugendlichen besteht. Immerhin: »Die Gefängnisse sind nicht voller Lehrer«, wusste Angela Ehlers vom vds – Verband Sonderpädagogik zu berichten. Sie ist Referatsleiterin bei der Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg, wo die Rechtslage ähnlich ist wie in Berlin. Die Hamburger Behörde hat mit dem »Pflegekompetenzprojekt« ein Unterstützungsangebot für die Schulen geschaffen. Nach Einschätzung von Ehlers wird sich die Unsicherheit auch an den Berliner Schulen legen.
Hier könnt ihr die Handreichung Medikamentengabe herunterladen.