Schwerpunkt "Demokratie und Hochschule"
Partizipation in der Krise
In Berlin wurden Studierende zwar in die Bewältigung der Coronapandemie mit einbezogen. Echte Hochschuldemokratie muss dennoch anders aussehen.
Die Coronapandemie hat für den Alltag an den Hochschulen bedeutende Einschnitte mit sich gebracht. Präsenzlehre wurde lange ausgesetzt und unvorbereitete Onlinelehre hielt stattdessen Einzug. Die Studierenden wurden in dieser Zeit nur minimal entlastet und diejenigen Entscheidungen, die für sie tatsächlich eine Entlastung waren, wurden nicht an der Uni, sondern an anderen Stellen getroffen.
Die Coronapandemie hat für die Hochschulen daher auch eine demokratische Krise bedeutet. Die universitären Entscheidungsstrukturen waren durch die Notwendigkeit, schnell drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu ergreifen, stark herausgefordert. Am Beispiel von Berlin soll in diesem Text gezeigt werden, wie gut dabei die Studierenden in die Bewältigung der Krise einbezogen wurden, wie demokratisch dies ablief und was wir daraus für künftige Krisen lernen können.
Wir als Studierendenvertretungen in Berlin konnten in der Zeit der Pandemie gut beobachten, wie das Krisenmanagement funktioniert und unseren Einfluss bei der Bewältigung der Krise geltend machen. An der Technischen Universität Berlin und an der Hochschule für Technik und Wirtschaft waren wir eingebunden in den Krisenstab der Hochschulen – nachdem wir als Studierendenvertretungen darauf insistieren mussten. An anderen Hochschulen gab es zwischen Studierendenvertretungen und Hochschulleitungen nur ein Jour Fixe. Auch auf Landesebene haben wir Studierendenvertretungen gefordert, in die Gespräche zu Corona einbezogen zu werden. So wurde aus einem jährlichen Treffen mit dem Staatssekretär für Wissenschaft Steffen Krach eine wöchentliche Telefonkonferenz. In diesem Rahmen konnten viele studentische Forderungen für den Umgang durchgesetzt werden – auch wenn es auf der Ebene der Universität, im Unterschied zum Bundesland, keine Mehrheit dafür gab.
So konnte durch unsere politische Arbeit auf Landesebene durchgesetzt werden, dass alle Prüfungen Freiversuche waren. Eine enorme Entlastung für viele Studierende. Auch Fristen für Abgaben wurden verlängert. Forderungen, die von einer professoralen Mehrheit in vielen Universitäten erst mal abgeschmettert wurden.
Demokratie fängt unten an
Man könnte jetzt sagen: Die Demokratie hat funktioniert. Die Studierenden wurden sowohl auf Landesebene als auch auf Hochschulebene eingebunden. Sie konnten ihre Forderungen für den Umgang mit der Krise gut platzieren und am Ende konnten diese sich sogar auf der landespolitischen Ebene mit ihrem Argument durchsetzen. Aber ganz so einfach ist es nicht, wenn man sich fragt, wie es um die Demokratie bestellt ist. Demokratie fängt nämlich nicht erst im Abgeordnetenhaus oder auf Senatsebene an, sondern in der Hochschule.
Leider muss man zu dem Ergebnis kommen, dass es trotz dieser Einbindung auf der Krisenstabsebene um die Demokratie in der Krise ziemlich mau aussieht. Die Krisenstäbe hatten eher den Charakter eines Briefings. Die Verwaltung saß mit am Tisch, an manchen Hochschulen die Dekanate. Personalräte und Studierendenvertretungen (welche ja auch nur an zwei Hochschulen wirklich mit einbezogen wurden) saßen nur am Tisch, um die Legitimität zu stärken und um potenziellen Ärger durch ihre Einbindung zu verhindern. Vorschläge wurden zwar diskutiert, aber häufig unter Vorbehalte gestellt. Ein beliebter Einwand war das fehlende Einverständnis durch das Land Berlin – andere Forderungen wurden von den Hochschulleitungen erst gar nicht an das Land Berlin herangetragen.
Häufig hat man darauf gewartet, dass die Landespolitik einem sagt, was man jetzt tun soll. Aber auch die Landesebene wartete darauf, was der Bund sagte. Verantwortung wurde so immer wieder hin- und hergeschoben und die meisten Maßnahmen, die getroffen wurden, waren von oben durchgereichte Maßnahmen. An diesen wurde hier und da noch etwas geschraubt, aber auch auf Landesebene gab es eine gewisse Hilfslosigkeit.
Diese hat sich in einer Anhörung im Abgeordnetenhaus gezeigt, in welcher ich von den Problemen, die Studierende haben, berichten durfte. Nachdem ich mit der Auflistung der Probleme fertig war, fragte eine Abgeordnete sichtlich hilflos angesichts der Probleme: »Was können wir denn tun?« Mein Vorschlag, Freiversuche in Prüfungen zu ermöglichen, wurde dankbar aufgenommen und auch recht unmittelbar umgesetzt.
Aber ist das Demokratie? Wenn alle gewählten Ämter und Abgeordnete auf eine Studierendenvertretung hören? Wenn die Forderung nach Freiversuchen auf Landesebene durchgesetzt wird, nachdem sie auf Hochschulebene keine Mehrheiten bekommen hat? Oder wenn das Argument der Hochschulleitungen, warum das nicht kommen soll, so schlecht ist, dass es die Landespolitik nicht überzeugt, aber das der Studierendenvertretungen angenommen wird? Ich denke nicht.
Lösungen im Umfeld suchen
Wir Studierenden konnten unseren Einfluss zwar ausbauen, aber dass wir das konnten, lag daran, dass die Hochschuldemokratie nicht richtig funktioniert hat. Anstatt dass die höchsten Gremien einer Universität der Akademische oder Erweiterte Akademische Senat (In manchen Hochschulen Konzil) wöchentlich zusammenkommt und um Lösungen ringt, wird eine Briefingrunde um die Hochschulleitung zusammengestellt. Anstatt dass die Hochschulleitungen die Interessen aller Mitglieder einer Hochschule auf Landesebene verteidigen, müssen die Studierenden sich selbst darum kümmern. Anstatt dass gute Kompromisse an der Basis gefunden werden, mit denen alle leben können, muss das Land in die Hochschulen rein regieren und wartet gleichzeitig darauf, was der Bund tut.
Fairerweise muss man allerdings auch sagen, dass durch die neue Ampelkoalition auf Bundesebene die Möglichkeiten der Länder, adäquat auf die Pandemie zu reagieren, massiv beschnitten wurden. Aber auch das ist Teil eines Problems, dass Entscheidungen immer weiter Weg vom Ort des Geschehens getroffen werden und alle Ebenen von einer Welle der Hilflosigkeit überrascht werden.
Was folgt aus der Erkenntnis, dass alle hilflos vor der Coronakrise standen und darauf warteten, was andere machen, für die aktuelle wie auch zukünftige Krisen? Wie können wir demokratische Teilhabe in solchen Situationen gewährleisten?
Ich denke, Demokratie muss stärker an der Basis stattfinden. Man darf nicht darauf warten, dass das nächsthöhere Amt einem sagt, was man nun zu tun hat, sondern sollte sich im unmittelbaren Umfeld austauschen. Warum nicht mehr Entscheidungen an der Basis, dem Institut oder dem Fakultätsrat? Warum nicht gemeinsam über Statusgruppen hinweg auf der unteren Ebene einen guten gemeinsamen Umgang finden? Die meisten Maßnahmen (Maskentragen, Abstand halten, Online-Lehre) hätten auch an jeder anderen Stelle beschlossen werden können und nicht vom Bund durchgesetzt werden müssen.
Also lasst uns in unserem direkten Umfeld um die beste Lösung streiten – und zwar demokratisch. Auch wenn andere es nicht gemacht haben, wir als Studierendenvertretungen in Berlin haben es gemacht und uns wöchentlich in der LandesAStenKonferenz (LAK) ausgetauscht. Vielleicht war unser Argument deswegen auch das bessere, weil es im internen Diskurs geschärft war.