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Schule zusammen weiterentwickeln

Qualität inklusive? Die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus

Das »Qualitätspaket« der Senatsverwaltung geht in die falsche Richtung. Vor allem Sekundar- und Gemeinschaftsschulen leiden unter den Folgen prekärer Lebensbedingungen ihrer Schüler*innen

Bild: GEW BERLIN

Der Tagesspiegel beschrieb im vergangenen September die Ziele der Bildungssenatorin und ihrer neuen »Qualitätskommission«. »Erfolgreiches fachliches und soziales Lernen« solle stattfinden können. Gleichzeitig sollten »Disparitäten im Bildungssystem« reduziert werden. Wir stellen uns die Frage, welchen unmittelbaren Nutzen das Qualitätspaket unter den gegenwärtigen Bedingungen für Neuköllner Sekundar- und Gemeinschaftsschulen besitzen kann.

Seitdem wir Lehrer sind, und als Schulleiter sowieso, unterstützen wir die bestehenden Ziele der Berliner Schulpolitik: mehr Absolvent*innen mit Abitur, weniger Absolvent*innen ohne Schulabschluss sowie Entkopplung des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft. Allerdings setzt die Politik mit den 39 Punkten des Qualitätspaketes nicht die richtigen Akzente. In seiner Ausrichtung und Schwerpunktsetzung sowie in der damit verbundenen Ressourcenbindung erachten wir das Paket für fragwürdig. Insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl an verhaltensauffälligen und gleichzeitig auch leistungsschwächeren Schüler*innen, die sich nach Abschluss der Grundschule vor allem an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen einfinden, erscheint das Qualitätspaket für diese Schultypen verfehlt.

Das Qualitätspaket bedeutet eine weitere Arbeitsverdichtung

Die Forderung der Senatsverwaltung, durch konzeptionelle Arbeit aus den Schulen heraus den schlechten schulischen Ergebnissen und damit letztlich den gesellschaftlichen Verwerfungen zu begegnen, ist nicht mehr erfüllbar. Wir sehen in dem Qualitätspaket vornehmlich eine weitere Arbeitsverdichtung und in einigen Punkten wenig Nutzen, zumal Konzepte und Hinweise zu einer erfolgreichen Umsetzung häufig fehlen. Das bleibt am Ende wieder einmal den Schulen selbst überlassen.

Betrachtet man die Soziostrukturdaten Neuköllns, besteht die Gefahr, dass sowohl die Gemeinschaftsschule als auch die Sekundarschule an der schlecht umgesetzten Inklusion in naher Zukunft zerbrechen. Zu sehr hat seit 2010 die Leistungsheterogenität in den Klassen zugenommen und ist die Zahl der Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf, mit und ohne Diagnose, gestiegen. In vielen Bezirken wird die Situation dadurch noch verschärft, dass aufgrund fehlender Schulplätze die Klassenfrequenzen angehoben werden.

Es bleibt selbstverständlich das politische und strategische Ziel, das gegliederte Schulsystem zu überwinden. Genau das ist ein tragender Teil der UN-Menschenrechtskonvention. Folgt man politisch diesem Auftrag, muss es auch für die Berliner Gymnasien Angebote geben, die es ihnen ermöglichen, sich zu Schulen des gemeinsamen Lernens weiterzuentwickeln, Probezeiten zu hinterfragen und Selektionen auf ein Minimum zu reduzieren. In dieser Frage sollten sich die Berliner Schultypen nicht auseinanderdividieren lassen, sondern sich ihrer solidarischen Verantwortung bewusst sein und gemeinsame Vorstellungen entwickeln. Derzeit ist jedoch kein entsprechender politischer Wille erkennbar.

Schüler*innen, die sich sozial kompetent verhalten, geraten aus dem Blick

Wir stellen fest, dass wir aufgrund der beschriebenen Situation zunehmend jene Schüler*innen aus dem Blick verlieren, die sich trotz ihrer prekären Lebensverhältnisse den Regeln entsprechend und sozial kompetent verhalten und im Rahmen ihres Leistungsvermögens erfolgreich lernen. Darunter leiden deren Abschlüsse und unsere Außenwirkung. Das bedeutet für uns, trotz der umfänglichen Überlastung des gesamten Schulpersonals pragmatische Wege zu finden, um den Lernerfolg der absoluten Mehrheit unserer Schüler*innenschaft zu sichern.

Dem steht das systemsprengende Verhalten einiger weniger Schüler*innen entgegen. Diese Schüler*innen lassen unsere Schulen in ihrer Qualität schlechter aussehen, als sie eigentlich sind. Als Neuköllner Schulleiter sind wir der festen Überzeugung, dass diese als Systemsprenger bezeichneten Schüler*innen im Regelschulsystem unter den vorherrschenden Bedingungen in Bezug auf ausgebildetes Personal, Klassenfrequenzen und Räumlichkeiten nicht weiter uneingeschränkt unterrichtet werden können. So kann Inklusion nicht funktionieren.

Die Personalsituation, das darf man in dem Zusammenhang nicht außer Acht lassen, ist bedenklich. Lehrkräfte fehlen, insbesondere Sonderpädagog*innen, Quereinsteigende müssen im laufenden Betrieb ausgebildet werden und vieles mehr. Die Inklusion befördert ein erfolgreiches Personalmanagement der Sekundar- und Gemeinschaftsschulen in keiner Weise. Hier treffen verschiedene Entwicklungen unheilvoll aufeinander. Eine zunehmend herausfordernde Schüler*innenschaft, der Anspruch an individualisierte Lernprozesse bei gleichzeitig nicht ausreichend vorhandenen Fachkräften sowie fehlende Räumlichkeiten.

Es muss über eine gerechte Inklusion nachgedacht werden

Perspektivisch ist leider auf absehbare Zeit im Hinblick auf die personelle Ausstattung keine Besserung in Sicht. Gleichzeitig stehen wir, wie beschrieben, vor besonderen Herausforderungen, bei denen bereits jetzt ausgebildete und gestandene Pädagog*innen an ihre Grenzen stoßen. Die unübersehbaren prekären Neuköllner Lebensbedingungen behindern viele Schüler*innen darin, entsprechend ihren Potenzialen erfolgreiche Schulabschlüsse zu erreichen.

Wir regen daher alle Berliner Schulen an, sich auf der Bezirks- und Landesebene zukünftig gemeinsam mit der Frage einer »gerechten Inklusion« auseinander zu setzen und einen entsprechenden Arbeitsprozess anzustoßen. Die Qualität der Berliner Schule hängt unmittelbar mit der Frage einer gerechten Inklusion zusammen. Die 2010 initiierte Berliner Schulstrukturreform war ein Schritt in die richtige Richtung, deren erfolgreiche Umsetzung vor Ort ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen.