EXTRA: queere Bildungswelten
Queere Kolleg*innen an unseren Schulen
In Bezug auf geschlechtliche Vielfalt herrscht noch viel Unwissenheit in der Gesellschaft. Die bbz-Redaktion hat sich mit zwei Pädagog*innen unterhalten, die Expert*innen auf dem Gebiet sind – aus eigenem Erleben.
bbz: Hallo Luca*, du arbeitest seit 2016 als Erzieher*in an einer Berliner Grundschule und hattest dort letztes Jahr dein Coming-Out als nichtbinärgeschlechtlich. Wie waren die Reaktionen?
Luca Müller: Mein Coming-Out war ein schleichender Prozess. Ich habe über einige Jahre ein Doppelleben gelebt: bei der Arbeit als Mann, im Privatleben als Luca. Aber die Kinder haben mich trotzdem manchmal als Frau angesprochen – wahrscheinlich wegen meiner langen Haare und meines Kleidungsstils. Ich habe mich gefreut und sie nicht korrigiert. Zu Verkleidungsanlässen habe ich bevorzugt weibliche Figuren gewählt und von Kindern, dem Kollegium sowie einzelnen Eltern positive Rückmeldungen bekommen. Mein vollständiges Coming-Out bei der Arbeit habe ich trotzdem mit einem Schulwechsel verbunden. Mir war nicht wohl mit dem Gedanken, diesen Schritt in einer Schule in einem konstant AfD-affinen Milieu zu gehen. Von meinem neuen Kollegium und den Kindern fühle ich mich prinzipiell akzeptiert. Die Kinder gehen mit mir zumeist neugierig und manchmal auch kreativ um. Sie dürfen meinen Vornamen nutzen – und setzen manchmal das Wort »Frau« davor.
Hallo Suzie, du warst von 2021 bis 2023 an zwei Berliner Schulen als Sozialarbeiterin tätig, arbeitest aber mittlerweile wieder in Bayern. Denn deine Erfahrungen als trans* Frau waren nicht ganz so positiv wie die Lucas, oder?
Suzie Nowak: Formal wurde ich an beiden Schulen von allen akzeptiert und konnte pädagogisch erfolgreich arbeiten. Ein Erfolg war beispielsweise, als in einer siebten Klasse in einem insgesamt homophoben Umfeld ein lesbisches Paar sich getraut hat, sich zu outen.
Du sprichst das homophobe Umfeld an. Welche Rolle spielen denn die Eltern in dem Kontext?
Suzie: Ich habe mich mit dem Elternbeirat immer gut verstanden. Bis heute bin ich mit einem Elternsprecher befreundet. Trotzdem gab es im Kollegium Gerüchte, Eltern hätten sich gegen mich ausgesprochen. Es gab da eine gewisse rassistisch-transfeindliche Mythenbildung, eine »gefühlte Wahrheit«, gegen die es kaum möglich ist, etwas entgegenzusetzen. Wenn es etwa heißt, dass arabischstämmige Schüler*innen eine trans* Frau niemals als Autorität akzeptieren würden. Das Gegenteil war der Fall. Es gab Einzelfälle von Diskriminierungen durch Schüler*innen, aber sie waren eine seltene Ausnahme und eher ein Hilferuf, um auf eigene Probleme aufmerksam zu machen.
Luca: Trans-, inter- oder nonbinärgeschlechtliche (TIN) Pädagog*innen sind bei ihrer Arbeit auch von der Akzeptanz der Eltern abhängig. Wenn die Eltern die selbstgewählten Namen und Pronomen der Pädagog*innen – sowie ihre ganz persönlichen Lebensentscheidungen – akzeptieren und dies auch den Kindern gegenüber zeigen, ist ein großer Schritt getan. Aber ja, manchmal kommen politisch oder weltanschaulich begründete Vorurteile und Ablehnung auch aus der Elternschaft. Es ist wichtig, dass die Führungskräfte an der Schule Haltung zeigen und sich schützend vor ihr Personal stellen, wenn es mal in der Elternschaft rumort.
Habt ihr Situationen erlebt, in denen euch Vorgesetzte im Stich gelassen haben, als ihr Unterstützung gebraucht hättet?
Luca: An meiner früheren Schule habe ich mich irgendwann meiner damaligen Schulleitung und der koordinierenden Fachkraft anvertraut. Als ich dann später mit weiteren Kolleg*innen über meine Situation gesprochen habe, habe ich erfahren, dass die koordinierende Erzieherin im Kollegium abfällig darüber gesprochen hatte.
Suzie: Ein Hausmeister hat mich bei jeder Gelegenheit mit abwertender Mimik demonstrativ als »er« angesprochen, selbst in direkter Anwesenheit der Schulleitung. Es gab nie eine Reaktion. Stattdessen wurde mir ein »professioneller Umgang beim Toilettenbesuch« empfohlen, statt Schultoiletten umfassend geschlechtsneutral umzugestalten.
Anstatt Problemen im Arbeitsalltag entschlossen zu begegnen oder Missverständnisse aufzuklären, hat mir die Schulleitung nahegelegt, mich im »eigenen gesundheitlichen Interesse« versetzen zu lassen.
Luca: Das passiert leider häufiger, dass Schulleitungen unprofessionell und überfordert reagieren. Es gibt zwar Schutzkonzepte, aber die nutzen nicht viel, wenn die Abläufe nicht bekannt sind, Probleme verharmlost oder ausgesessen werden.
Du hast dann tatsächlich die Schule gewechselt, Suzie?
Suzie: Ja, und an der neuen Schule ist es zunächst besser gelaufen. Aber wenn ich meine Rechte eingefordert habe, wurde das als persönlicher Angriff gewertet. Falsche Ansprache und verbale Gewalt durch Schüler*innen seien etwas, was ich im Rahmen der Professionalität und Fehlertoleranz aushalten müsse, so die Haltung des pädagogischen Teams.
In einem Dienstgespräch wurde ich aufgefordert, weiter mit einer Kollegin zu arbeiten, obwohl diese mich auch nach anderthalb Jahren Zusammenarbeit immer noch mit falschen Pronomen angesprochen hat, was für mich psychisch sehr belastend war. Die Kollegin kontaktierte das Antidiskriminierungsprogramm der Senatsverwaltung und es wurde ein Schlichtungsprozess zwischen uns initiiert.
Ist eine Schlichtung denn das richtige Format, wenn es um Diskriminierung geht?
Suzie: Es war von Anfang an klar, dass dem nicht so ist, aber ich habe mich auf Beratung hin darauf eingelassen, da mir eine Nichtteilnahme als negativ hätte ausgelegt werden können. Ich wollte mich aber nicht mit nur minimalen Verbesserungen zufriedengeben, zumal die Kollegin weiterhin die falschen Pronomen verwendete. Sie wurde geschützt, da sie sich ja Mühe gebe, an sich zu arbeiten. Mir wurde vorgeworfen, meine konstruierte Mitschuld nicht anzuerkennen. Die Schulleitung weigerte sich dann, einen von mir gemeldeten verbalen Übergriff durch eine Gruppe Sechstklässler als Gewaltmeldung zu unterschreiben. Als ich mich dagegen beim Schulrat wehrte, wurde mir zwei Tage vor Beginn der Sommerferien mitgeteilt, dass die Schule in Zukunft nicht mehr mit mir planen werde. Auch der Schulrat hat mir keine andere Perspektive oder Lösung angeboten. Das alles hat massive negative Auswirkungen auf meine Gesundheit, meine Karriere und mein Privatleben gehabt. Ich bin dann aus Berlin weggezogen.
Was braucht es eurer Meinung nach, damit queere Kolleg*innen an Schulen mehr Unterstützung erfahren?
Suzie: Solange sich Gesellschaft und Politik weigern, umfassende Schutzkonzepte umzusetzen, wird es keine echte queere Sichtbarkeit, keine positiven Rollenbilder an den Schulen geben. Zentrale Elemente stehen seit Jahren in den Notfallplänen für Berliner Schulen sowie im Orientierungs- und Handlungsrahmen für Bildung zu Akzeptanz von Vielfalt/Diversity. Der Senat muss diese endlich ernst nehmen und mit allen Konsequenzen umsetzen.
Was sind Dinge, die eigentlich jede*r Schüler*in über queeres Leben wissen sollte und wie können diese im Unterricht vermittelt werden?
Suzie: Das Berliner Schulgesetz definiert die schulische Sexualerziehung als fächerübergreifende Aufgabe, die Diversität beinhaltet und sich an aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaft orientiert.
Luca: Ich denke, dass Themen geschlechtlicher und sexueller Diversität in Bildungseinrichtungen gehören und den Kindern und Jugendlichen fächerübergreifend und altersgerecht vermittelt werden sollten. Neben der biologischen Betrachtung – die nicht nur Männer und Frauen kennt – können queere Menschen in Literatur und Kultur als Rollenmodelle angeboten werden. Auch im gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht sehe ich Anknüpfungspunkte, um queere Lebensweisen zu besprechen.
Gab es etwas in eurer Schulzeit, was euch gefehlt hat oder was ihr euch jetzt auch wünschen würdet?
Luca: Als ich zur Schule gegangen bin, wurde geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gar nicht thematisiert. Gleichzeitig war auch das Phänomen Mobbing noch nicht so präsent, wie es das in der heutigen Zeit ist, weshalb ich, bis ich erwachsen war, allein war mit meinem Unbehagen mit dem mir bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht. Zumindest auf dem Papier gibt es in der heutigen Zeit einen anderen Umgang mit diesen Themen. Es braucht aber auch engagierte Pädagog*innen, die das umsetzen.
* Name wurde von der Redaktion geändert
VERNETZUNG
Inter*Trans*Beratung der Schwulenberatung oder der von einer Elterninitiative gegründete Verein Trans-Kinder-Netz (TRAKINE) bieten Beratungen für Angehörige und Eltern von trans*, intern* und nichtbinärgeschlechtlichen (TIN*) Kindern und Jugendlichen an.
Die LGBTQIA*-AG queer-inklusive Pädagog*innen trifft sich jeden 3. Mittwoch im Monat. Mehr Infos hier