Kinder-, Jugendhilfe & Sozialarbeit
Quereinstieg ist nicht die Lösung
Der Fachkräftemangel im sozialpädagogischen Bereich hat sich lange angedeutet. Anstatt endlich gegenzusteuern, verschärft die Politik mit einer Ausweitung des Quereinstiegs die Lage.
Der Lehrer*innenmangel ist in aller Munde. 915 Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung sowie 738 Quereinsteiger*innen wurden zum neuen Schuljahr 2018/ 19 alleine in Berlin eingestellt. Angesichts des gravierenden Mangels ist vom »Bildungsnotstand« die Rede. Leider wird In der Diskussion ein weiterer Bildungsbereich übersehen, in dem es zu massiven Einschnitten des Fachkräftegebots kommt. Auch im sozialpädagogischen Bereich wird fehlendes Fachpersonal durch Quereinsteiger*innen ersetzt. An den Schulen und in den Kindertagesstätten arbeiten immer häufiger Menschen, denen eine staatliche Anerkennung zur Erzieher*in oder zur Sozialarbeiter*in fehlt.
Dabei ist gesetzlich geregelt, dass ausschließlich sozialpädagogische Fachkräfte auf den Personalschlüssel in den Schulen und Kitas angerechnet werden können. Sowohl in der Verordnung zum Kita-Förderungsgesetzt (VOKitaFöG) als auch in der Schülerförderungs- und betreuungsverordnung (SchüFöVO) ist formuliert, wer sozialpädagogische Fachkraft ist. So weit, so gut. Nun bedient sich das Land Berlin eines Tricks, um sich ein Hintertürchen offen zu halten. In begründeten Einzelfällen, zum Beispiel auf Grund eines besonderen pädagogischen Konzepts, können auch andere Personen als Fachkraft angerechnet werden. Noch weiter wird die Tür mit dem Hinweis geöffnet, auch bisherige berufliche Erfahrungen und Fortbildungen und hinreichende pädagogische Fachkenntnisse reichten aus, um als Fachkraft auf den Personalschlüssel angerechnet zu werden. Was zunächst als Förderung von multiprofessionellen Teams gewertet werden kann, wird in Zeiten des Fachkräftemangels konterkariert. Der Quereinstieg von fachfremden Menschen für sozialpädagogische Arbeitsbereiche wird gefördert, um dem Personalnotstand zu begegnen.
Seit August 2018 sind die Regelungen für Kindertagesstätten erneut ausgeweitet und für den Schulbereich erstmalig formuliert worden. Wer unter anderem Sporttherapeut*in, Kinderkrankenpfleger*in oder Gemeindepädagog*in ist, darf sich nun auch in den Schulen und Kindertagesstätten als sozialpädagogische Fachkraft probieren. Eine besondere Rolle unter den Quereinsteiger*innen nehmen die Erzieher*innen in berufsbegleitender Ausbildung ein. Auch diese Kolleg*innen werden voll auf den Personalschlüssel angerechnet, wenngleich keine pädagogische Vorerfahrung zur Aufnahme der Ausbildung erwartet wird. Mit dem zunehmenden Fachkräftemangel wurde diese Form der Ausbildung intensiv ausgebaut. Mittlerweile absolvieren über 40 Prozent der Studierenden das Studium zur Erzieher*in in Teilzeit.
Aus welchem Grund sollten Schüler*innen sich nach ihrem Abschluss für eine mehrjährige unbezahlte Ausbildung oder ein Studium entscheiden, wenn der Quereinstieg so einfach ist?
Dabei werden Fachkräfte gebraucht wie nie. Die Forderungen nach zusätzlichen Kita-Plätzen und einer Ausweitung des Ganztagsbetriebs an den Berliner Schulen sind laut, ebenso die Rufe nach einer qualitativen Verbesserung. Schließlich liegt Berlin beim Betreuungsschlüssel in Kitas im Bundesdurchschnitt an drittletzter Stelle. In den Schulen wird eine sozialpädagogische Fachkraft für 22 Kinder eingesetzt. Es lässt sich erahnen, dass qualitative Verbesserungen mit fachfremden Quereinsteiger*innen nur schwer umzusetzen sind.
Der vermehrte Quereinstieg in die sozialpädagogischen Berufe trägt zudem zur Entwertung eines ganzen Berufsfeldes bei. Frei nach dem Motto »Das kann ja wohl jede*r machen« erhalten Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen immer weniger Wertschätzung. Der Eindruck, auch ohne Ausbildung problemlos in diesem Berufsfeld arbeiten zu können, wird den Fachkräftemangel nicht beseitigen. Aus welchem Grund sollten Schüler*innen sich nach ihrem Abschluss für eine mehrjährige unbezahlte Ausbildung oder ein Studium entscheiden, wenn doch die Option des Quereinstiegs jederzeit möglich erscheint?
Die erneuten Lockerungen der Einstiegsbedingungen für Quereinsteiger*innen kaschieren nur vorübergehend die eigentlichen Probleme. Das Ziel sollte nicht sein, nur die offenen Stellen zu füllen. Das Ziel sollte eine vermehrte Ausbildung von Fachkräften sein, durch die eine Einstellung von Quereinsteiger*innen in absehbarer Zeit überflüssig wird. Dies ist nur möglich, wenn der Beruf attraktiver gemacht wird. Mit einer Verbesserung des Gehalts und der Arbeitsbedingungen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Quereinstieg führt nicht zu einer Entlastung der Kolleg*innen. Neben der Aufgabenverdichtung, die nicht durch fachfremdes Personal abgedeckt werden kann, sehen sich die Erzieher*innen gezwungen, die Quereinsteiger*innen einzuarbeiten, anzuleiten und zu unterstützen. Ressourcen hierfür werden nur in sehr geringem Maße bereitgestellt. In der Konsequenz suchen sich viele Erzieher*innen bereits andere Aufgabenfelder.