bbz 07-08 / 2019
»Reden Sie nicht Kölsch, Junge«
In seinem Film »Klasse Deutsch« zeigt Florian Heinzen-Ziob den Alltag einer Vorbereitungsklasse für in Deutschland neuangekommene Jugendliche. Ihr Klassenzimmer erweist sich dabei als ein pars pro toto für die ganze Gesellschaft
The beach is my favorite place to be« steht auf Pranveras T-Shirt. Ein Strandurlaub ist für das circa 12-jährige Mädchen in diesem Moment aber in weiter Ferne. Statt in der Sonne zu liegen, muss sie nämlich im Klassenzimmer sitzen und Überstunden machen. Wir befinden uns in Raum B206a der Henry-Ford-Realschule im Kölner Stadtteil Seeberg und Pranvera ist Teil einer Vorbereitungsklasse, die neu aus dem Ausland hinzugezogene Kinder fit für den Regelunterricht machen soll. Monatelang hat der Filmemacher Florian Heinzen-Ziob die Schüler*innen der »VK«, wie sie von allen hier genannt wird, begleitet. Dabei ist Heinzen-Ziob nicht nur das Porträt einer Handvoll Jugendlicher mit außergewöhnlichen Geschichten gelungen. Wie unter einem Brennglas veranschaulicht sein Film die unsere Gesellschaft bewegenden Themen Flucht, Migration und Integration.
Der Film beginnt mit einer Außenansicht auf die Henry-Ford-Realschule, es herrscht absolute Stille. In einer Serie von Einstellungen nähern wir uns Schritt für Schritt dem Raum »B206a« – noch ist er verwaist, die Stühle stehen auf den Tischen. Ein rabiater Schnitt und das Klassenzimmer ist plötzlich belebt mit lärmenden Jugendlichen. Die Zuschauer*innen werden gleichsam hineingeschleudert in den Alltag der Lehrerin Ute Vecchio und der Schüler*innen der VK.
In der Vorbereitungsklasse soll das Unmögliche möglich gemacht werden: Junge Menschen verschiedenen Alters und mit extrem unterschiedlichen Bildungs-, Migrations- und Fluchtgeschichten sollen zusammen unterrichtet und dazu befähigt werden, innerhalb von zwei Jahren mit ihren Mitschüler*innen in den Regelklassen gleichzuziehen. Die größte Hürde ist dabei die deutsche Sprache. Mühsam legt Ute Vecchio in einer Szene ihrem Schüler den Unterschied zwischen »finden« und »erfinden« auseinander und in einer anderen stoßen ihre Erläuterung zur Bildung von Komposita nur auf Unverständnis. Zudem verläuft die Sprachverwirrung in beide Richtungen. »Reden Sie nicht Kölsch, Junge«, ermahnt einmal Ferdi seine Lehrerin, die gelegentlich ins rheinische Idiom wechselt. Neben das Problem Deutsch kommen aber noch zahlreiche weitere. Die Lebenssituation der meisten Schüler-*innen der VK ist prekär. »Wo wohnst du?«, fragt Schach, »Container« antwortet Ferdi lapidar. Für einige der Jugendlichen ist Deutschland bereits die dritte Station in Europa, ist es der dritte Schul- und Sprachwechsel innerhalb von Monaten und ihre Zukunft in Deutschland ist ungewiss. Ein Mädchen in der VK wird nach Albanien abgeschoben; ein Schicksal, dass vielen der Schüler*innen hier blüht.
Die Kamera ist überwiegend statisch und verlässt in 90 Minuten das Klassenzimmer nur selten. Als Zuschauer*in hat man fast das Gefühl, man sei in diesem Raum eingesperrt. Der Film ist in Schwarz-Weiß gehalten. Das verleiht den Gefilmten einerseits mehr Würde. Andererseits scheint so aber auch das Gefilmte, fast wie historisches Material, unserer Zeit enthoben zu werden. Zusammen mit einer Montage, die den repetitiven Charakter eines Schultages nachzuempfinden versucht, kann so schon mal das beklemmende Gefühl einer ewigen Wiederholung aufkommen. Das Moment der Ausweglosigkeit und Vergeblichkeit, das ein ständig präsenter Teil des Lebens der hier Porträtierten ist, wird so im Film auch ästhetisch gespiegelt.
Das Klassenzimmer B206a ist zugleich Refugium, ein Ort zaghafter Erfolge, aber auch des Zwangs und ätzender Langeweile. Kujtim, der Klassenclown, scheint seine ganze Energie und Kreativität darauf zu verwenden, sich irgendwie seinen Schulaufgaben zu entziehen und Fadi, der durch seine Größe etwas fehl am Platz wirkt, verzweifelt bereits am Einmaleins. Die sonst so liebevolle und geduldige Ute Vecchio stößt hier an ihre Grenzen. Als äußerstes Mittel der Motivation hält sie ihren Schützlingen auch mal die Möglichkeit des Scheiterns vor Augen. Als etwa Ferdi behauptet, seine Aufgaben seien ihm immer noch zu schwierig, sagt sie knallhart: »Dann bist du hier falsch.« Heinzen-Ziobs Film nährt keine Illusionen. Schonungslos zeigt er uns, dass Integration schief gehen kann, dass einige der in Deutschland angekommenen Kinder durch die Maschen des Bildungssystems zu fallen drohen. Er zeigt aber auch die Erfolge. Ein Mädchen wird mit Applaus verabschiedet; sie wechselt ans Gymnasium. Ehemalige VK-Schüler*innen, die erfolgreich die Schule durchlaufen haben, kommen zurück, um den Neuen beim Lernen zu helfen und der eigentlich so aufsässige Kujtim erweist sich als geduldiger Nachhilfelehrer.
Der Film bleibt nüchtern bis zuletzt, kommentiert oder wertet das Geschehen nicht. Die Referenzen auf die Welt außerhalb des Klassenzimmers, auf die großen politischen Debatten werden den vereinzelten Bemerkungen der Protagonist*innen überlassen. Den Zuschauer*innen wird in »Klasse Deutsch« schlicht ein Einblick in die Realität derer geboten, über die sonst nur geredet wird.
»Klasse Deutsch« läuft noch bis zum 23.07. in ausgewählten Kinos und im November dieses Jahres auf den SchulKinoWochen in ganz Deutschland. Die DVD wird ab dem 13. Dezember im Handel erhältlich sein.