Schwerpunkt "Rechte Strategien"
Schule an Orten extrem rechter Dominanzbestrebungen
Der Blick auf eine Schule in der brandenburgischen Gemeinde Burg zeigt, inwiefern eine Verharmlosung rechtsextremer Taten und Zustände das Problem vergrößert.
Im April 2023 schildern zwei Lehrkräfte in einem offenen Brief und in darauffolgenden Interviews Folgendes: Schüler*innen zeigen den Hitlergruß, äußern sich NS-verherrlichend mit Äußerungen wie »Arbeit macht frei«, Hakenkreuze werden geschmiert. Gleichzeitig bleibt eine Positionierung von Lehrkräften aus, die Schulleitung bringt strafbare Handlungen von Volksverhetzung nicht zur Anzeige, obwohl sie hierauf wiederholt hingewiesen wurde. Nicht-rechte Schüler*innen werden beleidigt, gemobbt und haben Angst, in die Schule zu gehen.
Im Zuge der medialen Auseinandersetzung geraten die beiden Lehrkräfte an ihrer Schule unter Rechtfertigungsdruck. Dessen Wirkung verstärkt sich, als das zuständige Schulamt mit dem Verweis auf mögliche Disziplinarverfahren reagiert. Während die beiden Lehrkräfte vor Ort zunehmend diskreditiert werden und als verantwortlich gelten für einen Diskurs, der als Imageschaden für die touristische Region gelesen wird, erhalten sie Unterstützung von regionalen und überregionalen Medien sowie von Politiker*innen der Bundesebene. Infolge dessen werden die angedrohten Disziplinarmaßnahmen zurückgenommen und seitens der Schulbehörde Gesprächsbereitschaft signalisiert. Bereits am Beginn der Berichterstattung wird deutlich, dass es sich bei der Problematik um keinen Einzelfall handelt.
Mit der Berichterstattung wird der Blick geweitet auf das Gemeinwesen: Beschrieben werden extrem rechte Vorfälle, Vernetzungen rechter Gruppen in die lokale Wirtschaft, das Ehrenamt oder das Wahlpotenzial rechter Parteien. Schule wird somit nicht als ein isoliertes Symptom dargestellt. Erkennbar werden Dominanzbestrebungen (extrem) rechter Gruppierungen, eine Veralltäglichung rechter Gewalt, die marginalisierte Situation demokratischer zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und eine Tradierung entsprechender Einstellungen in innerfamiliären Diskursen und stadtgesellschaftlichen Strukturen. Es gelingt einem neu gegründeten Bündnis für demokratische Schule, in dem sich kritische Lehrkräfte, Eltern von Schüler*innen, die von Alltagsrassismus und rechter Bedrohung betroffen sind, und weitere Engagierte organisieren, für mehrere Wochen sehr gut, die Problematik öffentlich zu vermitteln und einen notwendigen Veränderungsprozess an Schulen in der Region einzufordern. Auch Journalist*innen fordern über einen vergleichsweise langen Zeitraum von Politiker*innen auf Landes- und kommunaler Ebene Veränderungen. Dennoch muss bereits wenige Monate nach Beginn der Debatte konstatiert werden, dass dieser eingeforderte Prozess zum Erliegen gekommen ist.
Wenn die Unterstützung fehlt
Die beiden Lehrkräfte, die zuallererst Verantwortung für betroffene Schüler*innen übernommen haben, reichen ihre Versetzung ein und werden zum neuen Schuljahr an anderen Schulen arbeiten. Dies ist eine Folge der zu geringen, teils ausbleibenden Unterstützung von Kolleg*innen, Schulleitung sowie ministeriell und behördlich Verantwortlichen. Und nicht zuletzt ist es eine Folge öffentlich sichtbarer Bedrohungen durch extrem rechte Akteur*innen vor Ort und eines Angriffs auf einen Lehrer im Sozialraum. Die notwendige Absetzung der Schulleitung erfolgt erst zum darauffolgenden Schuljahr und damit zu verzögert, um eine kritische Auseinandersetzung zu befördern und diejenigen Stimmen zu unterstützen, die neben den beiden Lehrkräften an der Schule für einen Veränderungsprozess eintraten. Bislang ist kein Bestreben vonseiten der Landespolitik, der Schulbehörde oder den zuständigen Akteur*innen der Rechtsextremismusprävention erkennbar, das Geschehene und seine Ursachen aufzuarbeiten. Vielmehr scheint die Hoffnung beziehungsweise ein Trugschluss darüber zu bestehen, dass Schweigen das Problem unsichtbar oder weniger virulent mache.
Mehr Intervention ist notwendig
Die Lehrkräfte wurden von Beginn an parteilich beraten und verlässlich unterstützt von Fachberater*innen des Vereins Opferperspektive, Beratung für Betroffene rechter Gewalt im Land Brandenburg. Inwiefern jedoch eine systemische Beratung an der Institution Schule und dem betreffenden Gemeinwesen in einem Fall wie dem hier geschilderten sinnvoll ist, sollte Ausgangspunkt einer (selbst)kritischen Analyse möglicher Fehler im Verlauf der Begleitung durch das Mobile Beratungsteam sein und konzeptionelle Fragen der Beratungsarbeit beinhalten. Hierzu gehört auch die Frage, ob der Fokus auf das Absichern eines positiven Images der Schule von fachlichen Überlegungen gedeckt ist oder eher Teil des Problems.
Im April 2024 sendet der rbb eine Dokumentation über die Situation an der Schule. Journalist*innen interviewen den neuen Schulleiter, eine Lehrkraft und zwei Schüler*innen. Zudem werden Interaktionen im Unterricht abgebildet. Deutlich wird: Veränderungen werden angestrebt, unter anderem mit Angeboten der Bildungsarbeit. Neben engagierten Pädagog*innen zeigen sich komplexe Herausforderungen. Deutlich wird, dass die Problematiken im Erkennen von und im pädagogisch angemessenen Umgang mit rechtsextremen Erscheinungsformen auf sehr verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Die Frage, welche Antworten in dieser und in vergleichbaren Situationen gegeben werden können, um die Situation der von Rechtsextremismus betroffenen Schüler*innen und Lehrkräfte zu verbessern, ist komplex und kann nur multiperspektivisch beantwortet werden. Grundlage sollte eine Expertise sein, mit der verschiedene Ebenen berücksichtigt und analysiert werden. Neben der Schule gerät dabei auch das Gemeinwesen in den Blick: Ein demokratischer Schulöffnungsprozess beinhaltet immer auch die Beteiligung und Veränderungen in der Nachbarschaft. An dieser Stelle lediglich genannt werden können die curricular verpflichtende Integration des Themas »Rechtsextremismusprävention« in die Lehramtsausbildung und die verpflichtende, kontinuierliche Fort- und Weiterbildung von Lehrenden und Sozialarbeitenden. Dies beinhaltet auch eine Diskussion und Analyse von Fehlern und wirksamen Interventionen im Umgang mit Rechtsextremismus an Schule und im Gemeinwesen seit den 1990er Jahren. Das betrifft unter anderem das Erkennen der Ideologiedichte rechtsorientierter Schüler*innen und die darauf bezogene Wahl pädagogischer Interventionen, aber auch die Schulung der eigenen Sprechfähigkeit in Situationen unter Handlungsdruck.
Um entsprechende Professionalisierungs- und Veränderungsprozesse in Schule und Gemeinwesen zu ermöglichen, wäre eine Intervention verschiedener Akteur*innen auf Landes- und Bundesebene, aber auch des Stiftungswesens sinnvoll. Rechtsextremismus ist kein exklusives und ursächliches Problem von Schule; es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Um wirksam dagegen vorzugehen, braucht es dementsprechend gesamtgesellschaftliche Antworten und eine Übernahme von Verantwortung von möglichst Vielen.