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Schwerpunkt „Gewalt und Sexismus kontern“

Schweigen war keine Option mehr

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz Schule bleibt nicht folgenlos. Eine neue Dienstvereinbarung sorgt für klare Regeln und Schutzmaßnahmen.

Foto: BETSI SCHUMACHER/BERLIN BRUISERS E.V.

Ich habe Angst, wenn er den Raum betritt. Ich kann das nicht mehr ertragen.« Diese Sätze sagte vor einigen Jahren eine Kollegin. Ein Vorgesetzter machte ihr gegenüber immer wieder sexuell anzügliche Bemerkungen, erzählte ihr von sexuellen Phantasien und riss zotige Witze. Die Kollegin fühlte sich zutiefst beschämt. Irgendwann entschloss sie sich, es nicht mehr zu erdulden und nicht mehr zu schweigen.

Wir Frauenvertreterinnen sind dann mitunter die ersten Ansprechpartnerinnen und wir wissen, wie wichtig es ist, in Ruhe zuzuhören. Mit der Betroffenen sprechen wir ab, ob sie dienstlich dagegen vorgehen möchte und wenn ja, welche Schritte unternommen werden müssen.

 

Dienstvereinbarung setzt Zeichen für Prävention und Schutz

 

Seit März 2024 gibt es die »Dienstvereinbarung zur Prävention und zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz im Schulbereich«. Sie ist das Ergebnis jahrelanger, beharrlicher Forderungen der Gesamtfrauenvertreterinnen. Bereits 2019 wurde dieses Ziel im Frauenförderplan festgehalten, fünf Jahre später trat die Dienstvereinbarung (DV) in Kraft. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) verhandelte sie mit dem Gesamtpersonalrat und dem Personalrat der zentral verwalteten und berufsbildenden Schulen. Auch der Personalrat der Lehramtsanwärter*innen, die Gesamtschwerbehindertenvertretung und die Gesamtfrauenvertreterinnen wirkten mit und unterzeichneten die DV. Damit gibt es endlich verbindliche Vereinbarungen zu Präventionsmaßnahmen, einen transparenten Beschwerdeablauf und Sanktionen.

Führungskräfte – Schulaufsicht, Schulleiter*innen, Abteilungsleitungen und Seminarleitungen – stehen laut der DV in der Verantwortung. Sie müssen an Fortbildungsmaßnahmen zur Vermeidung und zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz teilnehmen, die Beschäftigten auf Gesamtkonferenzen über die DV informieren und den Beschwerdeablauf kennen. Sie erhalten konkrete Hinweise zu den verpflichtenden Gesprächen mit der betroffenen und der beschuldigten Person. Der Grundsatz gilt: Als Führungskraft bei einem formulierten Vorwurf sexueller Belästigung nicht zu handeln, ist immer falsch. Doch wie kann sexuelle Belästigung erkannt werden?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz definiert sexuelle Belästigung als »ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere, wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird« (§ 3 Abs. 4 AGG).

 

Es kommt nicht auf die Absicht an 

 

Das Gesetz definiert sexuelle Belästigung über die objektive Wahrnehmung des Geschehens und nicht über die Absicht der belästigenden Person. Für die Beurteilung, ob es sich um einen Flirtversuch, eine sich anbahnende Beziehung unter Arbeitskolleg*innen oder um sexuelle Belästigung handelt, gibt es eine einfache Regel: Ausschlaggebend ist nicht die Absicht der belästigenden Person, sondern die Wahrnehmung der betroffenen Person, ob der Annäherungsversuch als erwünscht oder unerwünscht empfunden wird.

Sexuelle Belästigung tritt in drei Formen auf: verbal, nonverbal und physisch. Dazu gehören nicht nur sexualisierte Sprüche, Fragen mit sexuellem Bezug oder Hinterherpfeifen, sondern auch anzügliche Blicke, sexuell-konnotierte Gesten, das Zeigen pornografischer Inhalte oder unerwünschte Berührungen. Alle Formen sexueller Belästigung beschämen, beleidigen und erniedrigen die Betroffenen. Sie können krankmachen und vergiften das Arbeitsklima.

Das AGG und das Landesgleichstellungsgesetz verpflichten Arbeitgeber, ein sicheres Arbeitsumfeld frei von sexueller Belästigung zu schaffen (§ 12 LGG). Denn sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und eine Dienstpflichtverletzung. Betroffen sein können Menschen jeder Geschlechtsidentität, doch am häufigsten sind es cis-Frauen. Darüber hinaus sind trans*, nicht-binäre und intergeschlechtliche Personen besonders gefährdet, Opfer sexueller Belästigung zu werden. Oft werden Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt: Frauen* in der Ausbildung oder Neue im Kollegium sind eher betroffen. Die belästigenden Personen sind, wie Studien übereinstimmend aufzeigen, überwiegend cisgeschlechtliche Männer (82 Prozent).

Sexuelle Belästigung ist bei uns kein Thema? Das stimmt. Leider. Denn es wird viel zu wenig thematisiert, was nicht darauf schließen lässt, dass es nicht vorkommt. Was die Kollegin erlebt hat, ist eher die Regel als die Ausnahme. Ungefähr jede*r zweite Beschäftige hat bereits sexuelle Belästigung erlebt, doch selten wird darüber offen gesprochen, sie wird vielfach auch nicht als solche erkannt. 

An viele diskriminierende Verhaltensweisen, Begriffe oder Bemerkungen haben wir uns im Alltag im Patriarchat gewöhnt. Dabei sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu verhindern. Anders als in anderen Lebensbereichen ist sie hier immer verboten. Laut einer Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle wussten mehr als 80 Prozent der befragten Beschäftigten nicht, dass Arbeitgeber ihre Beschäftigten aktiv vor sexueller Belästigung schützen müssen.

Dieser Schutz wird durch die SenBJF mit dem Formulieren einer klaren Haltung gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, umfänglichen Präventionsmaßnahmen sowie einem transparenten Beschwerdeverfahren gewährt. Jetzt gilt es, Schulungen und Fortbildungen für Beschäftigte, Schulleiter*innen und Beschäftigtenvertretungen zu organisieren.

 

Betroffene finden Hilfe

 

Neben der Schulleitung und der Schulaufsicht bietet das Schulpsychologische und Inklusionspädagogische Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) den Betroffenen wertvolle Unterstützung. Darüber hinaus stehen Betriebspsycholog*innen der Charité, Personalräte, Frauenvertreterinnen und die Antidiskriminierungsbeauftragte der Sen-BJF als vertrauensvolle Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Externe Organisationen wie die Fachstelle gegen sexuelle Gewalt an Frauen, trans*, inter* und nicht-binären Personen (LARA) sowie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bieten zusätzlich gezielte Beratung und Hilfe bei sexueller Belästigung an.

Der Kollegin aus dem geschilderten Fall wurde geholfen. Die Schulaufsicht handelte schnell, sprach mit der Betroffenen und dem Beschuldigten. Die Frauenvertreterin unterstützte die Kollegin. Der Vorgesetzte stellte die Belästigungen ein. Einige Wochen später ging es ihr besser. Sie meldete sich und sagte: »Ich hatte nicht daran geglaubt, dass ich Unterstützung bekomme und es aufhört.«

 

»Dienstvereinbarung zur Prävention und zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz im Schulbereich« hier

 

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Anmeldung: www.gew-bwww.gew-berlin.de/veranstaltungenerlin.de/veranstaltungen