Schwerpunkt „Risse in der Hochschulfassade“
Schweigende Opfer und machtlose Betriebsräte
Betriebsräte stehen den von Machtmissbrauch Betroffenen zur Seite, aber erhalten selten ein Mandat, um tätig zu werden.
»Es ist mir egal, ob du Urlaub hast, du bist am Montag um 8 Uhr in meinem Büro. Du weißt, was das für deine wissenschaftliche Karriere bedeuten kann, wenn du nicht da bist.« Das sagte eine Professorin zu einem bei ihr promovierenden Kollegen. Da zuckt es jedem Betriebsrat in den Fingern, diese Drohung zu skandalisieren und dem Beschäftigten zur Seite zu stehen. Aber: Der Promovend wollte nicht, dass ich als Betriebsrat tätig werde. Er hatte tatsächlich Angst, dass es seiner wissenschaftlichen Karriere schadet.
Ein anderes Beispiel: »Ich kann dir noch für ein Jahr einen Vertrag über eine 50-Prozent-Stelle geben. Du müsstest aber während dieser Zeit voll arbeiten.« Auf die zaghaft geäußerte Sorge der Kollegin, dass sie dann vielleicht nicht die Zeit habe, an ihrem Exposé für die geplante Dissertation zu schreiben, kam von dem das Angebot unterbreitenden Professor die Antwort, dass das in seiner eigenen Promotionszeit üblich gewesen wäre und jede Studentin froh gewesen wäre, eine solche »Chance« zu bekommen. Und wieder: Die Kollegin mit dem frischen Master-Abschluss wollte nicht, dass ich als Betriebsrat tätig werde. Für beide Beispiele existieren Mails, die den Wahrheitsgehalt der Aussagen bestätigen.
Eine bedenkliche Machtfülle
Der überwiegende Teil der Vorgesetzten, Betreuungspersonen und Professor*innen ist sich der Verantwortung bewusst und verhält sich korrekt. Aber die Strukturen in der Wissenschaft – auch in außeruniversitären Forschungseinrichtungen – begünstigen Machtmissbrauch. Professor*innen sind in der Regel Betreuungspersonen und gleichzeitig Quasi-Arbeitgeber, weil sie über die Verlängerung und die Konditionen von Arbeitsverträgen entscheiden.
Darüber hinaus besitzen sie wissenschaftliche Autorität und oft genug die Meinungsführerschaft in wichtigen Netzwerken. Insgesamt ergibt sich dadurch eine beträchtliche Machtfülle. Auf der anderen Seite stehen die Promovierenden und Postdocs: Sie sind fast ausschließlich prekär befristet beschäftigt und in vielfacher Weise abhängig von ihren Betreuungspersonen und Professor*innen.
Spätestens seit 2018 ist Machtmissbrauch auch in außeruniversitären Forschungseinrichtungen ein Thema. Wissenschaftler*innen an einem Max-Planck-Institut in Sachsen berichteten damals von einem Klima der Angst. Treffend beschreibt Kristin Haug das grundsätzliche Problem in Spiegel Panorama vom 14.08.2018: »Sie [die Professor*innen] bestimmen über Verträge und Arbeitszeiten, haben das letzte Wort bei Publikationen. Sie bewerten die Abschlussarbeiten und verfassen Empfehlungsschreiben. Kurzum: Sie halten die Zukunft ihrer Doktoranden und Postdocs in den Händen.«
Sicherlich auch ausgelöst durch die mediale Aufmerksamkeit, beschloss das Präsidium der Max-Planck-Gesellschaft, eine Max-Planck-weite Umfrage zur Arbeits- und Führungskultur in Auftrag zu geben. Die Ergebnisse bestätigen, dass es sich bei dem skandalisierten Vorfall in Sachsen keineswegs um einen Einzelfall handelt.
Seither ist einiges geschehen. Institutsleitungen konstatieren Null-Toleranz bei jeglicher Form von Machtmissbrauch, Diskriminierung, Mobbing und insbesondere sexueller Belästigung. Betriebsräte und Geschäftsführungen haben Betriebsvereinbarungen zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit abgeschlossen, in denen Verfahren zum Umgang mit und zur Sanktionierung von Mobbing, Machtmissbrauch und Diskriminierung festgelegt sind. Es wurden unabhängige Beschwerdestellen eingerichtet, an die sich Betroffene wenden können, teilweise anonym. An den Universitäten sind mittlerweile grundsätzliche Änderungen der Organisation von Forschung in der Diskussion – weg von Lehrstühlen hin zu Department-Strukturen. Und Initiativen und Umfragen von Promovierendenvertretungen tragen zur Sensibilisierung für das Thema bei.
Vermeintliche »Nestbeschmutzer*innen« im Visier
Dennoch: Nach wie vor haben Doktorand*innen und Postdocs Sorge, dass sie sich ihre Karrierechancen verbauen könnten, wenn sie sich beschweren oder Anschuldigungen erheben. Hinzu kommt, dass sich gerade in kleineren Fachgruppen die Wissenschaftler*innen untereinander kennen und sich schnell herumspricht, wer einen Professor oder eine Professorin »verpfiffen« hat. In solchen Fällen gilt eine*r dann schnell als »Nestbeschmutzer*in«.
Begünstigend für Machtmissbrauch wirken zwei weitere Faktoren. Zum einen das extrem kompetitive System der Wissenschaft, in dem sich auch Professor*innen behaupten müssen. Sie werden gemessen an der Zahl ihrer Publikationen in einschlägigen Journalen und der Höhe und Qualität der eingeworbenen Drittmittel. Ohne die von ihnen abhängigen Promovierenden und Postdocs, die in der Hoffnung auf eine eigene erfolgreiche Karriere Arbeitszeiten von 50 oder 60 Wochenstunden in Kauf nehmen und Daten auswerten, Versuche durchführen oder an Anträgen (mit)schreiben, wären viele der Publikationen und Drittmittelanträge nicht möglich.
Zum anderen das in der Wissenschaft gängige Harnack-Prinzip: Im Zuge des »Rennens um die besten Köpfe« werden um exzellente Forscher*innen herum Abteilungen eingerichtet. Diese Forschenden können bis zu ihrer Emeritierung unabhängig forschen, müssen selten Rechenschaft ablegen und unterliegen so gut wie keiner Kontrolle. Sanktionen müssen sie nur bei wirklich schwerwiegenden Fällen von Machtmissbrauch befürchten.
Vertraulichkeit ist die wichtigste Währung
Zurück zu den oben beschriebenen Beispielen und der Rolle von Betriebsräten. Sicherlich ist es frustrierend, wenn wir von haarsträubenden Fällen von Machtmissbrauch und fehlender Führungskompetenz hören – insbesondere wenn diese sogar durch Mails oder Zeug*innen belegbar sind – und uns die Hände gebunden sind, weil wir kein Mandat erhalten, etwas dagegen zu tun. Diese Fesseln lassen sich auch nicht abstreifen, weil Vertrauen und Vertraulichkeit zu den wichtigsten Währungen für Betriebsräte gehören. Wir können lediglich die Betroffenen ermutigen, sich nicht alles gefallen zu lassen, und ständig unsere Unterstützung anbieten.
Die Unterstützung kann auch schon darin bestehen, dass wir ein offenes Ohr haben, eine Schulter zum Ausweinen bieten und Ratschläge zum individuellen Umgang mit erfahrener Ungerechtigkeit geben. Darüber hinaus ist aber für Betriebsräte allein die Kenntnis von Vorfällen wichtig, um den Umfang des Problems an der eigenen Einrichtung einschätzen zu können. Zusätzlich helfen diese Meldungen dabei, problematisch handelnde Professor*innen zu identifizieren: Wenn Betroffene erfahren, dass Kolleg*innen ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht haben, sind sie vielleicht doch bereit, (gemeinsam) dagegen vorzugehen – sehr gerne mit der Unterstützung durch den Betriebsrat. Deshalb der Aufruf an alle Betroffenen: Sprecht mit Euren Betriebsräten!