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bbz 03 / 2019

Schwierig, aber nicht hoffnungslos – ohne Respekt geht nichts

Ein Diskussionsbeitrag zur Elternarbeit an Grundschulen in sozialen Brennpunkten

Foto: Eckhard Stengel

Fünf erste Klassen und nur ein Kind spricht deutsch«, so titelte die B.Z. im letzten November. Die Aufregung ist groß, wird es bald Schulen ohne deutsche Kinder geben? Diese Frage ist wenig zielführend, denn ein Blick in die Pässe der Kinder zeigt, dass sie mehrheitlich deutsche Staatsbürger*innen sind. Als solche sollten sie auch angesehen werden. Die ständige Zuschreibung des Fremden verstärkt hingegen das Gefühl von Ablehnung, vertieft die gesellschaftlichen Gräben und lenkt von der eigentlichen Problematik der Brennpunktschulen ab.

Auf Augenhöhe begegnen

Viele Kinder, die in Vierteln wie der High-Deck-Siedlung in Neukölln groß werden, stammen aus Familien, in denen schulische Bildung keinen besonderen Wert hat. Oftmals weisen die Eltern bereits gescheiterte Bildungskarrieren auf und wissen nicht, wie sie die Neugier ihrer Kinder gezielt fördern können. Hinzu kommt, dass sich im Laufe der Zeit Strukturen gebildet haben, die neben denjenigen des Staates stehen und die auch eine Karriere ohne schulischen Bildungserfolg ermöglichen.

Die hierarchischen Strukturen in den Familien bieten dabei ein stabilisierendes Fundament. So entstehen Bindungen häufig, indem ein Verwandter einen Job im eigenen Betrieb anbietet. Das damit verbundene Abhängigkeitsverhältnis ist enorm. Werte wie Selbstständigkeit und reflektiertes Handeln, zentrale Bildungsaufträge der Berliner Schule, werden hier zugunsten von Loyalität und Gehorsam ersetzt.

Die Schulen in Brennpunktvierteln erfahren daher einen zunehmenden Glaubwürdigkeits- und Bedeutungsverlust von Seiten der Eltern. Für das außerschulische Leben scheint der Bildungserfolg der Schule in Form von Wissenszuwachs und persönlicher Entwicklung nur eine nachrangige Rolle zu spielen. Zwar legen einige Eltern großen Wert auf eine gymnasiale Empfehlung, die eine Form des Statussymbols darstellt. Jedoch existiert oftmals keine Vorstellung über den Zusammenhang von Kompetenzentwicklung und Zertifizierung. Eine Folge davon ist das Ausbleiben von elterlicher Beteiligung am schulischen Alltag.

Viele Brennpunktschulen versuchen die Eltern mittels Elterncafés, Seminaren und gemeinsamem Unterricht einzubinden. Gerade Letzteres ermöglicht den Eltern einen tieferen Blick in den Schulalltag ihrer Kinder und den damit verbunden Herausforderungen. Hier täte ein Erfahrungsaustausch unter den Kolleg*innen der Brennpunktschulen über eine sinnvolle Einbeziehung der Eltern in den Unterricht gut.

Grundvoraussetzung ist jedoch auch hier, Respekt und Anerkennung gegenüber den Eltern. Menschen, die von Beginn an mit der Annahme konfrontiert werden, sie seien nicht in der Lage ihre Kinder vernünftig zu erziehen, werden sich nicht weiter am schulischen Leben beteiligen wollen. Vielmehr muss die Zusammenarbeit mit den Eltern auf Augenhöhe stattfinden, das heißt, sie sind als Partner*innen im gemeinsamen Erziehungsprozess der Kinder anzusehen. Wie in jeder Partnerschaft dürfen hierbei Konflikte selbstverständlich nicht unter den Teppich gekehrt werden. Respekt meint nicht, die Positionen des Gegenübers gutzuheißen, Respekt bedeutet vielmehr, sie ernst zu nehmen.

Es wird immer Eltern geben, die sich der Zusammenarbeit verweigern. Doch diese Haltung einiger Eltern wird momentan von vielen Kolleg*innen auf die gesamte Elternschaft projiziert.

Das eigene Verhalten gegenüber den Eltern wird hingegen seltener reflektiert. Oftmals wird das Fernbleiben vieler Eltern nämlich zunächst toleriert. So wird eine mangelnde Beteiligung an Elternabenden zwar mit Unmut zu Kenntnis genommen, doch selten werden daraus Konsequenzen gezogen. Erst bei größeren Konflikten mit Schüler*innen werden die Eltern einbestellt, mit der Aufforderung zu Hause erzieherisch tätig zu werden. Diese Form der Kommunikation lässt sich nur schwer als eine Form einer gleichberechtigten Zusammenarbeit betrachten.

Die Eltern erhalten häufig kaum gestalterische Einflussmöglichkeit in Bezug auf die Beteiligung an Klassenaktivitäten, es sei denn, sie fordern diese aktiv ein. Doch eigenständiges Engagement ist bildungsfernen Schichten eher fremd. Es geht nicht darum Eltern zu erziehen oder gar eine Elternschule einzurichten. Dennoch sollte sich jede Lehrkraft fragen, welche Angebote und wieviel Raum sie den Eltern eigentlich zur Verfügung stellt. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Eltern erfordert Geduld und Zeit. Letzteres muss durch eine Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung unterstützt werden. Denn bereits jetzt sind die Lehrkräfte an den Brennpunktschulen bis an ihre Grenzen belastet. Daran ändert auch eine monatliche Gehaltsaufstockung von 300 Euro nichts.

Des Weiteren ist eine Mischung der Schüler*innenschaft notwendig. Kinder mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen müssen sich in der Schule begegnen und miteinander lernen. Zu Recht wird der kleine Wissens- und Erfahrungshorizont vieler Kinder dieser Viertel kritisiert, doch welche Vorstellungskraft ist zu erwarten, wenn keine Durchmischung erfolgt.

Eine Kiezschule für Alle

Aus gesellschaftspolitischen Gründen ist es geradezu fahrlässig, Kinder mit erheblichem Nachholbedarf in Bezug auf Sprache und Verhalten zu segregieren. In diesen Brennpunktschulen ist häufig nur noch das pädagogische Personal Sprachvorbild. Wichtige Motivationen bezüglich des Spracherwerbs und des Lernverhaltens könnten hier Kinder aus bildungsnahen Familien einbringen. Auch in der Köllnischen Heide leben mitnichten ausschließlich Familien, die auf Hilfen angewiesen sind. Doch viele der bildungsorientierten Eltern, und zwar unabhängig von ihrem sozialen und kulturellen Bezug, schicken ihre Kinder in die besser beleumundeten Schulen des Nachbarbezirks. So wandern jeden Morgen eine Reihe von Kindern an der Schule in der Köllnischen Heide vorbei, um eine Grundschule im Nachbarbezirk zu besuchen. Bereits im Kindergarten wenige Meter jenseits der Bezirksgrenze, werden Beratungen angeboten, wie die Regelung zum Schuleinzugsgebiet umgangen werden kann.

Es ist nachvollziehbar, dass Eltern für die bestmögliche Bildung ihrer Kinder sorgen möchten. Schule kann aber nicht nur individuellen Interessen Einzelner Rechnung tragen, sondern muss als staatliche Einrichtung für den Zusammenhalt in der Gesellschaft einstehen. Sie ist demnach ein Ort der Begegnung, in dem gemeinsam gelernt und gearbeitet wird. In der Schule müssen sich die Kiez-Bewohner*innen treffen.