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EXTRA: Schwule Lehrer in der GEW

»Sei wie du bist«

Es gab eine Zeit, in der Lehrer, die sich an der Schule geoutet haben, entlassen wurden. Detlef Mücke hätte dieses Schicksal auch treffen können. Aber anstatt unauffällig zu sein, hat er sich gestellt und gewonnen.

Foto: GEW BERLIN

Wusstest du schon, dass du schwul bist, als du anfingst zu unterrichten? Und wenn ja, wie war es für dich zu wissen, dass du deswegen gekündigt werden kannst?
Mücke: Ich bin nach Berlin gekommen, weil ich wusste, dass ich schwul bin. Ich wollte den Schutz der Großstadt. Ich hatte Angst vor Diskriminierung am Arbeitsplatz, denn während meines Referendariats galt noch das Berufsverbot für schwule Lehrer. Ich habe 1973 erlebt, wie ein Kollege aufgrund seiner Homosexualität entlassen werden sollte. Dagegen organisierte ich mit der studentischen Pädagogengruppe der Homosexuellen Aktion Westberlin ein Berufsverbote-Komitee sowie Demonstrationen von Eltern und Schüler*innen für den Kollegen. Durch unser Engagement ermutigten wir den Kollegen, den Rechtsschutz der GEW BERLIN zu beantragen. Dies tat er und gewann. Er wurde nicht entlassen. In einem Gespräch mit der Senatsverwaltung 1979 erwirkten wir als neu gegründete AG Homosexuelle Lehrer, dass das Bekanntwerden der Homosexualität eines Lehrers kein Anlass für dienstrechtliches Vorgehen mehr ist. Damit waren Berufsverbote für schwule Lehrer quasi abgeschafft.

Du hast schon in den 1970ern unterrichtet. Konntest du in deinem Unterricht über das Thema Sexualerziehung reden?
Mücke: Ja! Ich habe nach meinem Coming-out an der Schule Schülerinnen und Schüler stets ermutigt, Fragen, die sie haben, auch zu stellen. Dabei wollten sie mich nie ausfragen, sondern mehr über sich selbst und ihre eigene Situation erfahren. Es war mir stets wichtig, dass in der Klasse ein Klima herrschte, in dem auch solche persönlichen und sensiblen Themen besprochen werden konnten, ohne, dass sich Schülerinnen und Schüler gegenseitig diskriminierten.

In den 70er Jahren hatten Lehrkräfte noch offiziell zu vermitteln, dass Homosexuelle Triebverbrecher seien, vor denen Kinder geschützt werden müssten. Unterrichtsmaterial war der Film »Christian und sein Briefmarkenfreund«, der Homosexualität, Pädophilie und sexuelle Gewalt auf eine Stufe stellte. 
Mücke: In den Rahmenplänen für Biologie wurde Homosexualität unter dem Stichwort »Besondere Formen geschlechtlichen Verhaltens« in einem Atemzug genannt mit Exhibitionismus, Päderastie und Sodomie. 1979 änderte die Senatsverwaltung für Schule aufgrund eines Schriftwechsels zwischen der AG Schwule Lehrer in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der GEW BERLIN die Rahmenlehrpläne und hob das Thema Homosexualität ohne bewertende Kommentare als eigenständigen Punkt heraus. Damit war das Thema in den Rahmenlehrplänen nicht mehr eindeutig negativ besetzt.

Heute gehören Sexualerziehung und Akzeptanz von Vielfalt zu den fächerübergreifenden Themen des Rahmenlehrplans. Wie erlebst du Schüler*innen heute? Anders als noch in den 80er/90er Jahren?
Mücke: Noch immer führe ich Schulklassen durch das Schwule Museum. Dabei treffe ich heute auf eine Generation, die einen unverkrampfteren Umgang mit Sexualität mit sich bringt. Im Rahmen der emanzipatorischen Sexualerziehung Ende der 80er Jahre galt es, das Sprechen über Sexualität zu enttabuisieren und Fragen von Schülerinnen und Schülern zu beantworten. Wo früher Dr. Sommer bei BRAVO »alle« Fragen rund um das Thema Sexualität beantwortet hat, bietet das Internet heute eine weit größere Bandbreite an Informationen und vor allem Austausch. Diese Informationen bringen auch Fragen mit sich, die die Jugendlichen heute stellen. Das war früher nicht so.

Wann hast du zum ersten Mal Berührung mit dem Thema HIV/AIDS in der Schule gehabt? Wurdest du von Schüler*innen darauf hin angesprochen? Und wurde im Kollegium darüber gesprochen?
Mücke: Im Unterricht und in der Schule wurde es nicht thematisiert. Als AG Schwule Lehrer haben wir das Thema aufgegriffen und in Veranstaltungen versucht, durch sachliche Aufklärung einer Hysterie entgegen zu wirken. CDU-Schulsenatorin Hanna Renate Laurien hat Ende der 80er Jahre Kondome in Schulen verteilt, zwar keusch in einem Briefumschlag verhüllt, aber immerhin. Das Thema konnte also auch nicht von der damaligen CDU unter den Tisch gekehrt werden.

Auf Grundlage des §175 wurden jahrzehntelang homosexuelle Männer verfolgt. Denkst du, dass die Rehabilitierung der Verfolgten durch den Gesetzgeber nun erreicht wurde?
Mücke: Ja. Viele dieser Männer sind aber so traumatisiert, dass sie sich nicht trauen, einen Antrag auf Rehabilitierung zu stellen. Der Sohn eines Schulleiters wurde in den 60er Jahren angeklagt und hat vier Wochen Jugendarrest in einer Jugendanstalt bekommen. Mit 18 Jahren brach er mit seiner Vergangenheit und ist nach Berlin gezogen, um sich ein Leben ohne Stigmatisierung aufbauen zu können. Die Rehabilitierung kommt viel zu spät und hat eigentlich nur noch symbolischen Wert. Es gibt nur noch wenige Schwule, die sie geltend machen können.

Wann hast du das erste Mal versucht zu gendern? Und was war der Anlass?
Mücke: Ich habe in den 70er Jahren »Die Töchter Egalias« gelesen, in denen die Anekdote vorkam, an einer Grundschule sollte es doch nur ein Lehrerinnenzimmer geben, weil sich darin gar keine Männer befinden. Seitdem habe ich immer zumindest Schülerinnen und Schüler gesagt, also binär gegendert. Ich bewundere die jungen Menschen dafür, dass sie eine Sprache finden, die nicht nur Papa, Mama Hans und Dora kennt, sondern alle Personen ansprechen möchte.

Was würdest du mir als angehendem schwulen Lehrer empfehlen? Wie soll ich in der Schule auftreten? Wie soll ich mich in diskriminierenden Situationen verhalten?
Mücke: Sei wie du bist! Die Schülerinnen und Schüler haben ein brillantes Gespür, ob du authentisch auftrittst oder ihnen etwas vorspielst. Jugendliche wollen wissen, welcher Mensch hinter dir als Lehrkraft steckt. Lehrkräfte sollten selbstbewusst zu sich stehen und ehrlich mit den Schülerinnen und Schülern umgehen. Diskriminierungen im Unterricht dürfen nicht überhört werden und Lehrkräfte müssen jederzeit ihren Standpunkt klarmachen, dass solches Verhalten falsch ist.

Wenn wir als Gruppe sagen, »wir feiern 40 Jahre die AG Schwule Lehrer«, dann bist es eigentlich nur du, der das von sich behaupten kann. Wie konntest du so lange durchhalten und wieso hältst du es noch immer für wichtig, dafür deine Freizeit zu »opfern« ?
Mücke: Das ist eine gute Frage! Ich hätte vor 40 Jahren nicht gedacht, dass wir heute so weit sind, wie wir es jetzt sind. Ich habe so viele Menschen kennen gelernt, mit denen ich noch immer gern zusammenarbeite. Dabei lerne ich täglich Neues dazu. Um ehrlich zu sein, schmeichelt es mir auch, wenn ich anderen Unterstützung anbieten kann und sehe, wie diese dann ihren eigenen Weg gehen. Eine große Motivation sind aber auch die Gegenkräfte der Pädagogik der Vielfalt. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.

Wo werden wir in zehn Jahren sein, wenn »wir« 50 Jahre AG Schwule Lehrer feiern? Wird es uns dann überhaupt noch geben?
Mücke: Ich befürchte, dass es notwendig bleibt, dass es uns dann noch geben muss. [lacht] Aber auch bis dann werden wir unsere lustbetonte Gewerkschaftsarbeit und unsere uns eigene Penetranz bewahren und uns für eine Pädagogik der Vielfalt einsetzen.    
 

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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