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Schwerpunkt "Rechte Strategien"

Sie meinen uns

Was der Rechtsruck für Menschen mit Rassismuserfahrung bedeutet.

Foto: Jacob Hehlke

Die Art und Weise, wie gesellschaftliche Ereignisse und Diskurse öffentlich behandelt werden, beeinflusst unser Leben maßgeblich, sei es im Umgang miteinander oder in Bezug darauf, wie wir über Menschen und Situationen denken.

Im Kontext rechter Strategien werden gesellschaftliche Diskurse als Instrumente zur Polarisierung und zur gezielten Ansprache bestimmter Menschen und Menschengruppen genutzt. Dabei werden insbesondere Personen, die als »anders« markiert werden, wie etwa queere und/oder rassismuserfahrene Menschen, angeprangert. Oder es wird sehr vereinfacht darüber nachgedacht, Menschen, die vermeintlich nichts zur Gesellschaft beitragen, Privilegien oder sogar Grundrechte zu entziehen. Solche Pauschalisierungen sind hochriskant und demokratiegefährdend.

Ein Beispiel ist der Remigrationsskandal. Im Januar 2024 deckte das unabhängige Recherchenetzwerk Correctiv ein vertrauliches Treffen auf, an dem Menschen aus der Politik, aber auch Unternehmer*innen und Neonazis teilnahmen. Bei diesem Treffen wurden rassistische Pläne diskutiert, die darauf abzielten, Millionen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund aus Deutschland zu vertreiben.

Nach der Aufdeckung dieser Pläne erreichten unsere Anlauf- und Fachstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen und Kitas in Friedrichshain-­Kreuzberg viele Anfragen von Schüler*innen, Eltern und Bezugspersonen sowie Fachkräften. Rassismus- und diskriminierungserfahrene Menschen äußerten bei Beratungsgesprächen oder in Austauschrunden: »Sie meinen mich, oder?« und stellten im weiteren Verlauf des Gesprächs fest: »Sie meinen uns!«.

Neuzugewanderte Menschen, die bereits seit vielen Generationen hier leben sowie solche, die hier geboren und aufgewachsen sind, fragten: »Was kommt jetzt auf uns zu?« »Was sollen wir tun, damit uns nichts passiert?« »Was dürfen wir sagen?«

Manche dachten laut darüber nach, ob sie andere Länder aussuchen sollten, um auszuwandern oder ob sie besser nur noch Deutsch sprechen sollten.

 

Rechte und diskriminierende Gewalt verunsichert uns alle

 

Gewalt und Diskriminierung können in verschiedenen Formen auftreten, einschließlich verbaler Gewalt im gesellschaftlichen Diskurs. Sie tritt besonders kurz vor Wahlen auf, wenn mittels populistischer Wahlkampfthemen Minderheiten und marginalisierte Gruppen diskreditiert werden. Diese Formen der Gewalt basieren auf diskriminierenden und auf rechten Einstellungen.

Das aktuelle politische Klima beeinflusst uns alle stark, sowohl emotional als auch existenziell. Viele Diskriminierungserfahrene äußern Ängste bezüglich ihrer persönlichen Zukunft und Sicherheit, der Bedingungen in Bildungseinrichtungen oder am Arbeitsplatz.

Generell erreichen unsere Anlauf- und Fachstelle für Diskriminierungsschutz viele Beratungs- und Fortbildungsanfragen von Menschen, die Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung erfahren haben, insbesondere direkt nach brisanten gesellschaftlichen Ereignissen. So hatten wir ein erhöhtes Anfrageaufkommen nach den Terroranschlägen in Halle und Hanau, nach dem Kriegsbeginn in der Ukraine, nach dem 7. Oktober, nach pauschalen Verboten in Schulen im Zusammenhang mit dem Nahost-­Konflikt sowie nach den bereits erwähnten Remigrationsplänen.

Dabei stellen wir fest, dass Diskriminierungserfahrene hinsichtlich ihrer Zukunft in Deutschland verunsichert und teilweise sehr vorsichtig bis ängstlich geworden sind, ihre Meinungen oder ihre Anliegen konkret zu äußern.

 

Junge Menschen sind mit ihren Anliegen allein

 

Für diskriminierungserfahrene junge Menschen im Bildungssystem und außerhalb davon ist das verheerend. Denn sie erleben dadurch, dass sie vorsichtig sein müssen, wenn sie Meinungen oder Fragen haben, die nicht in den Diskurs oder zu den vermeintlich richtigen Definitionen und Werten passen. Das behindert Demokratiebildung und erschwert die Möglichkeit, über komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge oder eine diskriminierungskritische Haltung zu reflektieren und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Leider berichten junge Menschen oft, dass sie in diesem Zusammenhang Bloßstellungen oder Bestrafungen ausgesetzt sind, selbst wenn sie eine für sie genuine Frage stellen. Die wird häufig als Provokation gewertet und missbilligt. Das hemmt das Erlernen eines Verständnisses für politische Themen und Interessen sowie die Fähigkeit, die politische Lage mit ihren Kontroversen zu erfassen, zu diskutieren und in einen respektvollen Dialog zu treten. Junge Menschen erleben, dass sie mit ihren Unsicherheiten, Anliegen, Interessen und Fragen nicht ernst genommen werden.

Das betrifft nicht zuletzt auch Fachkräfte, die eine große Verantwortung haben, Kinder und Jugendliche zu begleiten. Wir erhalten immer mehr Rückmeldungen und Berichte, die darauf hinweisen, dass eine starke Verunsicherung in Bildungseinrichtungen besteht. Wir beobachten und es wird berichtet, dass es Informationsdefizite bezüglich historischer und gesellschaftlicher Themen gibt, die wiederum diese Unsicherheiten verstärken. Es braucht dringend eine Professionalisierung von Fachkräften hinsichtlich diskriminierungskritischer Praxis sowie im Umgang mit Unsicherheiten, Ambiguitäten und gesellschaftlich relevanten und kontroversen Themen. Viele Fachkräfte argumentieren bei vielschichtigen sozialen Themen pseudowissenschaftlich oder oberflächlich, ohne Bereitschaft zum Dialog.

 

Ressourcen und Zeit für diskriminierungskritische Reflexion gesucht

 

Das erschwert es Schüler*innen, ihren Familien und auch den Fachkräften selbst, tiefgreifende Themen zu besprechen oder in einen konstruktiven Dialog zu treten, ganz abgesehen davon, emotionale Belastungen aufzufangen. Junge Menschen erleben, dass sie vorsichtig sein müssen, wenn sie abweichende Meinungen äußern. Eine Reflexion über verflochtene gesellschaftspolitische Wechselwirkungen und demokratische Auseinandersetzungen wird dadurch eingeschränkt. In der Begleitung und Beratung von Bildungseinrichtungen erfahren wir, dass Fachkräfte gleichzeitig unter Druck stehen, ohne angemessene Unterstützung eine angemessene Haltung zu finden. Eine solche Haltung wird oft weder im Kollegium noch im Team gemeinsam reflektiert, sei es aufgrund fehlender klarer Leitlinien der Schulleitung oder aufgrund von Personalmangel. Es stehen kaum Ressourcen und Zeit für gemeinsames Lernen, geschweige denn für eine diskriminierungskritische Reflexion oder kollegiale Beratung zur Verfügung. In Zeiten vielfältiger Krisen benötigen wir jedoch insgesamt mehr Ressourcen, sowohl emotional als auch finanziell, um eine angemessene pädagogische Begleitung zu gewährleisten.

Als Antidiskriminierungsbeauftragte und auch als Einzelperson sind für mich Menschen- und Grundrechte sowie eine demokratiefördernde Zielsetzung die Grundlagen meines Handelns. Das bedeutet: Wir müssen uns weiterhin dem Thema widmen und aktiv werden. Unsere Demokratie braucht eine kritische Auseinandersetzung mit Diskriminierung.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46