Schule
Solidarität allein reicht nicht
Seit Dezember 2016 begegnen sich in dem Projekt »ViDem: Vielfalt zusammen leben – Miteinander Demokratie lernen« geflüchtete und deutsche Lehrkräfte und tauschen sich über Pädagogik, Demokratie und die steinigen Wege in das Berufsleben aus.
In Schweden, das im Vergleich ähnlich viele Geflüchtete aufgenommen hat wie Deutschland, werden geflüchtete Lehrkräfte staatlich dabei unterstützt, ihren Beruf wieder aufnehmen zu können. Viele von ihnen bieten Förderklassen auf Arabisch an, können im Schnellbeurteilungsverfahren ihre Kompetenzen und Qualifikationen direkt am Arbeitsplatz darlegen und werden durch Vorbereitungslehrgänge an den Universitäten unterstützt, innerhalb eines halben Jahres in der schwedischen Schule anzukommen.
Die Universitäten Potsdam und Göttingen haben ähnliche Programme auf den Weg gebracht. Die GEW Hamburg, die GEW BERLIN und die GEW Sachsen haben die Buddy-Programme ins Leben gerufen, um geflüchtete Kolleg*innen zu unterstützen und mit dem deutschen Schulsystem vertraut zu machen. Leider bietet aber keine der Initiativen einen direkten Weg in den Lehrer*innenberuf. Bei ViDem können die Teilnehmer*innen das tun, was im Schullalltag derzeit nicht geht: gemeinsam arbeiten und Demokratie leben.
Kochen kann ein Anfang sein
Das erste Modul des Qualifizierungsprogramms führte ViDem in den Räumen der Uni Göttingen durch. Die Tagung wurde von dem Projektleiter Wolfgang Beutel eröffnet. Darauf folgte ein Vortrag von Hermann Veith über das deutsche Schulsystem. Zum Abendbrot teilten wir uns auf, um in Kleingruppen gemeinsam einzukaufen und zu kochen. Im Supermarkt verstand ich, dass gemeinsam Essen zuzubereiten durchaus als demokratischer Prozess bezeichnet werden kann. Es muss ausgehandelt werden, wer was im Supermarkt besorgt. Später muss sich geeinigt werden, wer was schnippelt, rührt oder püriert. Und vor allem: Kochen macht Spaß und Menschen lernen sich kennen. Zum besseren Kennenlernen gab es am nächsten Morgen theaterpädagogische Bewegungsspiele.
Da ViDem sich noch in der Entwicklung befindet und in enger Diskussion mit der Kultusministerkonferenz steht, um als Qualifizierungsmaßnahme gewürdigt und zertifiziert zu werden, sind die Verantwortlichen auf Feedback und Unterstützung angewiesen. Daher gab es eine Diskussion über Bedürfnisse und den weiteren Verlauf des Projekts.
Zum zweiten Modul reiste ich früher an, um Abdulkadir Ulumaskan zu besuchen, der in Bielefeld Vorsitzender des kurdischen Elternvereins ist, um mehr über Mehrsprachigkeit und herkunftssprachlichen Unterricht zu erfahren. Anschließend fuhren wir zusammen zu ViDem nach Marl. Der theoretische Teil des Moduls bestand aus zwei Vorträgen, sowie anschließenden Diskussionsrunden. Der erste Vortrag von Michaela Weiß führte in die Grundlagen der Demokratiepädagogik ein und beleuchtete die Zusammenhänge und Unterschiede zwischen politischer Bildung und Demokratiepädagogik. Im anschließenden Vortrag von Michael Ridder ging es darum, den Deutschen Schulpreis und die Deutsche Schulakademie vorzustellen und aufzuzeigen, welche Bedeutung diese für eine demokratische Schule haben können. Wir fanden, dass Demokratie nicht gelernt, sondern nur erlebt werden kann und wir wussten, mit Hinblick auf die Erfahrungen der geflüchteten Kolleg*innen, dass Demokratie auch verteidigt werden muss.
Am zweiten Tag folgte der praktische Teil. Wir besuchten die Matthias-Claudius-Gesamtschule in Bochum, wo bereits geflüchtete Lehrkräfte arbeiten. Ihre Arbeit wird zwar gewürdigt, aber nicht angemessen bezahlt. Das Problem der geflüchteten Kolleg*innen wurde deutlich: In den meisten Herkunftsländern beinhaltet die Lehramtsausbildung nur ein Schulfach, was in Deutschland zu Anerkennungsproblemen führt.
Mit vielen Ideen ging es weiter nach Münster, wo wir die Gedenkstätte »Villa ten Hompel« besuchten. Die Villa erinnert an Verbrechen der Polizei und der Verwaltung Münsters im Nationalsozialismus. Sie ist auch Trägerin des Projekts »Willkommenskultur in Gedenkstätten«. Dort lernten wir, dass Gedenkstätten für Menschen mit Fluchthintergrund auch viele Jahre später noch triggern können.
Einen Ausweg aus der Ein-Fach-Misere finden
Bevor das nächste Modul stattfand, kam Abdulkadir mit weiteren Kolleg*innen nach Berlin, um in einer Weddinger Kita, der ersten Kurdisch-Deutschen Kita Deutschlands, über Mehrsprachigkeit zu sprechen. Dort vernetzten wir uns, verfassten gemeinsam Artikel für die GEW-Zeitungen und es wurde vereinbart, dass der Kurdische Elternverein mit vielen anderen Initiativen im Februar einen Fachtag zum Thema Mehrsprachigkeit durchführen wird. Beim nächsten ViDem-Treffen in Bremen wurde uns die Lehrkräfteausbildung durch Adrienne Körner vorgestellt und Arila Feuerich stellte uns Projektwettbewerbe, insbesondere »Demokratisch Handeln« vor. Wir beschäftigten uns mit der Rolle und der Chance politischer Projektarbeit im Unterricht und stellten unsere Projekte der letzten Jahre vor. Gleichzeitig diente dieser Baustein der Vorbereitung des nächsten Moduls in Kassel.
ViDem hat vor, sich mit weiteren Initiativen zu vernetzen, um endlich einen Ausweg aus der Ein-Fach-Misere unserer Kolleg*innen zu finden. Gemeinsam müssen wir die Kultusministerkonferenz und alle anderen Zuständigen auffordern, unsere geflüchteten Kolleg*innen zu unterstützen, ohne große Hemmnisse da anknüpfen zu können, wo sie aufgehört haben: Gleichberechtigt in der Schule.
ViDem ist ein Projekt des Fördervereins Demokratisch Handeln, das September 2016 gestartet wurde und durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert wird. Es ist ein Trainingsprogramm, bei dem demokratiepädagogisch geschulte Lehrkräfte zusammen mit geflüchteten Pädagog*innen arbeiten. Ziel ist es, Grundlagen für eine demokratiepädagogische Praxis des Lehrens und Lernens an Schulen zu etablieren.