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Über Diskriminierung sprechen

SOS – Diskriminierung

Die Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) berät und begleitet seit vier Jahren Betroffene und Ratsuchende zu Diskriminierungsfällen in Berliner Schulen. Das ist wichtig, denn manche Betroffene haben bereits einen langen Leidensweg hinter sich.

Foto: GEW BERLIN

Die Stimme der Mutter am Telefon ist aufgebracht: »Mein Sohn soll im Deutschunterricht eine Lektüre lesen, in der das N-Wort vorkommt. Stellen Sie sich das vor!« Die Beraterin fragt nach: Wie alt ist das Kind? Welche Klasse besucht es? Wurde bereits mit dem Lesen der Lektüre begonnen oder ist dies erst einmal ein Vorschlag? Wie geht es dem Sohn in der Situation? Hat die Mutter bereits etwas unternommen? Und was wünschen sich beide? Im Laufe des Gesprächs wird die Stimme der Mutter ruhiger. Gemeinsam mit der Beraterin besprechen sie, welche Schritte möglich wären und ob die Mutter sich Unterstützung in der Schule wünscht oder lieber selbst agieren möchte. Zum Ende des Gesprächs sagt sie: »Wissen Sie, ich habe so viel Energie darauf verwendet, meinem Sohn beizubringen, dass er als Schwarzer Mensch genau die gleichen Rechte hat wie alle anderen. Dass er genauso wertvoll ist und genauso viel Respekt verdient. Und jetzt passiert so etwas ausgerechnet in der Schule. In einem Raum, in dem Kinder eigentlich besonderen Schutz erhalten müssten!«

Ähnliche Anrufe erhalten wir bei ADAS mehrmals in der Woche. Meist sind es die Eltern, die sich melden, aber auch zunehmend mehr Lehrkräfte, Schulleitungen, Schulsozialarbeiter*innen und Schüler*innen selbst. Stets geht es um Diskriminierungen, die Menschen an Berliner Schulen beobachten oder selbst erlebt haben. ADAS erreichen am häufigsten Anfragen zu rassistischer Diskriminierung beziehungsweise den Merkmalen ethnische Herkunft und Religion, hier spielt antimuslimischer Rassismus mit über 80 Prozent eine große Rolle. Bei den Fällen, die uns gemeldet werden, gehen die Diskriminierungen zu zwei Dritteln vom Schulpersonal aus.

Gehört werden, Empowerment, guter Rat und Begleitung

In den persönlichen oder telefonischen Beratungsgesprächen ist es vielen Ratsuchenden wichtig, erst einmal gehört zu werden. Sie möchten mit ihrem Anliegen ernstgenommen werden und sich verstanden fühlen. Auch muss es einen geschützten Raum für negative Gefühle wie Wut, Frustration oder Ohnmacht geben, welche häufig durch eine Ungleichbehandlung, wie zum Beispiel eine schlechtere Benotung, entstehen. Im Anschluss schauen Ratsuchende und die Beraterin gemeinsam etwas genauer hin und sortieren die Fakten und Geschehnisse: Was ist genau passiert? In welcher Abfolge? In welchem Punkt liegt konkret die Diskriminierung vor? Gibt es Zeug*innen oder Beweise? Hierbei fragen wir nach, welche Schritte von den Ratsuchenden bereits unternommen wurden und evaluieren, inwieweit diese erfolgreich waren oder auch nicht und was die möglichen Gründe dafür sind.

Manche Eltern haben schon eine »Leidensgeschichte« von mehreren Jahren hinter sich. Sie berichten häufig, dass sich die Kommunikation mit der Schule sehr schwierig gestaltet, Konflikte eskalieren und ein echter Austausch manchmal gar nicht mehr möglich ist. Gerade in solchen Fällen ist es wichtig, wenn unabhängige Stellen wie ADAS, als Gesprächspartnerin dazukommen, um dabei zu unterstützen, festgefahrene Gesprächsmuster zwischen den Parteien aufzubrechen, zu deeskalieren, diskriminierungsrelevante Faktoren besprechbar zu machen und hierdurch eine gute Lösung zu finden. Die Ratsuchenden wünschen sich von ADAS auch meist eine Einordnung ihres Falls: Wie sind die rechtlichen Grundlagen? Wie können sie agieren? Was für Schritte wären sinnvoll und erfolgversprechend? Gab es bei ADAS bereits ähnliche Fälle und wie sind die ausgegangen? Auch die meisten Lehrkräfte oder Schulsozialarbeiter*innen, die uns kontaktieren, wünschen sich eine Einordnung der Geschehnisse an ihrer Schule. Sie haben Fragen, wie: Im Klassenchat meiner 7. Klasse wurden frauenverachtende oder rassistische Inhalte gepostet. Sollte ich da reagieren? Eine Kollegin macht häufig abschätzige Kommentare über »die Araber«. Wie kann ich am besten agieren? Ich bin als Referendarin in einer Schule, habe selbst einen Migrationshintergrund und meine Kompetenz wird von einigen Kolleg*innen immer wieder in Frage gestellt. Was kann ich da tun?

Für die Ratsuchenden, die selbst oder deren Kinder von Diskriminierung betroffen sind, stellt sich dann auch die Frage, ob sie aktiv werden möchten. Häufig sind sie sehr zögerlich und es herrscht große Angst, Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Natürlich sorgen sich Eltern hier besonders um das Wohl ihrer Kinder, denn diese müssen schließlich jeden Tag zur Schule gehen.

ADAS begleitet Familien auch zu anstehenden Schulgesprächen zum Beispiel mit der Klassen- oder Schulleitung. Wir nehmen auf Wunsch an Klassenkonferenzen teil. Auch kontaktieren wir, falls nötig, das Schulpsychologische Beratungszentrum oder die Schulaufsicht.

Die Ratsuchenden empfinden es als große Unterstützung nicht »allein« in die Schule zu müssen. Besonders bei Konferenzen fühlen sich Eltern manchmal »an den Pranger gestellt« und können ihre Sichtweise in der Kürze der Zeit nicht immer darstellen. ADAS unterstützt dann mit der fachlichen Perspektive und Einschätzung des Einzelfalls aus Sicht der schulbezogenen Diskriminierungs- und Rassismusforschung und des Antidiskriminierungsrechts. Die fachliche Thematisierung unterstützt schulische Akteur*innen dabei, Diskriminierungsgehalte in den Konflikten lösungsorientiert anzusprechen. So stellt ADAS beispielsweise regelmäßig dar, dass eine Ungleichbehandlung auch dann als Diskriminierung zu behandeln ist, wenn die Lehrkraft es vielleicht »nicht so gemeint« hat, da nicht die Absicht, sondern der benachteiligende Effekt zählt. Wurde zum Beispiel einem Kind aus einem sozial schwachen Elternhaus die Sekundarschule, einem anderen Kind mit Akademiker*innen als Eltern bei gleichen Noten das Gymnasium empfohlen, so ist das diskriminierend, auch, wenn die empfehlende Lehrkraft es vielleicht sogar »extra gut gemeint« hat.

Merkmale diskriminierungssensibler Schulen

Da wir aber in Schulen in ganz Berlin tätig sind, haben wir beobachtet, dass Schulen, die Haltung und eine offene Gesprächskultur zeigen und ein professionelles Beschwerdemanagement haben, besonders gut mit Diskriminierungsvorfällen umgehen. Klare Haltung zeigen heißt, die Schulleitung, aber auch die einzelnen Lehrkräfte haben sich mit dem Thema beschäftigt, sind sensibilisiert und kommunizieren, dass Diskriminierung an ihrer Schule aufgeklärt wird und Konsequenzen hat. An diesen Schulen können Lehrende und Schulpersonal, aber auch die Schüler*innen und Eltern Kritik sowie unbequeme Themen ansprechen, ohne negative Folgen zu fürchten. Ergebnisse werden umgesetzt und auch langfristig verfolgt. Zudem gibt es dort transparente und klar kommunizierte Beschwerdewege und Ansprechpartner*innen. Diese sind zum Thema Diskriminierung sensibilisiert. Sie reden die Erlebnisse der Betroffenen nicht klein und sagen Dinge wie »das war bestimmt nicht so gemeint«, »das war bestimmt ein Missverständnis« oder »du hast bestimmt auch deinen Teil zum Konflikt beigetragen«, sondern nehmen sie ernst und agieren professionell. Sie schützen die Betroffenen vor einer möglichen Retraumatisierung, indem sie ihre Erlebnisse immer wieder erzählen müssen und koordinieren einen Viktimisierungsschutz, also Schutz davor, dass die Betroffenen gerade weil sie sich beschwert haben, zusätzliche Nachteile haben.

Auch wenn es wohl niemals eine Schule ganz ohne Rassismus und Diskriminierung geben wird, so setzen wir uns von ADAS weiterhin dafür ein, dass diese Themen besprechbar gemacht und verfolgt werden.       

Die Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) berät Menschen, die Diskriminierung an Berliner Schulen beobachtet oder selbst erlebt haben. Betroffene können Vorfälle auch einfach online anonym melden. ADAS veröffentlicht die Fallzahlen regelmäßig und macht so auf den Handlungsbedarf aufmerksam: adas-berlin.de/ vorfall-melden

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46