Zum Inhalt springen

Internationales

Sprachhierarchien abbauen

Was wir von unserer Schwestergewerkschaft Yekîtiya Mamosteyên aus Nord- und Ostsyrien über die Förderung von Mehrsprachigkeit in der Schule lernen können.

Foto: privat

Im Gegensatz zu international anerkannten Sprachen wie zum Beispiel Englisch oder Spanisch wird in Berlin Erstsprachenunterricht für Minderheitensprachen wie Arabisch, Kurdisch sowie Türkisch weiterhin kaum als Regelunterricht und zeugnisrelevantes Fach angeboten. Dieser Befund deutet darauf hin, dass es im Berliner Bildungssystem eine Hierarchie der Sprachen gibt. Wir befinden uns in Deutschland immer noch in Debatten über die Bedeutung der Herkunftssprachen für die Identität und den Bildungserfolg von Kindern mit nicht- deutscher Herkunftssprache. Die negativen Auswirkungen dieser gesellschaftlich-politischen Zurückhaltung spüren alle Beteiligten im alltäglichen Schulleben.

Bei unserem letzten Online-Austausch mit der Lehrer*innengewerkschaft Yekîtiya Mamosteyên, unserer Partnergewerkschaft im selbstverwalteten Nord- und Ostsyrien in der Region Efrin/Sheba, ging es um das Thema Mehrsprachigkeit.

Am Beispiel des nordsyrischen Schulsystems wurde deutlich, dass selbst unter schwierigsten wirtschaftlichen und politisch unsicheren Bedingungen ein Zusammenwachsen einer multikulturellen und mehrsprachigen Bevölkerung möglich ist.

Das Beispiel aus Nordsyrien zeigt, was sich ändern kann, wenn Muttersprachen gesellschaftlich geschätzt werden. Auch in Deutschland muss von der Mehrheitsgesellschaft der Wille ausgehen, die sprachliche Vielfalt hier lebender Kinder im Schulwesen abzubilden und anzuerkennen. Solange dies nicht gegeben ist, kann die in Berlin vielmals geäußerte Forderung arabisch-, türkisch- oder kurdischsprachiger Eltern nach einer Umsetzung ihres Rechts auf Erstsprachenunterricht für ihre Kinder nicht eingelöst werden. 

Der nächste Online-Austausch mit den Kolleg*innen aus Nord- und Ostsyrien ist für den 22. Januar zum Thema »Frauen in der Gewerkschaft« geplant. Zuletzt sind unsere Kolleg*innen des Regionalbüros Shehba jedoch aufgrund der Invasion der von der Türkei unterstützten syrischen Armee (SNA) aus ihrer Region vertrieben worden. Dank des Einsatzes der demokratischen Kräfte (SDF) gelang es, die Bevölkerung Shehbas in die Gebiete der Selbstverwaltung zu evakuieren. Die Unterbringung und Versorgung der Vertriebenen ist für die Selbstverwaltung ein riesiges Problem. Wir beraten, welche Unterstützung für Yekîtiya Mamosteyên möglich ist (Stand: 5.12.2024). Der Online-Austausch am 22. Januar um 16 Uhr soll nach Möglichkeit stattfinden. Am 29. Januar 2025 findet zudem um 18 Uhr das nächste Online-Treffen der AG Internationales statt. Wir freuen uns über rege Teilnahme und neue Gesichter. Kontakt: sigrid.masuch@extern.gew-berlin.de        

 

Weitere Artikel zu Nord- und Ostsyrien in der bbz: hier

 

 

Auszüge aus dem Gespräch im August: 

AG Internationales: Welche Bedeutung hat Erst­sprachenunterricht in eurer Gesellschaft?

Yekîtiya Mamosteyên: Unsere Bevölkerung ist mehrsprachig und das wird auch im Bildungsbereich abgebildet. Unter der Regierung von Assad war nur Arabisch als Amts- und Unterrichtssprache erlaubt. Alle anderen Sprachen der in Syrien lebenden Bevölkerungsgruppen waren verboten. Aus diesem Grund wollten Kinder nicht zur Schule gehen oder brachen früh den Schulbesuch ab. Jetzt, unter der Selbstverwaltung, besteht das Recht auf Erstsprachenunterricht und im Gesellschaftsvertrag von 2024 sind drei Sprachen, Arabisch, Kurdisch und Assyrisch/Aramäisch, als Amtssprachen verankert.

 

Half das Konzept der Mehrsprachigkeit im Falle von Shehba bei der Integration der kurdischsprachigen Binnengeflüchteten?

Yekîtiya Mamosteyên: Nach der völkerrechtswidrigen Besetzung Efrins durch die Türkei flohen die Menschen nach Shehba. Efrin und Shehba sind Nachbarregionen. Es gab immer schon familiäre Kontakte zwischen den beiden Sprachgruppen. Somit gab es keine Ablehnung gegen die Einführung kurdischsprachigen Unterrichts hier in den Schulen. Kindern werden alle Unterrichtsfächer in ihrer Erstsprache vermittelt. Ab der vierten Klasse beginnt Sprachunterricht in der Nachbarsprache. Für die kurdischsprachigen Kinder bedeutet das Arabisch und für die arabischen Schüler*innen Kurdisch. Das Fach Englisch folgt in den höheren Klassen.

 

Wie findet der Kontakt zwischen den Kindern statt, wenn sie nicht gemeinsam in einer Klasse unterrichtet werden?

Yekîtiya Mamosteyên: Sie besuchen die gleiche Schule. Auf dem Schulhof treffen sie sich, sprechen und spielen miteinander. Sportunterricht, gemeinsame Theateraufführungen sowie alle außerschulischen Aktivitäten werden mit beiden Sprachgruppen gemeinsam organisiert. Wie im gesamten Gebiet der Selbstverwaltung leben Kinder in mehrsprachigen Nachbarschaften.

Seitdem keine Sprache mehr diskriminiert und verboten wird, ist sprachliche und kulturelle Vielfalt selbstverständlich, weshalb sich Freundschaften unter verschiedensprachigen Kindern ganz von selbst ergeben.