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Schwerpunkt „Am Limit. Psychische Belastungen am Arbeitsplatz“

Strategien für ein gesundes Berufsleben

Viola Geiger, Seminarleiterin bei der GEW BERLIN, benennt Belastungsfaktoren und zeigt Wege auf, wie Lehrkräfte Stress bewältigen und ihre Gesundheit stärken können.

Foto: Bertolt Prächt

Meine erste Motivation, mich mit dem Thema Lehrer*innengesundheit auseinanderzusetzen, entstand, als ich während meiner Lehrtätigkeit in meinem Kollegium erste Burnout-Fälle miterlebte. Ich spürte auch selbst eine starke Belastung durch den Schulalltag und die Unterrichtsvorbereitung. Deshalb gründete ich mit einigen Kolleg*innen die Arbeitsgemeinschaft »Lehrkräftegesundheit«. Erste Erfolge waren verbesserte Stundenpläne und ein Bewusstsein an der Schule, dass Teilzeit auch bei Teamsitzungen und Konferenzen mehr berücksichtigt werden kann. Über die Jahre habe ich durch Aus- und Weiterbildungen mein Wissen in diesem Themenfeld vertieft, wurde systemische Coachin und Stressmanagement-Trainerin in der Erwachsenenbildung.

 

Chronischen Stress erkennen

 

Typischerweise entstehen Belastungen für Lehrkräfte durch den geteilten Arbeitsplatz, wodurch das Gefühl, nie wirklich Feierabend zu haben, vorherrscht. Die Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft gestaltet sich für viele als schwierig, begleitet von dem Eindruck, weder der Familie noch den beruflichen Anforderungen vollständig gerecht werden zu können. Andere sind von übermäßig viel Korrekturen und Bürokratie gestresst oder zwischenmenschliche Konflikte belasten sie. Personalmangel und Stoffvermittlungsdruck führt bei einigen dazu, dass sie krank arbeiten gehen, weil sie das Gefühl haben, sich krank sein, nicht leisten zu können. Die großen heterogenen Klassen, Motivationslosigkeit seitens der Schüler*innen, Notendruck oder schlechte Ausstattung können zudem Stressverstärker sein.

Die Folgen von chronischem Stress für Lehrkräfte können vielschichtig sein, von inneren Faktoren wie Antriebslosigkeit, negativen Gedanken bis hin zu sinkender Berufszufriedenheit. Aber natürlich kann Dauerstress auch psychosomatische Folgen haben wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Magenprobleme. Im Extremfall geht es bis zum Burnout, Berufsausstieg oder Arbeitsunfähigkeit. Vermutlich gibt es auch einige belastete Lehrkräfte, die weiter durchhalten und sich eher im Burn-On Zustand befinden – immer kurz vorm Burnout.

 

Strategien gegen den Stress

 

Ziele innerhalb meines Seminars sind beispielsweise, sich die eigenen Stressauslöser und Verstärker bewusst zu machen, Stressmanagement-Methoden in Theorie und Praxis kennenzulernen und persönliche Strategien zur Stärkung der Stresskompetenz und Resilienz zu entwickeln. Auch Möglichkeiten für erste Hilfe bei Stress werden thematisiert.

In dem Seminar soll es Raum geben für Selbstreflexion und vor allem auch Austausch mit Gleichgesinnten. Es werden Selbst- und Zeitmanagementmethoden vermittelt, Achtsamkeits- und Entspannungstechniken wie Bodyscan, Atemübungen oder Meditation sowie Ansätze aus dem mentalen Stressmanagement. Für das eigene Mindset können Selbstmitgefühl, mehr Gelassenheit oder weniger Perfektionismus helfen. Methoden um sich gut abgrenzen zu können, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Natürlich brauchen solche gewünschten Verhaltensänderungen Übung, um neue Routinen aufzubauen.

Vielen Teilnehmenden hilft es, zu merken, mit den meisten Themen nicht alleine zu sein und sich darüber auszutauschen. Daher sehe ich in Supervision oder kollegialer Fallberatung auch eine Chance für die Schule. Es ist toll zu sehen, wie viele Ressourcen und Lösungsansätze die Teilnehmenden bereits mitbringen, wenn sie sich die Zeit nehmen, zu reflektieren: Bewusste Pausen einbauen, bessere Jahresplanung, Prioritäten setzen, positive Affirmationen, Morgenmeditation oder Konfliktlösungen. Was die Lehrkräfte für sich mitnehmen, ist natürlich ganz unterschiedlich. Manche sind sehr dankbar für bestimmte Methoden, andere haben die Erkenntnis gewonnen, endlich einen langanhaltenden Konflikt zu klären oder sich besser mit Kolleg*innen für gemeinsame Unterrichtsvorbereitung oder Fallberatungen zu vernetzen. Manche denken über einen Schulwechsel oder gar Berufswechsel nach. Und manch eine Lehrkraft merkt, dass sie bereits viele gute Methoden kennt und diese wieder auffrischen konnte.

 

Berechtigte Kritik an den Rahmenbedingungen

 

Manche Teilnehmenden kommen verständlicherweise mit Skepsis in das Seminar, da sie sich fragen, was sie innerhalb des Schulsystems überhaupt bewirken können. Selbstverständlich können wir nicht sämtliche Belastungen »wegatmen« oder individuell lösen und dennoch gibt es viele Bereiche, in denen durch geeignete Strategien persönlicher Stress reduziert werden kann. Mehr Selbstfürsorge kann ein erster Schritt sein, denn das kommt letztlich auch der Berufszufriedenheit und den Schüler*innen zugute. Gleichzeitig sehe ich die Bedeutung von strukturellen Veränderungen im Bildungssystem, die durch gewerkschaftliche und politische Arbeit vorangetrieben werden können, um die Rahmenbedingungen für Lehrkräfte gesundheitsförderlicher zu gestalten: Kleinere Klassen, mehr Ausgleichsstunden, weniger Bürokratie, besseres Gesundheits- sowie Personalmanagement, mehr Wertschätzung, bessere Ausstattung, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Auch Studien wie die Arbeitszeitstudie der GEW BERLIN sorgen dafür, die hohe und oft unsichtbare Arbeit, die Lehrkräfte leisten, besser sichtbar zu machen. Denn auch die Nichtwertschätzung dieser Arbeit kann ein Stressfaktor sein.

 

Individuelle Lösungen für ein gesundes Berufsleben

 

Es gibt keine Patentrezepte, sondern stets individuelle Lösungen. Mein Tipp ist, das Thema Stress und Gesundheit überhaupt ernst zu nehmen und die momentane Berufszufriedenheit oder Work-Life-Balance zu reflektieren. Bei Handlungsbedarf ist es sinnvoll, sich die nötige Zeit zu nehmen, um in einen Änderungsprozess zu gehen und nach Lösungsansätzen und persönlichen Strategien zu suchen. Ob alleine oder durch professionelle Unterstützung von außen. Erst wenn ich meine Stressauslöser besser kenne, kann ich gezielt daran arbeiten meinen Alltag stressfreier zu gestalten. Ebenso wichtig ist es, gesundheitsförderliche Faktoren zu kennen und zu wissen, was mir hilft, meinen Akku aufzuladen und mir dafür die nötige Zeit zu nehmen.

Zusätzlich zu den im Seminar vermittelten Methoden gibt es diverse kostenfreie Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen als Audio- oder Videodateien oder auch als App zum Teil von Krankenkassen finanziert. Für die Arbeit am Mindset oder an größeren Lebensveränderungen sowie bei starkem Leidensdruck kann ein systemisches Coaching oder eine Therapie hilfreich sein. Es gibt zudem Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren oder Lehrer*innengesundheit und Schulklima im Kollegium zum Thema zu machen und in den Schulentwicklungsprozess einzubinden. Strukturelle Veränderungen birgen mitunter die größte Hebelwirkung, um Stress im Lehrberuf nachhaltig zu reduzieren.

 

Stressbewältigung für Lehrkräfte

18. Juni 2024, 9 – 16.30 Uhr

Veranstaltungsort: GEW BERLIN,

Ahornstraße 5, 10787 Berlin

Anmeldung unter: www.gew-berlin.de/veranstaltungen/detailseite/stressbewaeltigung-fuer-lehrkraefte

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Privat:  030 / 219993-46