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bbz 10 / 2018

Streik der studentisch Beschäftigten

Der Kampf um einen Tarifvertrag ist im Juli erfolgreich durch eine Mitgliederabstimmung zu Ende gegangen. Es bleibt die Frage: Ist der TV Stud nur ein einsames Phänomen in der deutschen Tariflandschaft oder doch ein Vorreiter für weitere Initiativen?

Foto: Christian von Polentz / transitfoto.de

Seit 1980 gilt an elf Universitäten und Fachhochschulen in Berlin der bundesweit einzige Tarifvertrag für mittlerweile über 8.000 studentisch Beschäftigte. Ihre Aufgabengebiete sind vielseitig und reichen von der Mitarbeit in Forschung und Lehre über den Einsatz in Bibliotheken und anderen Daueraufgaben in Verwaltung, Informatikserviceleistungen, Studierendenservice sowie Sekretariaten und vielem mehr.

Damit stellen sie an den großen Universitäten die größte Beschäftigtengruppe dar. An der Technischen Universität Berlin (TU) sind es beispielsweise 31 Prozent aller Beschäftigten. Diese Ausweitung der Tätigkeitsfelder ist für die Universitäten eine lukrative Personalpolitik. Zum einen können sie dadurch feste Stellen nach den deutlich teureren Entgelteinordnungen im Tarifvertrag der Länder (TV-L) sparen.

Zum anderen haben sie aber seit 2001 den Stundenlohn der studentisch Beschäftigten nicht mehr erhöht. Aufkommende Initiativen, die bereits 2011 eine Lohnerhöhung forderten, wurden mit zweistelligen Cent-Angeboten und Belächelung des mangelnden Organisierungsgrades mundtot gemacht. Durch befristete Arbeitsverträge und die Doppelbelastung durch Studium sowie Job konnten die Universitäten die »aufsässigen« Arbeitskräfte einfach aussitzen. Ohne großen Widerstand sammelten sie weiterhin Gelder für die Lohnerhöhungen ihrer studentisch Beschäftigten ein, ohne diese an sie weiterzugeben.

Auch die Streichung des Weihnachtsgeldes 2004 führte zu keinem Aufschrei. Also was war diesmal anders? Der Zeitpunkt, zu dem die studentischen Hilfskräfte (SHK) von ihrer Stelle noch ihr Studium finanzieren konnten, war seit Jahren vorüber. Die schnell ansteigenden Mietkosten der letzten Jahre machen bei Studierenden häufig über die Hälfte ihres monatlichen Einkommens aus. Bei niedrigen Einkommen übersteigen die Mietausgaben mit einem Zuwachs von 30 Prozent seit 2001 sogar noch die Inflationsrate.

Den Gewerkschaften fehlte es an Sichtbarkeit

An der TU führte dies dazu, dass man schon froh war, die freien Stellen überhaupt irgendwie besetzen zu können, da sie in ihrer Lehre stark von Tutor*innen abhängig ist. Für einige Fachbereiche gibt es deutlich bessere Lohnangebote außerhalb der Hochschulen. Doch mit mehreren Verhandlungspartner*innen auf der Arbeitgeber*innenseite erleichterte dies zu Anfang nicht wirklich die Situation. Die suchten den kleinsten gemeinsamen Nenner. Der Organisierungsgrad der studentisch Beschäftigten in den beiden Gewerkschaften ver.di und GEW war viel zu gering. Selbst das Bewusstsein, dass man durch seinen Arbeitsvertrag einem Tarifvertrag unterlag, war den meisten SHK nicht bekannt, da dies für viele ihre erste Anstellung ist. Den Gewerkschaften fehlte die Sichtbarkeit in den Hochschulen. Auch wenn Festangestellte an den Hochschulen nicht zwangsläufig über Tarifkampagnenerfahrung verfügen, sind sie über Jahre angestellt, haben Lohnerhöhungen mitgemacht, sind inhaltlich sensibilisierter und die Aktiven in der nächsten Tarifrunde häufig wieder mit dabei.

Vergleichbare Initiativen studentisch Beschäftigter gab es in den letzten Jahren nicht, so dass auch die Gewerkschaften selbst zunächst einen neuen Erfahrungsschatz aufbauen mussten. Die letzte Auseinandersetzung in Berlin geht auf das Jahr 1986 zurück und führte zum TVStud II. Eine Sensibilisierung für Gewerkschaftsarbeit liegt allerdings häufig in Studentischen Personalräten vor, da diese die Einhaltung des Tarifvertrages überwachen und somit erste Berührungspunkte in Fortbildungen und Treffen mit Gewerkschaften haben. So wundert es nicht, dass sich aus diesem Kreis und anderen studentischen Gewerkschaftsmitgliedern die erste kleine Gruppe Aktiver bildete.

Über Tausend wurden mobilisiert

Motiviert durch eine Online-Umfrage, in der über 1.000 Beschäftigte angaben, Gewerkschaftsmitglied werden zu wollen, starteten sie im Mai 2016 die »Orga 1000+«. Es folgten Bürorundgänge, Aktionen zu prestigeträchtigen Universitätsveranstaltungen, Stände vor den Mensen, selbstgemalte Transparente und ein immer professionelleres Auftreten in den Sozialen Medien. Im Zuge der Aufnahme der Verhandlungen mit den Arbeitgebern erlangten die Studierenden Aufsehen, Aufklärung, Neueintritte in die Gewerkschaften und auch den Zulauf Aktiver. Wenn auch aus dem letzten Loch pfeifend, setzten sie die immer mehr anfallende Arbeit halbwegs rechtzeitig um. Doch das ist das Schöne an bunt gemischten Studierenden, es bringt jede*r eine Qualifikation mit, sich produktiv einzubringen: Texte schreiben, Studierende an-sprechen, Fragen beantworten, Homepage gestalten, Kundgebungen halten, Demos organisieren und vieles mehr. Nach der Kündigung des Tarifvertrages folgten auf die Streikaufrufe immer mehr SHK, legten ihre Arbeit nieder und nahmen an den Demonstrationen teil. Auch der Versuch, die studentisch Beschäftigten an der TU durch eine freiwillige Lohnerhöhung zu beschwichtigen, konnte sie nicht davon abhalten, für die anderen Universitäten und Fachhochschulen einzustehen. Auch die studentisch Beschäftigten dort sollten eine Lohnerhöhung bekommen.

Wie kann man die im Zuge dieser Kampagne gewonnenen Erfahrungen nutzen und die Ausgangssituation verbessern, damit Berlin nicht das einzige Bundesland bleibt, dass einen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte hat? Je nach Bundesland sind die Stundenlöhne an vielen Universitäten deutlich geringer als in Berlin. Man macht es sich zu einfach, heutigen Studierenden zu unterstellen, sie wären nicht politisch interessiert oder bereit sich zu engagieren. Häufig mangelt es eher an Strukturen, finanziellen und vor allem personellen Mitteln sowie Hilfe. Denn wenn wir ehrlich sind, war es auch 1986 eher eine kleine Gruppe an Aktiven, die dort den Streik losgetreten und viele andere motiviert haben, sich diesem Arbeitskampf anzuschließen und für einen neuen Tarifvertrag einzustehen. Die heutige Zeit ist nur stressiger geworden und durch möglichst kurze Studienzeiten ist es schwerer, hochschulpolitisch Aktive mit Erfahrung und guter Vernetzung über längere Zeit in den Gremien an den Universitäten sowie in Gewerkschaften einzubinden.

TVStud III hat es vielleicht nicht geschafft, den kompletten Lohnstillstand auszugleichen, aber gezeigt, dass Studierende in Streiks ihre Arbeit niederlegen und sich so für ihre Rechte einsetzen können. Aber auch, dass es auf gewerkschaftlicher Seite ein Umdenken geben muss, um sich auf diesen Wandel einzustellen. Es ist von der Politik gewollt, eine höhere Quote an akademischen Abschlüssen zu erreichen. Dadurch erschließt sich die Notwendigkeit einer besseren Einbindung und Organisierung von Studierenden durch die Gewerkschaften. Ihnen muss ein Raum für Erfahrungen gegeben werden, in dem sie sich mit ihren Themen einbringen können. Dadurch können Aktive für Gewerkschaftsarbeit begeistert werden, so dass sie motiviert sind, die Zukunft mitzugestalten. Es herrscht Interesse an diesem Thema in mittlerweile mehreren Regionen in Deutschland. Eine neue Kampagne kann zu einer verbesserten Sichtbarkeit von Gewerkschaften an den Hochschulen führen. Lasst es uns anpacken.