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Gewerkschaft

Streikrecht ist Menschenrecht

Im internationalen Vergleich ist das Streikrecht in Deutschland eines der strengsten in Europa. Auf einer Saalkundgebung forderten daher Berliner Gewerkschafter*innen und Unterstützer*innen aus Stadttei-linitiativen, das deutsche Streikrecht zu lockern.

Foto: GEW

Die Mehrheit der Lehrkräfte in Deutschland sind Beamt*innen. Deshalb wird ihnen das Streikrecht vorenthalten. Das Bundesverfassungsgericht meint immer noch, dass ein Streikverbot für die 1,7 Millionen Beamt*innen gelten müsse, weil dies zu den »hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums« gehöre. Gesetzlich festgeschrieben ist das nirgendwo, so wie auch alle anderen Einschränkungen des Streikrechts in Deutschland. Stattdessen gilt bei Beamt*innen alleine die obrigkeitsstaatliche Tradition.

Die GEW fordert seit Jahrzehnten das Beamt*innenstreikrecht. Sie hat Beamt*innen auch immer wieder zum Streik aufgerufen, obwohl das nach herrschender Rechtsauffassung illegal ist.

Mein erster Streik als Lehrer 2011 war ein Beamt*innenstreik, zu dem aber alle Berliner Lehrkräfte aufgerufen wurden, auch wir angestellten Lehrkräfte. Am 5. April 2011 kamen 6.000 Lehrkräfte während ihrer Unterrichtszeit auf den Alexanderplatz. Ich erinnere mich gut an die euphorische Stimmung.

 

Vermeidung von Repressionen nur mit großer Solidarität möglich

 

Wir forderten damals eine Altersermäßigung, also Entlastung für ältere Lehrkräfte. Geregelt werden sollte das in einer beamtenrechtlichen Verordnung. Der Streik zielte also nicht auf einen Tarifvertrag ab, sondern sollte den Senat unter Druck setzen, etwas zu beschließen, was er eigentlich alleine, nach seinen eigenen Vorstellungen regelt.

Wie streiken Beamt*innen, wenn ihr Streik von der herrschenden Rechtsauffassung als illegal angesehen wird? Wie streiken Beamt*innen, wenn alle Teilnehmenden ein hohes persönliches Risiko eingehen? Sie streiken so, wie die Arbeiter*innenbewegung von Anfang an gestreikt hat: Es müssen möglichst viele Beschäftigte auf die Straße, um Schutz für alle Streikenden zu schaffen. Durch eine große Masse und die Solidarität der Beschäftigten sollen Repressionen verhindert werden.

Auf unseren Streik 2011 folgten jedoch schnell Strafzahlungen für Lehrkräfte mit Funktionsstellen. Die Gewerkschaft hatte damals leider keine Strategie, den Kampf an diesem Punkt weiterzuführen. Die Bereitschaft für weitere Streikaktionen brach deshalb schnell zusammen. Am Ende stand eine Niederlage: die GEW rief zwar noch ein zweites Mal zum Streik auf, nahm den Aufruf dann aber wieder zurück.

 

Hoffnung für Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof

 

Dass Lehrkräfte trotz eines Streikverbots siegen können, haben die Mobilisierungen von Lehrkräften in vielen Bundesstaaten der USA seit 2017 gezeigt. Wenn große Mehrheiten in den Kollegien für den Streik gewonnen werden, wenn auch die Zivilgesellschaft, die ein Interesse an guter Bildung hat, für den Streik gewonnen wird, dann kann das Streikverbot auf der Straße durchbrochen werden.

In Deutschland hat die GEW Beamt*innen immer wieder zur Beteiligung an Tarifstreiks aufgerufen und danach durch die Instanzen geklagt, um das Streikrecht für Beamt*innen durchzusetzen. 2018 bestätigte das Bundesverfassungsgericht noch seine althergebrachte obrigkeitsstaatliche Auffassung vom Streikverbot. Am 1. März 2023 wird es nun eine Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geben. Europäisches Recht muss in dieser Frage endlich auch in Deutschland angewandt werden!

Wir können uns allerdings nicht darauf verlassen, dass uns Gerichte ein umfassendes Streikrecht schenken. Es war zentral, dass die GEW in der Praxis Grenzen übertreten hat, um das Beamt*innenstreikrecht überhaupt vor die höheren Instanzen zu bringen und so auch das herrschende Recht herauszufordern und zu verändern.

Aber das bedeutet noch lange nicht, dass sich in der Praxis irgendetwas ändert, wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass Deutschland seine Haltung zum Beamt*innenstreik ändern muss. Erweiterte Spielräume nützen uns nur etwas, wenn Gewerkschaften und Beschäftigte auch bereit und in der Lage sind, diese auszufüllen.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
Telefon:  030 / 219993-46