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Standpunkt

Take Care

Die Priorisierung von Sorgearbeit und der Schutz von Gefährdeten sind der Ellenbogenmentalität entgegenzusetzen. Ein Kommentar anlässlich des 8. März.

Foto: privat

Die Ampelkoalition hat ein gleichstellungspolitisches Jahrzehnt versprochen: Bis 2030 soll die Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht sein. Theoretisch ist das sicher möglich, sehr wünschenswert, und der Koalitionsvertrag bietet dafür eine ganz gute Grundlage. Allerdings kann kritisiert werden, dass schon hier die konkreten sozialpolitischen Maß-nahmen fehlen, denn gleiche Rechte helfen wenig ohne die realen Möglichkeiten, diese auch wahrzunehmen. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und allen Menschen, die marginalisiert sind, hat sich durch die Corona-Pandemie jedenfalls erstmal deutlich verschlechtert. Die neue Koalition hat bereits erste Chancen verpasst, dies anzuerkennen und für Abhilfe zu sorgen. Vor allem Personen, die sich um Kinder kümmern, werden mit ihren Sorgen, zusätzlichen Aufgaben und Kosten nahezu vollständig alleine gelassen. Bund und Länder haben in unterschiedlichem Maße versagt, und gezeigt, dass sie die Belastung der Kinder, Jugendlichen und Eltern nicht ernst nehmen. Die Pädagog*innen in Kitas und Schulen müssen Regeln durchsetzen und vermitteln, die Kinder und Jugendliche belasten und zur Verhinderung von Ansteckungen unzureichend sind. Diese Berufsgruppe schultert einen großen Teil der verfehlten Politik. Dass anscheinend eine Durchseuchung von Kindern und Jugendlichen einkalkuliert wird, bringt vor allem Menschen mit Kindern mit einer Vorerkrankung oder Behinderung in eine verzweifelte Lage.

Die Ampel hat den Schwerpunkt darauf gelegt, das Land am Laufen zu halten, Produktion und Konsumption zu schützen … statt die Verwundbarsten. Die neue Bundesregierung macht bisher leider nur wenig Anstalten, auf die vielfältigen Probleme politisch zu antworten und die zusätzlichen Anstrengungen zu kompensieren – Schattenfamilien mit Risikokindern sind schließlich nicht die Lufthansa. Zwar sollen die Kinderkrankentage pro Kind und Elternteil auf 15 Tage und für Alleinerziehende auf 30 Tage erhöht werden, das ist allerdings in einer Pandemie auch nicht viel. Gab es in der ersten Impfwelle noch eine Priorisierung für ältere Menschen und Angehörige von Risikogruppen, war für die Boosterimpfungen Eigeninitiative gefragt. Gerade Heimbewohnende blieben da auf der Strecke und waren häufig ungeimpftem Pflegepersonal ausgeliefert. Aber auch bei der rechtssicheren Empfehlung für die Impfung von Kindern war Deutschland spät dran. Die häufige Änderung der Regeln und die sehr unterschiedliche Durchsetzung erforderte einen hohen Grad an Informiertheit. Eigeninitiative ist also der Begriff, der sinnvoll erscheinendes und lohnendes Verhalten in der Pandemie zusammenfasst. Das fördert allerdings eine Ellenbogenmentalität, die das gesellschaftliche Klima vergiftet. Gegenseitige Verantwortungsübernahme, die Priorisierung von Sorgearbeit statt Produktion und business as usual, der solidarische und wirksame Schutz von Gefährdeten wären dagegen zu setzen. »Take care together« sollte daher das Motto des diesjährigen feministischen Kampftages am 8. März sein, um zu zeigen, dass sich Feminist*innen solidarisch und intersektional dieser Krise entgegenstemmen statt sich gegeneinander ausspielen zu lassen.

Wie weit wir am Ende dieses Jahrzehnts in Sachen Gleichberechtigung und Emanzipation sein werden, kann man jetzt noch nicht wissen. Wir können allerdings schon sicher sagen, dass es mehr gaps zu schließen gibt als nur den gender pay gap.

Kontakt
Markus Hanisch
Geschäftsführer und Pressesprecher
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