bbz 07-08 / 2019
Teil eines überlasteten Systems
Das 2014 eingeführte Praxissemester in den Lehramtsstudiengängen kann seine Versprechen noch nicht einlösen
Das Praxissemester ist das Kernstück der neuen Lehramtsstudiengänge an den Berliner Universitäten. Nach dem ersten Jahr im Master of Education werden die Studierenden einer Berliner Schule zugewiesen und hospitieren von September bis Januar in ihren Fächern und führen in Absprache mit Mentor*innen aus dem Kollegium einige Unterrichtsversuche durch. Zentrales Strukturmerkmal ist dabei die Verbindung von universitärer Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik mit drei Tagen Schulalltag in der Woche, wobei der schulpraktische Anteil nicht bewertet wird.
Diese Konstellation könnte ermöglichen, dass sich die Studierenden frei und ohne Handlungszwänge ein Bild von der Institution Schule machen und hierzu eigene Haltungen entwickeln und sie im universitären Rahmen reflektieren. Das Besondere ist also, dass Studierende hier wissenschaftliche Bildungsideale nicht der real-existierenden Schulwelt unterordnen und sich die häufig missliche Lage von Lehrkräften in einem überforderten Schulsystem zu eigen machen, wie es bei Vertretungseinsätzen unweigerlich der Fall ist. Statt um ein »Funktionieren« geht es gerade um Nicht-Passung und Irritation. Dieses potentiell emanzipatorische Versprechen der Lehrkräftebildung, das in seiner Orientierung auf Bildungsgerechtigkeit auch klares gewerkschaftliches Ziel sein muss, braucht Zeit und Raum.
Zu starr und zu stressig
Momentan sieht es jedoch so aus, dass das Praxissemester von vielen Studierenden als stressig und überfordernd angesehen wird. Die Studierenden erleben sich ab dem Praxissemester als Teil eines überlasteten Systems, anstatt Möglichkeiten einer Verbesserung zu eruieren. Der Grund dafür ist vor allem ein starres bürokratisches Korsett. Anders als im Rest des Studiums gibt es im Praxissemester wenig Möglichkeiten, Veranstaltungen und Schulzeiten an die Vielfalt persönlicher Lebensrealitäten anzupassen.
Aufgrund der oft nicht geradlinigen Berufsbiografie leistet der Großteil der Lehramtsstudierenden neben dem Vollzeitstudium in der Woche 10 bis 20 Stunden Lohnarbeit. Bei einem Regelpensum von über 40 Stunden wöchentlich für das Studium haben viele Studierende schon in der normalen Vorlesungszeit ein Arbeitspensum, das dem hochbezahlter Manager*innen gleicht. Hinzu kommen im Lehramt nicht wenige ältere Studierende, die trotz Studiums Kinder und Familie versorgen. Studierende berichten, dass sie aus finanzieller Not wieder zu ihren Eltern ziehen mussten oder sich trotz Ersparnissen bereits im Dezember nicht einmal mehr die Mensa der Universität leisten konnten. Weil die Bezahlung niedriger als im verbeamtenden Brandenburg und in der übrigen Bundesrepublik ist, sollte es im Interesse der Berliner Bildungspolitik liegen, die gesamte Lehrkräftebildung so familien- und studierendenfreundlich wie möglich auszugestalten. Das Land Berlin muss daher, um die angestrebten Zahlen von Referendar*innen zu erreichen, den Verbleib von Lehramtsstudierenden in Berlin attraktiver gestalten.
Wir brauchen attraktive Teilzeitmodelle
Hier bieten sich folgende Maßnahmen an, die es Studierenden ermöglichen, das Masterstudium als gewinnbringend und professionsfördernd zu erleben. Erstens, attraktive Teilzeitmodelle, die es ermöglichen, in zwei folgenden Semestern jeweils die Hälfte der Leistungen des Praxissemesters zu erbringen. Momentan wird das Praxissemester in Teilzeit in zwei aufeinanderfolgenden Jahren absolviert, was eine Verlängerung der Studiendauer um ein ganzes Jahr zur Folge hat. Zweitens, voraussetzungslose angemessene finanzielle Vergütung des Praktikums, um von Erwerbsarbeit zu entlasten. Und drittens, Stipendien für Studierende im Master of Education, die sich verpflichten, Referendariat und Berufseinstieg in Berlin zu absolvieren.
Diese Forderungen wurden ohne Gegenstimmen auf der Landesdelegiertenversammlung der GEW BERLIN im Mai 2019 verabschiedet. Bei Umsetzung besteht die Hoffnung, sowohl Freiräume für eine Reflexion des Bildungssystems zu schaffen, als auch von konkreten persönlichen Nöten zu entlasten.