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bbz 05 / 2019

Übergänge erfolgreich gestalten

Übergänge im Bildungssystem stellen Weichen. Sie haben großen Einfluss auf den individuellen Bildungserfolg und die Chancen für die Zukunft. Ob Übergänge erfolgreich gemeistert werden, hängt auch vom Handeln der Pädagog*innen ab

Foto: pixelio.de / R_K_by_lichtkunst

Jan kommt in die Kita, Mara wird im Sommer eingeschult, Cem beginnt ein Studium, Anne bekommt demnächst ihr erstes Kind, Roland wechselt in den Ruhestand. Bei aller Unterschiedlichkeit haben diese Situationen etwas Entscheidendes gemeinsam. Es handelt sich um Übergänge zwischen unterschiedlichen Lebenssituationen. Übergänge oder »Transitionen«, wie die Wissenschaft sagt, begleiten das gesamte menschliche Leben. Ihr Verlauf stellt häufig wichtige Weichen für den weiteren Lebensweg und entscheidet über Chancen, Zufriedenheit und die Möglichkeiten aktiver sozialer Teilhabe. Das gilt in besonderem Maße für die Übergänge, die Kinder und Jugendliche auf ihrem Bildungsweg durchlaufen, und um die es im Folgenden geht. Auch diese Übergänge konfrontieren junge Menschen mit erheblichen Veränderungen, die sie vor eine Reihe von Entwicklungsanforderungen auf verschiedenen Ebenen stellen.

Auf der Ebene des Individuums gilt es, sich mit der eigenen Rolle in der veränderten Situation auseinander zu setzen, ein neues Selbstbild – etwa als »großes« Schulkind – zu entwickeln und damit verbundene starke Gefühle, wie Trauer, Unsicherheit, aber auch Freude und Stolz, zu verarbeiten.

Auf der Ebene der Beziehungen muss die zeitweilige oder dauerhafte Trennung von vertrauten Bezugs- oder Bindungspersonen bewältigt werden, veränderte soziale Regeln sind zu beachten, es gilt, auf bisher unbekannte Menschen zuzugehen, neue Beziehungen einzugehen und zu gestalten.

Auf der Ebene der Lebensumwelten fordern beispielsweise ungewohnte räumlich-materielle Bedingungen und Zeitrhythmen sowie veränderte Aufgaben und Lernkulturen neue Orientierungen und erweiterte Kompetenzen, mehr Selbständigkeit, veränderte Arbeitsstrategien oder mehr Bedürfnisaufschub.

Übergänge beinhalten sowohl Chancen als auch Risiken. Chancen, weil die ihnen innewohnenden Brüche als Entwicklungsimpuls genutzt werden können. Risiken, da sie die Gefahr eines möglichen Scheiterns bergen. Diese Gefahr ist dann besonders hoch, wenn neben dem Übergang noch weitere aktuelle Belastungen zu bewältigen sind, wie beispielsweise ein Umzug, eine Krankheit, persönliche Krisen, die Trennung der Eltern.

Selbstvertrauen stärken und Beteiligung ermöglichen

Die Transitionsforschung benennt einige Faktoren, die sich günstig auf das Gelingen von Übergängen auswirken. So stärkt die Erfahrung gelungener Übergänge das Vertrauen in die eigenen Kräfte und damit die Widerstandsfähigkeit, die Resilienz eines Menschen. Wenn Kinder die ersten Übergänge in ihrem Leben gut bewältigen, haben sie größere Chancen, auch die folgenden erfolgreich zu meistern. 

Umgekehrt gilt: Wer in diesen Phasen, beispielsweise während des Eintritts in die Kita oder des Wechsels in die Schule, Erfahrungen des Scheiterns machen musste, wird es später eher schwer haben, auf Veränderungen offen und mit Zuversicht zuzugehen. Pädagog*innen sollten alle Gelegenheiten nutzen, um den jungen Menschen Erfahrungen von Selbstwirksamkeit zu ermöglichen und ihre Neugier und Lernfreude zu stärken.

Übergänge gelingen zudem leichter, wenn die Betroffenen Einfluss auf das Geschehen nehmen können und sich nicht der Situation ausgeliefert fühlen. Dazu brauchen sie Informationen und Handlungsmöglichkeiten. Pädagog*innen unterstützen Kinder und Jugendliche, indem sie ihnen zu den benötigten Informationen über die zukünftige Situation verhelfen und mit ihnen Strategien zur Bewältigung des Übergangs entwickeln. Dabei berücksichtigen sie die entwicklungsabhängig unterschiedlichen Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeiten der jungen Menschen.

Wie alle Bildungsprozesse ist auch die Auseinandersetzung mit Übergängen im Bildungsverlauf durch geschlechtsspezifische, kulturelle und individuelle Unterschiede bestimmt und zugleich von der aktuellen Lebenssituation beeinflusst. Pädagog*innen tragen zum Gelingen von Übergängen bei, wenn sie die jungen Menschen auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung feinfühlig und individuell begleiten und unterstützen.

Auf die richtige Balance kommt es an

Um Übergänge als Entwicklungschancen nutzen zu können, bedarf es der Balance zwischen der ihnen eigenen Diskontinuität und der Kontinuität im Sinne einer fortlaufenden Entwicklung. Pädagog*innen sollten dabei sowohl Unter- als auch Überforderung vermeiden und die neuen Anforderungen möglichst an der »Zone der nächsten Entwicklung« (Wygotski) orientieren. Alle Menschen können die Chancen von Übergängen besser nutzen, wenn sie in der neuen Situation etwas Vertrautes wiederfinden: Das kann bei der Eingewöhnung in der Kita beispielsweise die Kuscheldecke von zu Hause sein, später sind es dann vielleicht Freund*innen, mit denen gemeinsam der Wechsel vollzogen wird, bekannte Rituale, Arbeitstechniken, Gesprächsformen, Materialien. Entscheidend ist die Erfahrung, dass bereits erworbene Kompetenzen und Bewältigungsstrategien bei Konflikten auch in der neuen Situation ihren Nutzen haben und wertgeschätzt werden.

Viele Beteiligte wirken auf das Übergangsgeschehen ein. Eine Balance zwischen Kontinuität und Diskontinuität gelingt am ehesten, wenn die hauptsächlich Beteiligten miteinander kooperieren. Zu diesen zählen – beispielsweise beim Übergang von der Kita in die Schule – neben dem Kind selbst seine Eltern und die Pädagog*innen in Kita, Schule und außerunterrichtlicher Betreuung. Haltung und Handeln dieser Personen haben zentrale Bedeutung für das konkrete Geschehen, auch wenn daneben noch weitere Personen und Institutionen wie die Kinder der abgebenden Kita und der aufnehmenden Schule, beratende Dienste und nicht zuletzt allgemeine Rahmenbedingungen und bildungsprogrammatische Vorgaben einwirken.

Pädagog*innen der abgebenden und aufnehmenden Institution sollten sich darüber austauschen, woher die Kinder und Jugendlichen kommen, welche Erfahrungen, Erwartungen und Kompetenzen sie mitbringen und welche Bedingungen und Möglichkeiten die neue Lebenswelt kennzeichnen. Nur so können die verschiedenen Erfahrungsräume und ihre Anforderungen angemessen aufeinander bezogen werden. Gut ist es, wenn alle Beteiligten »an einem Strang ziehen«, das heißt wenn es gelingt, im gegenseitigen Austausch ein gemeinsames Bild von dem bevorstehenden Übergang und den damit verbundenen Anforderungen zu entwickeln (zu ko-konstruieren).

Auch Eltern durchleben einen Übergang

Besondere Beachtung fordert die Situation der Eltern: Denn im Unterschied zu den professionellen Akteur*innen durchleben diese selbst einen Übergang, wenn ihr Kind eine neue Stufe des Bildungssystems erklimmt. Das verändert ihre Rolle und konfrontiert sie mit neuen Anforderungen und Verpflichtungen. Eltern werden die verschiedenen Übergänge ihres Kindes als unterschiedlich tiefgreifende Veränderung ihrer eigenen Situation erleben. Pädagog*innen sollten grundsätzlich berücksichtigen, dass es auf ihrer Seite zu Verunsicherungen und emotionalen Irritationen kommen kann und dass sie gleichfalls empathische Ansprache und Unterstützung benötigen.

Das Gelingen von Übergängen im Bildungsverlauf ist also nicht nur von dem betreffenden jungen Menschen, sondern gleichfalls vom Handeln, von der »Übergangskompetenz« aller übrigen Beteiligten abhängig. Übergangskompetenz sollte deshalb als Qualitätsmerkmal von Bildungseinrichtungen begriffen und für die verschiedenen Übergänge konkret ausformuliert werden. Beispiele hierfür finden sich im Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege (2014) und im Berliner Bildungsprogramm für die offene Ganztagsgrundschule (2009).


Der Artikel folgt in wesentlichen Punkten der Veröffentlichung »Übergänge verstehen und begleiten – Transitionen in der Bildungslaufbahn von Kindern« von Wolfgang Griebel und Renate Niesel aus dem Jahr 2011.


Dieser Artikel ist Teil des bbz-Themenschwerpunkts „Übergänge erfolgreich gestalten“  [zur gesamten Ausgabe]